Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorläufige Einkommensteuerveranlagungen über zwölf Jahre hinweg im Hinblick auf die Einkunftserzielungsabsicht einer zur Vermietung vorgesehenen, langjährig renovierten und leerstehenden, zeitweise selbstgenutzten Immobilie

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das FA darf Einkommensteuerbescheide nach § 165 Abs. 1 S. 1 und 2 AO teilweise vorläufig erlassen, wenn die Einkunftserzielungsabsicht bezüglich einer leerstehenden, zur Vermietung vorgesehenen Immobilie erst aufgrund einer mehrjährigen, über den einzelnen Veranlagungszeitraum hinausgehenden Betrachtung beurteilt werden kann. Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist insoweit nach § 171 Abs. 8 AO solange gehemmt, bis das FA positive Kenntnis vom Bestehen oder Nichtbestehen der Einkunftserzielungsabsicht hat.

2. Da bei der Feststellung des Bestehens oder der Aufgabe der Einkünfteerzielungsabsicht als innere Tatsache äußere Umstände über einen längeren Zeitraum hinweg als Indizien heranzuziehen und im Rahmen der Gesamtbeurteilung zu berücksichtigen sind, kann die Ungewissheit über das Bestehen der Einkünfteerzielungsabsicht ggf. viele Jahre bestehen und dementsprechend eine vorläufige Veranlagung über viele Jahre hinweg rechtfertigen.

3. Hat das FA streitige Vermietungseinkünfte in einem Jahr zunächst mit der Begründung weggefallener Einkünfteerzielungsabsicht nicht zum Abzug zugelassen, im Einspruchsverfahren aber doch anerkannt und wieder eine vorläufige Veranlagung durchgeführt, so ist damit nicht die „Ungewissheit” i. S. d. § 171 Abs. 8 AO über die Einkünfteerzielungsabicht entfallen. Das gilt ebenso, wenn in einer vorläufigen Veranlagung zusätzlich erläutert wird, dass in Zukunft wegen fehlender Einkunftserzielungsabsicht keine Ausgaben mehr anerkannt werden könnten, wenn im Folgejahr keine Vermietung des streitigen Gebäudes erfolgen sollte.

4. Wird ein sanierungsbedürftiger Altbau über einen Zeitraum von zwölf Jahren renoviert und nach zehn Jahren erstmals zur Vermietung inseriert, so ist nicht zu erkennen, dass die Steuerpflichtige zielgerichtet daraufhin gewirkt hat, durch bauliche Umgestaltungen einen vermietbaren Zustand des Objekts zu erreichen. Eine Einkunftserzielungsabsicht kann auch nicht daraus abgeleitet werden, dass die Steuerpflichtige ab dem zehnten Jahre erfolglos jeweils drei bis vier Vermietungsinserate pro Jahr aufgegeben hat, wenn die Steuerpflichtige trotz der Erfolglosigkeit dieser vom Anforderungsprofil her identischen Inserate keine anderweitigen Maßnahmen (z. B. Einschaltung eines Maklers, Zugeständnisse bei der geforderten Miethöhe usw.) ergriffen hat.

5. Die Tatsache, dass in den rd. sechzehn Jahren ab Beginn der Renovierung keine Vermietung des Objekts erfolgt ist und die Steuerpflichtige anschließend das streitgegenständliche Einfamilienhaus selbst genutzt hat, lässt sich als Indiz dafür werten, dass sie von Anfang an nicht endgültig dazu entschlossen war, eine Wohnung in dem Einfamilienhaus zu vermieten.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 S. 1, § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Abs. 1 S. 1 Nr. 6, § 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; AO § 165 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2 S. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 16.06.2015; Aktenzeichen IX R 27/14)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die geltend gemachten Werbungskostenüberschüsse bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in den Streitjahren 1996 – 2007 anzuerkennen sind.

Die Klägerin wurde mit ihrem nach Ablauf der Streitjahre verstorbenen Ehemann als Ehegatte zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie war in den Jahren 1996 und 1997 mit ihrer Hauptwohnung in X. und mit ihrer Nebenwohnung in Y. gemeldet; danach wurde Y. als Hauptwohnung und X. als Nebenwohnung angegeben.

Der Ehemann der Klägerin erzielte als Krankenpfleger und die Klägerin als Krankenschwester Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in den Streitjahren. Daneben erklärten sie in ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre folgende Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus einem Einfamilienhaus in X.:

1996

1997

1998

1999

2000

2001

- xx.xxx DM

- xx.xxx DM

- xx.xxx DM

- xx.xxx DM

- xx.xxx DM

- xx.xxx DM

2002

2003

2004

2005

2006

2007

- x.xxx EUR

- x.xxx EUR

- xx. xxx EUR

- x.xxx EUR

- xx.xxx EUR

- x.xxx EUR

Eine Aufteilung der angefallenen Werbungskostenüberschüsse auf einen selbst genutzten und einen künftig zu vermietenden Teil des Anwesens erfolgte nicht. Aus dem Objekt erklärte die Klägerin seit dem Jahr 1993 Werbungskostenüberschüsse. Die Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre wurden 1997 für das Jahr 1996, 1998 für das Jahr 1997, 1999 für das Jahr 1998, 2001 für das Jahr 2000, 2002 für das Jahr 2001, 2003 für das Jahr 2002, 2004 für das Jahr 2003, 2005 für das Jahr 2004, 2006 für das Jahr 2005 und 2008 für das Jahr 2006 eingereicht.

Das nach Angaben der Klägerin etwa um 1900 erbaute Einfamilienhaus in X. befand sich seit Jahrzehnten im Familienbesitz und wurde von der Klägerin im Wege der vorweggenommenen Erbfolge erwor...

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