Leitsatz

Der beschränkte Abzug von Vorsorgeaufwendungen gem. § 10 Abs. 3 EStG ist nicht verfassungswidrig.

 

Normenkette

Art. 2 Abs. 1 GG , Art. 3 Abs. 1 GG , Art. 6 Abs. 1 GG , Art. 19 Abs. 4 GG , § 3 Nr. 62 EStG , § 10 Abs. 3 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger erzielte im Streitjahr 1987 Einkünfte aus selbstständiger Arbeit von 314.027 DM, seine Ehefrau aus einem Ehegattenarbeitsverhältnis Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit von 23.470 DM. Die Vorsorgeaufwendungen betrugen insgesamt 28.894 DM (4.475 DM Sozialversicherungsbeiträge der Klägerin, 8.000 DM freiwillige Rentenversicherungsbeiträge des Klägers, 12.860 DM Lebensversicherung, 3.359 DM Krankenversicherung, 200 DM Haftpflichtversicherung). Der Arbeitgeberbeitrag zur gesetzlichen Sozialversicherung der Klägerin betrug 4.475 DM, davon 2.348 DM für die Rentenversicherung.

Das FA ließ Vorsorgeaufwendungen von 10.672 DM (3.652 DM verbleibender Vorwegabzug, 4.680 DM Grundhöchstbetrag, 2.340 DM hälftiger Höchstbetrag) als Sonderausgaben zum Abzug zu. Die Klage hatte keinen Erfolg.

Im Revisionsverfahren hat der BFH den BMF aufgefordert, dem Verfahren beizutreten.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. § 10 Abs. 3 EStG sei nicht verfassungswidrig. Der Gesetzgeber sei nicht gezwungen, Vorsorgeaufwendungen wie Erwerbsaufwendungen in voller Höhe zum Abzug zuzulassen. Die geringere steuerliche Entlastung der Vorsorgeaufwendungen von Selbstständigen gegenüber Arbeitnehmern verstoße nicht gegen den Gleichheitssatz.

 

Hinweis

1. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. Beschluss vom 10.11.1998, BVerfGE 99, 246) hat der Staat – entsprechend dem sog. subjektiven Nettoprinzip – einem Steuerpflichtigen sein Einkommen insoweit steuerfrei zu belassen, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird (Freistellung des Existenzminimums).

Nicht in dieses Existenzminimum einzubeziehen sind nach Auffassung des BFH Vorsorgeaufwendungen, wie z.B. Aufwendungen für die Altersvorsorge (Rentenversicherungs- oder Lebensversicherungsbeiträge) sowie Aufwendungen für eine Kranken- und Pflegeversicherung. Denn Vorsorgeaufwendungen dienen nicht der Abdeckung des unmittelbaren Bedarfs des täglichen Lebens (der aktuellen Existenzsicherung), sondern der Absicherung erst in der Zukunft liegender existenzieller Risiken.

2. Der BFH unterscheidet demnach zwischen dem gegenwärtigen Grundbedarf eines Steuerpflichtigen, der nach der Verfassung von der Besteuerung auszunehmen ist, und den Aufwendungen, die erforderlich sind, um eine angemessene Vorsorge für künftige Zeiten treffen zu können.

Bei solchen Aufwendungen, die ihrer Art nach als Rücklagen und Sparleistungen zu qualifizieren sind, ist der Gesetzgeber – so der BFH – nicht von Verfassungs wegen verpflichtet, sie im Umfang einer Mindestvorsorge von der Besteuerung abzuschirmen. Insoweit genügt es, dass der Steuerpflichtige nach Erfüllung seiner Einkommensteuerschuld noch ausreichende Mittel zur Verfügung hat, um seine Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung leisten zu können.

3. Der BFH sieht auch keinen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 GG) darin, dass von den Vorsorgeaufwendungen selbstständig tätiger nicht pflichtversicherter Steuerpflichtige im Vergleich zu pflichtversicherten Arbeitnehmern nur ein geringerer Betrag von der Besteuerung abgeschirmt wird. Dazu kommt es immer dann, wenn der Betrag des Vorwegabzugs nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 niedriger ist als der nach § 3 Nr. 62 EStG steuerfreie Arbeitgeberanteil.

Ein Verfassungsverstoß liegt dennoch nicht vor, weil zwischen der Gruppe der Selbstständigen und der Gruppe der Arbeitnehmer Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass die ungleiche Behandlung unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gerechtfertigt erscheint. Der BFH verweist insoweit auf die unterschiedlichen Vorsorgesysteme und auf besondere steuerliche Vergünstigungen, die nur Selbstständigen offen stehen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 16.10.2002, XI R 41/99

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