Leitsatz

1. Fahrtkosten eines Lotsen zwischen seiner Wohnung und dem mit einer Lotsenstation versehenen Hafen des Lotsreviers seiner Lotsenbrüderschaft sind regelmäßig nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG nur in Höhe der Entfernungspauschale als Betriebsausgabe abziehbar.

2. Das Lotsrevier einer Lotsenbrüderschaft ist eine großräumige Betriebsstätte, weil es alle Fahrstrecken in einem durch normative Regelungen begrenzten Einzugsbereich umfasst und über eine Lotsenstation als ortsfeste Einrichtung der Lotsenbrüderschaft zur Organisation der Einsätze der Lotsen in dem räumlich begrenzten Zuständigkeitsbereich der Lotsenbrüderschaft verfügt.

3. Der prägende regionbezogene Schwerpunkt der Arbeitstätigkeit des Lotsen schließt es aus, den ­Mittelpunkt der Lotsentätigkeit auf den jeweils ­gelotsten Schiffen (Anschluss an BFH, Urteil vom 16.11.2005, VI R 12/04, BFHE 212, 64, BStBl II 2006, 267) oder in den nur der Arbeitsvorbereitung oder Arbeitsnachbereitung dienenden Büros der Lotsen zu sehen.

 

Normenkette

§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6, § 4 Abs. 4 EStG

 

Sachverhalt

Ein Seelotse, dessen Lotsrevier in drei Lotsbezirke mit je einem Lotsenturm unterteilt war, fuhr mit seinem PKW im Wesentlichen zu einem bestimmten Hafen, wo er in der Nähe des Lotsenturms einen Parkplatz angemietet hatte. Teilweise fuhr er auch unmittelbar zu dem zu lotsenden Schiff. Die Weiterfahrt von seinem Dauerparkplatz zu den von ihm zu lotsenden Schiffen bzw. zu den seewärtigen Lotsenversetzpositionen erfolgte jeweils mit dem Taxi und/oder dem Lotsenversetzboot.

Das FA setzte für die Fahrten zum Dauerparkplatz am Hafen nur die Pauschbeträge gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG an. Für die Fahrten zu den selteneren Einsätzen in den beiden anderen Lotsbezirken berücksichtigte das FA die tatsächlich entstandenen PKW-Kosten. Der Kläger beantragte erfolglos, auch die Kosten für Fahrten zum Dauerparkplatz in der tatsächlichen Höhe abzuziehen. Das FG wies die Klage ab (FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 18.11.2009, 3 K 266/08, Haufe-Index 2952661).

 

Entscheidung

Auch die Revision des Klägers blieb erfolglos. Das mit dem PKW angefahrene Lotsrevier bilde eine großräumige Betriebsstätte, die in Form des Lotsenturms über eine für die Lotsentätigkeit wesentliche ortsfeste Einrichtung verfüge.

 

Hinweis

1. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG dürfen die Aufwendungen für Fahrten zwischen der Wohnung des Steuerpflichtigen und der Betriebsstätte nicht als Betriebsausgabe abgezogen werden, soweit sie über die Entfernungspauschale nach Satz 2 der Vorschrift i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nrn. 4 und 5 Sätze 1 bis 6 sowie Abs. 2 EStG hinausgehen. Damit soll ein Gleichlauf der Pauschalierung solcher Fahrtaufwendungen für Gewerbetreibende, Freiberufler und Arbeitnehmer hergestellt werden. Dabei entspricht die regelmäßige Arbeitsstätte des Arbeitnehmers der Betriebsstätte des Gewerbetreibenden oder Freiberuflers.

2. Aus diesem Normgefüge erwächst ein normspezifisches Begriffsverständnis (weniger wissenschaftlich ausgedrückt, könnte man auch von einer im Gesetz angelegten Begriffsverwirrung sprechen). Der Begriff der Betriebsstätte im Sinne der Vorschrift ist nämlich nicht deckungsgleich mit dem Betriebsstättenbegriff in § 12 AO. Maßgeblich ist insoweit der Ort, an dem oder von dem aus die beruflichen oder gewerblichen Leistungen erbracht werden, die den steuerbaren Einkünften zugrunde liegen. Eine abgrenzbare Fläche oder Räumlichkeit und eine hierauf bezogene eigene Verfügungsmacht des Steuerpflichtigen ist – im Unterschied zur Geschäftseinrichtung oder zur Anlage i.S.d. § 12 Satz 1 AO – nicht erforderlich.

3. Auf dieser Grundlage ist der Begriff der Betriebsstätte in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 2 EStG gleichermaßen wie der Begriff der "Arbeitsstätte" dadurch gekennzeichnet, dass er eine ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung voraussetzt, die der Steuerpflichtige nicht nur gelegentlich, sondern fortdauernd und immer wieder zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit aufsucht.

Dabei kann auch ein größeres, räumlich geschlossenes Gebiet regelmäßige Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG und Tätigkeitsmittelpunkt i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG sein, wenn es sich um ein zusammenhängendes Gelände handelt, auf dem der Steuerpflichtige auf Dauer und mit einer gewissen Nachhaltigkeit tätig wird und sich in diesem Gelände jedenfalls eine ortsfeste betriebliche Einrichtung befindet, die nach ihren infrastrukturellen Gegebenheiten mit einem Betriebssitz oder mit einer sonstigen betrieblichen Einrichtung eines Arbeitgebers vergleichbar ist.

4. Diese Voraussetzungen erfüllt auch ein Lotsrevier. Es bildet eine großräumige Betriebsstätte, weil es alle Fahrtstrecken in seinem Einzugsbereich erfasst, in dem die Lotsentätigkeit ausgeübt wird, und weil eine ortsfeste Einrichtung in Form des Lotsenturms für die Organisation und Steuerung der Lotseneinsätze vorhanden ist.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 29.4.2014 – VIII R 33/10

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