Im Umgang mit der Unsicherheit, die sich zwangsläufig aus der Unvorhersehbarkeit der Zukunft ergibt, lassen sich zwei Teilaufgaben unterscheiden:

  • Zum einen gilt es, möglichst erwartungstreue (und präzise) Planungen (Prognosen) zu erstellen (kleiner Konfidenzbereich) und
  • zum anderen die Chancen und Gefahren (Risiken) zu identifizieren und zu quantifizieren, die in der Zukunft Abweichungen von dieser Planung verursachen können.

Die Anforderung an erwartungstreue Planwerte (Schätzungen) bedeutet, dass mit Hilfe geeigneter Planungs- und Prognosesysteme bestmögliche und unverzerrte Vorhersagen getroffen werden, und sich diese im Mittel aus vielen Planungsfällen und Planungsperioden als richtig herausstellen. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass Planwerte vielfach weder erwartungstreu sind, noch will man wirklich erwartungstreue Planwerte erzeugen. Dies liegt nicht nur an methodischen Defiziten, sondern an einem Denkfehler.

Planungsansätze beeinflussen Risikovolumen

Häufig wird absichtlich erst eine "konservative Planung" erstellt, deren Planwerte mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest erreicht werden. Umgekehrt findet man ebenfalls häufig "anspruchsvolle" oder "fordernde" Planungen, bei denen ambitionierte Planwerte als Ziele vorgeben werden, die nur bei größter Anstrengung und günstigen Rahmenbedingungen erreichbar sind. Ebenfalls sehr häufig sind Kombinationen beider Verfahren in unterschiedlichen Ebenen oder in unterschiedlichen Bereichen des gleichen Unternehmens mangels einheitlicher und/oder eindeutiger Vorgaben bei der Unternehmensplanung bzw. im Controlling (Planungshandbuch, Controllinghandbuch).

Alle genannten Planungsansätze erlauben keinerlei Prognose über die tatsächlich zu erwartende Entwicklung des Unternehmens, die jedoch maßgebliche Grundlage für unternehmerische Entscheidungen (z. B. in der Investitionsrechnung) sein muss. Die systematischen Abweichungen führen zudem zu einer erhöhten Risikoposition, weil der Umfang von Planabweichungen (Prognoseresiduen) zunimmt (s. Abb. 1).

Abb. 1: Quantifizierung eines Risikos auf Basis von Residuen einer Regression[1]

Die (erwartungstreuen) Planwerte, die die zu erwartende Entwicklung eines Unternehmens beschreiben, unterscheiden sich deutlich von den (oft auch als Planwerte bezeichneten) Zielwerten (für Unternehmenssteuerung und evtl. auch für Entlohnungssysteme). In Planung und Controlling ist es gefährlich, wenn man diesen Unterschied nicht kennt, nicht wahrnimmt und ggf. nicht nachvollziehen kann, ob Planwerte tatsächlich (zumindest intendiert) erwartungstreu sind. Um die einzelnen Planinformationen interpretieren zu können, muss ausdrücklich angegeben werden, wie die Planwerte zu interpretieren sind.

Wenn eine erwartungstreue Planung gefordert wird, müssten Planüber- und Planunterschreitungen in etwa gleichem Umfang auftreten. Wir sind davon überzeugt, dass kaum ein Controller oder Unternehmensplaner jemals eine derartige Analyse in seinem Unternehmen durchgeführt und entsprechende Konsequenzen gezogen hat. Für eine fordernde Unternehmenssteuerung, die die Potenziale des Unternehmens möglichst gut ausschöpft, müssten demzufolge neben den erwartungstreuen Planwerten zusätzlich anspruchsvollere Zielwerte vorgegeben werden.

[1] Gleißner, 2017a.

2.1 Planwerte: Ohne Risikoinformationen nicht aussagekräftig

Häufig werden Planwerte (meist gebraucht i. S. v. "wahrscheinlichsten Werten"), ambitionierte Zielwerte und Erwartungswerte miteinander verwechselt. Der Erwartungswert zeigt, was (gemäß verfügbarer Informationen) im Mittel passieren wird und nur er ist eine sinnvolle Grundlage für unternehmerische Entscheidungen, z. B. Investitionsentscheidungen.

 
Praxis-Beispiel

Unterschied zwischen Planwert und Erwartungswert

Den Unterschied zwischen "traditionellem Planwert" (wahrscheinlichstem Wert, Modus) und Erwartungswert zeigt ein einfaches Beispiel:

Die Geschäftsführung möchte über die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit einer Investition entscheiden, die mit einem Investitionsvolumen von 10 Mio. EUR verbunden ist. Die Beurteilung mit Hilfe der Investitionsrechenverfahren (Barwertmethode) erfordert einen risikogerechten Diskontierungszinssatz (Kapitalkostensatz), der hier zunächst mit 10 % angenommen wird. Die Verantwortlichen für die Projektplanung halten es für am wahrscheinlichsten, dass am Projektende, hier nach einem Jahr, eine Rückzahlung in Höhe von 12 Mio. EUR erfolgt und setzen diese als Planwert an. Damit führen sie folgende einfache Rechnung durch:

Die Investitionsrechnung zeigt, dass ein positiver Barwert von ca. 0,9 Mio. EUR auftritt. Das Projekt ist also wirtschaftlich und wird durchgeführt. Für eine fundierte Investitionsentscheidung ist es allerdings notwendig, sich bewusst zu machen, dass jede Prognose in die Zukunft unsicher ist und entsprechend Planabweichungen auftreten können. Mit einer Risikobeurteilung kann man bspw. zu dem Resultat kommen, dass zwar 12 Mio. EUR Rückfluss der wahrscheinlichste Wert ist (Eintrittswahrscheinlichkeit 60 %), aber mit 20 %iger Wahrscheinlichkeit sogar 13 Mio. EUR bei günstigem Konjunkturv...

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