Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerfreiheit von Umsätzen aus 24-Stunden-Pflege

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Anbieter von 24-Stunden-Pflege, der die 40%-Schwelle des § 4 Nr. 16 lit. e UStG a.F. nicht erreicht, kann sich für die Steuerfreiheit seiner Umsätze unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. g der 6. EGRL berufen. Für die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter ist die 40%-Schwelle nicht anzuwenden, wenn er Verträge mit den Pflegekassen abgeschlossen hat und das Nicht-Erreichen der Schwelle nur darauf beruht, dass die Leistungen der Pflegekasse entsprechend der Pflegestufe nicht ausreichen und der zu Pflegende aufgrund seiner finanziellen Leistungsfähigkeit im Übrigen Selbstzahler ist.

 

Normenkette

UStG § 2 Abs. 2 Nr. 2; UStG 2005 § 4 Nr. 16 Buchst. e; 6. EGRL Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 28.06.2017; Aktenzeichen XI R 23/14)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger als Organträger die Umsatzsteuer für Umsätze der A GmbH schuldet und ob Umsätze eines ambulanten Pflegedienstes nach Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. g der 6. EG-Richtlinie steuerbefreit sind.

Der Kläger ist Krankenpfleger. Seit 1995 betrieb er als Einzelunternehmer einen ambulanten Pflegedienst. Er hatte Verträge mit Krankenkassen, Pflegekassen und Sozialämtern, wobei er zunächst mit ca. fünf angestellten Pflegekräften sich der klassischen Krankenpflege widmete.

Seit Ende der 90er Jahre kam schwerpunktmäßig die 24-Stunden-Pflege hinzu.

Im Jahr 2003 gründete der Kläger die A GmbH mit Sitz in M, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftführer er war. Sodann übernahm die GmbH den Geschäftsbereich der 24-Stunden-Pflege, die durch in Schlesien beheimatete Polinnen ausgeführt wurde. Für den einzelnen Pflegefall stellte sie 2.750 € mtl. in Rechnung.

Am 29.07.2004 schloss die GmbH mit verschiedenen Pflegekassen, Verbänden von Krankenkassen, der Bundesknappschaft sowie der Stadt M als Sozialhilfeträger einen Versorgungsvertrag gemäß § 72 SGB XI (Bl. 98 - 102 Prüfer-HA). Bereits am 12.08.2003 im Vorgriff auf diesen Versorgungsvertrag und am 21.06.2005 auf der Basis des Vertrages hatte die GmbH Vergütungsvereinbarungen mit den Vertragspartnern getroffen (Bl. 103/104 Prüfer-HA).

Die A GmbH schloss mit Frau E.W. einen "Pachtvertrag" mit Wirkung ab dem 01.02.2006, mit dem die im Vertrag festgelegte Zahl an Pflegeverträgen gegen Zahlung einer monatlichen Pacht von 12.000 € incl. MwSt auf Frau W übertragen wurde; die Rückübertragung der Verträge im Falle der Kündigung des Pachtvertrages war ausgeschlossen (Bl. 204/205 PA).

Mit Beschluss des Amtsgerichts M vom 09.11.2006 - 4 IN .../06 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet und Rechtsanwalt E zum Insolvenzverwalter bestellt. Bereits am 04.09.2006 war Rechtsanwalt E zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden; Verfügungen des Schuldners waren nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam (Bl. 148/149 PA).

Der Beklagte führte ab Mitte 2006 bei der GmbH eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch, deren Ergebnis im Bericht vom 05.02.2007 dargestellt ist. Der Prüfer vertrat die Auffassung, dass der Kläger Organträger der GmbH sei. Er war des weiteren der Auffassung, dass die Umsätze der GmbH nicht nach § 4 Nr. 16 Buchst. e) UStG steuerfrei seien, da die Schwellenwerte für 2004 nicht erreicht seien. Gemäß Ziffer 14.2 des Prüfungsberichtes hatte im Jahr 2004 der Sozialversicherungsträger bzw. die Sozialhilfe in 287 von insgesamt 998 von der GmbH abgerechneten Fällen mehr als 50% der Pflegekosten übernommen; daraus errechnete sich in einem Anteil von 28,75% eine Kostenübernahme von mehr als 50%.

Für 2005 rechnete der Kläger insgesamt 1.852.774,65 € ab; der von den Selbstzahlern gezahlte Anteil betrug 1.497.711,55 € (Bl. 142 Prüfer-HA).

Der Kläger reichte im Verlauf der Prüfung Voranmeldungen für die Monate Januar bis Dezember 2005 ein, in denen er die Umsätze der GmbH erklärte. Er erklärte jedoch, dass mit der Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen keine Option für die Organschaft erklärt werde (Schreiben vom 05.06.2005, Bl. 59/60 Fg-Akte).

Der Beklagte erließ am 26.02.2007 einen Bescheid über die Festsetzung einer Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das 4. Quartal 2005 entsprechend den Prüfungs-feststellungen.

Am 06.03.2007 reichte der Kläger Umsatzsteuer-Voranmeldungen für die Monate Januar bis Oktober 2006 ein, mit denen er als Organträger steuerpflichtige Umsätze der GmbH aus der 24-Stunden-Pflege erklärte.

Der Kläger legte am 13.03.2007 gegen den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid IV 2005 sowie gegen die Umsatzsteuer-Voranmeldungen für die Monate Januar bis Oktober 2006 Einspruch ein. Seine Einsprüche begründete er zum einen damit, dass die zwingende Annahme einer Organschaft gegen den Grundsatz der Rechtsform-Neutralität verstoße. Zum anderen könne er sich für die Steuerfreiheit der Umsätze direkt auf Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. g der 6. EG-Richtlinie berufen.

Am 17.08.2007 erließ der Beklagte einen Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2005 und am 04....

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