Leitsatz

1. Bezahlt in einer umsatzsteuerlichen Organschaft die Organgesellschaft kurz vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen die Steuerschuld des Organträgers, so ist die Zahlung nach § 134 InsO anfechtbar, wenn die Steuerforderung gegenüber dem Organträger nicht werthaltig (uneinbringlich) war.

2. Hat die Organgesellschaft die Steuerschuld des Organträgers vor Fälligkeit bezahlt, obwohl der Organträger leistungsfähig war, ist diese Zahlung gegenüber dem FA nicht gem. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar, weil das FA nicht Insolvenzgläubiger ist.

3. Der Haftungsanspruch nach § 73 AO ist gegenüber dem Steueranspruch subsidiär, wenn feststeht, dass der Steuerschuldner zur Zahlung in der Lage ist. Der Tatbestand des § 73 AO wird ergänzt durch die Regelungen in § 191 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 5 AO. Danach setzt der Haftungsanspruch voraus, dass die Haftungsinanspruchnahme bei der gebotenen Ermessensausübung in Betracht kommt.

 

Normenkette

§ 37 Abs. 2 S. 1, § 73 AO, § 130, § 131 Abs. 1 Nr. 1, § 134, § 143 InsO, § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG

 

Sachverhalt

Der Insolvenzverwalter über das Vermögen einer Organgesellschaft, die am Tag vor dem Insolvenzantrag durch ihren Geschäftsbetrieb ausgelöste Umsatzsteuerschulden des Organträgers beglichen hat, möchte diese Zahlung im Weg der Insolvenzanfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO rückgängig gemacht wissen. Das FA ist demgegenüber der Ansicht, eine Insolvenzanfechtung führe zu keinem Erstattungsanspruch gegen das FA, sondern müsse ggf. gegen den Organträger gerichtet werden.

Einspruch und Klage (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.12.2007, 5 K 1605/04, EFG 2008, 481, Haufe-Index 1931204) gegen den Rückforderungsbescheid blieben ohne Erfolg.

 

Entscheidung

Der BFH hat dem FA recht gegeben. Das FA ist nicht Insolvenzgläubiger geworden und daher nicht der richtige Anfechtungsgegner.

 

Hinweis

1. In einer Zuwendung an einen Dritten, dessen Forderung gegen seinen Schuldner nicht werthaltig ist, liegt eine unentgeltliche Leistung, die der Schenkungsanfechtung unterliegt. War nämlich dessen Forderung nicht werthaltig, verliert der Dritte mit dem Erlöschen dieser Forderung durch die Zahlung wirtschaftlich nichts, was als Gegenleistung für die Zuwendung angesehen werden kann. Eine Schenkungsanfechtung scheidet hingegen in einem Dreiecksverhältnis – wie dem hier zu besprechenden Organschaftsverhältnis – aus, wenn die Organgesellschaft Steuerschulden der Organträgerin begleicht, die Organträgerin jedoch an sich selbst leistungsfähig ist.

2. Eine solche Zahlung der Organgesellschaft als Tilgung einer fremden Verbindlichkeit kann deshalb grundsätzlich nicht im Weg der Anfechtung der Zahlung der Organgesellschaft an das FA rückgängig gemacht werden, weil zur Masse ein Befreiungs- oder Rückgriffsanspruch gegen den Schuldner (Organträger) gehört, dessen Schuld der Insolvenzschuldner erfüllt hat, und weil deshalb die Insolvenzgläubiger nicht benachteiligt sind (vgl. BGH, Urteil vom 05.02.2004, IX ZR 473/00, ZInsO 2004, 499). Eine Insolvenzanfechtung kommt in solchen Fällen nur ausnahmsweise in Betracht, wenn ein Befreiungs- oder Rückgriffsanspruch des Insolvenzschuldners, der Organgesellschaft, gegen den Organträger nicht besteht und der Zahlungsempfänger (FA) einen Anspruch gegen die Organgesellschaft auf die Sicherung oder Befriedigung hatte.

3. Ein solcher Anspruch des FA könnte sich aber nur aus § 73 AO ergeben (Organhaftung). Diese ist jedoch – wie grundsätzlich jede Steuerhaftung – subsidiär, darf also nur geltend gemacht werden, wenn die Schuld bei dem (primär verantwortlichen) Steuerschuldner nicht realisiert werden kann. Allein dass der Tatbestand der Haftungsnorm erfüllt ist, begründet noch keinen "Anspruch" in dem hier maßgeblichen Sinn; denn der Tatbestand der Anspruchsnorm ist insofern unvollständig und wird durch die Ermessensermächtigung des FA ergänzt.

4. Dass das Ermessen bereits tatsächlich ausgeübt worden, ein Haftungsbescheid also bereits ergangen ist, verlangt der BFH allerdings mit Recht nicht; der Haftungsbescheid müsste jedoch rechtmäßig (ermessensgerecht) ergehen können, woran es bei Zahlungsfähigkeit des Organträgers gerade fehlt.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 23.09.2009 – VII R 43/08

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