Entscheidungsstichwort (Thema)

Auffälligkeiten beim „Chi-Quadrat-Test“ allein kein Grund, die Buchführung zu beanstanden

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es ist nicht Sache des Klägers, darzulegen und zu dokumentieren, dass das von ihm eingesetzte Kassenprogramm Änderungen nicht zulasse. Das Finanzamt muss vielmehr den Nachweis erbringen, dass das Kassenprogramm Manipulationen ermöglicht.

2. Allein der Umstand, dass ein Chi-Quadrat-Test - eine statistische Methode des Vergleichs der festgestellten Ziffern mit deren theoretisch erwarteter Häufigkeit, basierend auf der Annahme, dass derjenige, der manipuliert, unbewusst bestimmte „Lieblingszahlen“ häufiger verwendet - eine 100%ige Manipulationswahrscheinlichkeit ergeben hat, rechtfertigt keine Zuschätzungen, wenn das häufigere Auftreten bestimmter Zahlen sich zwangsläufig aus der Preisgestaltung des Unternehmers ergibt.

 

Normenkette

AO § 90 Abs. 1, § 147 Abs. 1, §§ 158, 162

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die im Anschluss an eine die Streitjahre 2005 bis 2007 umfassende Außenprüfung vorgenommene Zuschätzung der Erlöse von jährlich 3.000,00 € rechtens ist.

Die 1958 geborene Klägerin betreibt im Einzelunternehmen mit Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich in G einen Friseursalon; ihr 1951 geborener, mit ihr zur Einkommensteuer zusammen veranlagter Ehemann (Kläger wegen Einkommensteuer 2005 bis 2007) ist mit einem Jahresbruttoarbeitslohn (2007) von 11.816,00 € als Kraftfahrer bei einer AG in W angestellt.

Die in der Zeit vom 21. Januar bis 17. Februar 2009 bei der Klägerin für 2005 bis 2007 durchgeführte Außenprüfung bemängelte u.a., dass die Kassenbuchführung durch das Computer-Programm "Lexware" formell nicht ordnungsgemäß sei (Tz. 1.3 des Bp-Berichts vom 18. Februar 2009). Die Kassenbücher seien in Form von Excel-Tabellen geführt worden; es fehlten Kassenberichte. Des Weiteren seien die von der Klägerin geführten Terminbücher nicht mehr vorhanden. Die Strukturanalyse mit "Chi-Test" hätte eine Manipulationswahrscheinlichkeit von 100 % ergeben. Die erklärten Umsatzerlöse seien daher um jährlich 3.000,00 € zu erhöhen. Dem folgte das Finanzamt und erließ am 24. März 2009 für die Streitjahre nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO dementsprechend geänderte Festsetzungen über Einkommensteuer und den Gewerbesteuermessbetrag. Die Gewinne aus Gewerbebetrieb wurden für die Jahre 2005 um 2.725,00 € auf 56.462,00 €, 2006 um 2.646,00 € auf 65.375,00 € und 2007 um 7.060,00 € auf 52.640,00 € erhöht.

Mit ihrem hiergegen eingelegten Einspruch machten die Kläger bzw. machte die Klägerin geltend, dass das Kassenbuch von Lexware ordnungsgemäß geführt worden sei. Es seien keine Kassenfehlbeträge oder sonstige Unregelmäßigkeiten festgestellt worden. Dem Steuerpflichtigen stehe es frei, ob er seine Kasse per Kassenbuch oder per Kassenbericht führen wolle. Ein ausschließlich aus Gründen der Organisation geführtes Terminbuch, das mit der Besteuerung nichts zu tun habe, unterliege nicht der Aufbewahrungspflicht des § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO. Da die sachliche Richtigkeit der Buchführung nicht beanstandet worden sei, müsse sie der Besteuerung zu Grunde gelegt werden. Der vorgenommene Unsicherheitszuschlag sei nicht berechtigt; der Prüfer habe unbedingt ein Mehrergebnis erzielen wollen.

Mit Entscheidungen vom 12. Februar 2010 wies das Finanzamt die Einsprüche als unbegründet zurück (Bl. 39 bzw. 45 Rb-Akte). Nach seiner Auffassung genügt das hier eingesetzte Kassenbuch "Lexware" nicht den Erfordernissen einer ordnungsgemäßen Buchführung. Es ersetze nicht den notwendigen Kassenbericht. Die Klägerin habe das Zustandekommen der Summe der eingetragenen Kasseneinnahmen nicht durch Aufbewahrung von Kassenstreifen, Kassenzettel, Bons oder Kassenberichten nachgewiesen. Das Kassenbuch ersetze nicht den Kassenbericht. Die gesetzlich geforderte Unveränderbarkeit der Kassenbucheintragungen (§ 146 Abs. 4 AO) sei bei "Lexware" nicht gewährleistet. Die Klägerin habe nicht darlegen und dokumentieren können, dass das Lexware-Kassenprogramm Manipulationen und Änderungen nicht zulasse. Die finanzamtliche Zuschätzung mit ca. 2 % der Umsätze liege im unteren Bereich. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die tatsächlich erzielten Umsätze wesentlich höher gewesen seien. Das Terminbuch stelle bei einem Friseurbetrieb für das Finanzamt eine wichtige Grundlage zur Umsatzverprobung dar. Diese Überprüfungsmöglichkeit habe die Klägerin verhindert. Die Vorlage habe in ihrem Machtbereich gelegen; sie habe somit gegen § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO verstoßen. Die im Rahmen der Prüfung erstellte Strukturanalyse und der darin enthaltene "Chi-Test" hätten eine 100 %-ige Manipulationswahrscheinlichkeit ergeben.

Mit der vorliegenden Klage wird missbräuchliche Ausübung des finanzamtlichen Prüfungsrechts und ein unzulässiges Unterlaufen des § 158 AO gerügt. Der Prüfer habe keine Beweise für eine Unsicherheit, geschweige eine Manipulation gefunden. Die von ihm durchgeführte Kalkulation habe unter den erklärten Betriebsergebnissen gelegen und sei auch nicht mehr...

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