Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldanspruch eines im Inland gewerblich Tätigen für seine in Polen bei der Ehefrau lebenden Kinder. inländischer Wohnsitz

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Einem inländischen Wohnsitz nach § 8 AO steht nicht entgegen, dass der Steuerpflichtige im Ausland ein Familienwohnsitz unterhält, wo sich der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen befindet.

2. Bei Bestehen eines inländischen Wohnsitzes ergibt sich ein Kindergeldanspruch nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG auch dann, wenn der Antragsteller vom Finanzamt als nach § 1 Abs. 3 EStG unbeschränkt Steuerpflichtiger behandelt wurde.

3. Bei einem nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtigen Antragsteller, der nach Art. 68 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a VO (EG) Nr. 883/2004 in Verbindung mit Art. 11 Abs. 3 VO (EG) Nr. 883/2004 den deutschen Rechtsvorschriften bei Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit unterliegt, besteht ein Kindergeldanspruch nicht nur in den Monaten, in denen er tatsächlich inländische Einkünfte erzielt, sondern während des gesamten Zeitraums seine selbstständigen Erwerbstätigkeit.

 

Normenkette

EStG § 1 Abs. 1, 3, § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 S. 1; AO § 8; EGV 883/2004 Art. 68 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Art. 11 Abs. 3, Art. 1 Buchst. a

 

Tenor

1. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Kindergeld für das Kinder D, geb. am 31.07.2000, für den Zeitraum Januar 2013 bis Februar 2015 in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen den vorrangigen polnischen Familienleistungen und dem Kindergeld nach § 66 Abs. 1 EStG zu bewilligen. Die Berechnung der sich hieraus ergebenden Beträge wird der Beklagten auferlegt.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist der Kindergeldanspruch für den Zeitraum Januar 2013 bis Februar 2015 für das Kind D (D).

Der Kläger, ein polnischer Staatsangehöriger, stellte mit Schreiben vom 23.09.2017 bzw. 12.12.2017 einen Kindergeldantrag bei der beklagten Familienkasse. Er gab als Wohnadresse die W-Str. in M an. Außerdem gab er an, dass seine Ehefrau in Polen lebt. Der Kindergeldantrag wurde für das gemeinsame und in Polen lebende Kind D, geboren am 1.07.2000, gestellt. Die Anschrift von D entspricht der der Ehefrau des Klägers. Dem Kindergeldantrag wurden folgende Anlagen beigefügt:

  • • Anlage Ausland, angegeben wird eine unselbstständige Erwerbstätigkeit bei der J UG und eine selbstständige Erwerbstätigkeit bei der J UG, jeweils unter der Adresse W in M;
  • • Anlage Kind;
  • • Mietvertrag vom 26.02.2012 zwischen Frau K und dem Kläger über die Wohnung in der W-Straße ab 01.03.2012 nebst Übergabeprotokoll;
  • • verschiedene Überweisungsbelege für Mietzahlungen über monatlich 720 EUR in den Jahren 2014-2017 (mit Lücken) bzw. 620 EUR in 2012 (nur Mai und März);
  • • Aufstellungen aus der Buchführung über Mietzahlungen (verschiedene Beträge, z.B. 415 EUR, 620 EUR, 84 EUR, 478,74 EUR, 300 EUR, 920 EUR, ab 08/14 720 EUR und zusätzlich 300 EUR monatlich);
  • • Gewerbeanmeldung der … über eine vom Kläger zum 27.03.2015 angemeldete Tätigkeit im Bereich Fliesen-, Platten-und Mosaiklegerhandwerk, Bodenleger, Gartenbau und Landschaftsbauarbeiten;
  • • Einkommensteuerbescheid für 2015 des Finanzamts für den Kläger und seine Ehefrau über eine Veranlagung nach § 1 Abs. 3 EinkommensteuergesetzEStG – (Einkünfte aus Gewerbebetrieb und aus nicht selbständiger Arbeit);
  • • Lohnsteuerbescheinigung 2016 und 2017 für den Kläger für eine Tätigkeit bei der J UG.

Außerdem wurden folgende Unterlagen nachgereicht:

  • • Einkommensteuerbescheid 2013 des Finanzamts … für den Kläger alleine vom 21.05.2015 mit einer reguläre Veranlagung nach § 1 Abs. 1 EStG (kein § 1 Abs. 3 EStG). Angesetzt werden Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus Beteiligungen in Höhe von 1.385 EUR;
  • • Einkommensteuerbescheid 2014 des Finanzamts München für den Kläger allein vom 02.08.2016, reguläre Veranlagung nach § 1 Abs. 1 EStG (kein § 1 Abs. 3 EStG). Angesetzt werden Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus Beteiligungen in Höhe von 9.816 EUR;
  • • Lohnsteuerbescheinigung 2015, Arbeitgeber: J UG;
  • • Buchführungsunterlagen mit Erlösen 2015 der J & Partner GbR und der J UG;
  • • Gewerbeanmeldung der J & J & P GbR bei der Gemeinde N mit einer Betriebsstätte in N über eine Tätigkeit im Bereich Fliesen-, Platten-, Mosaik-, Boden-, Estrichleger, Akustik und Trockenbau, Parkettleger, Baugrubenreinigung, Hausmeister, Gebäudereinigung, Einbau von genormten Baufertigteilen zum 31.12.2015;
  • • Rechnungen der J UG und der J & Partner GbR über in sämtlichen Monaten der Jahre 2013 und 2014 im Inland erbrachte Leistungen an inländische Kunden;
  • • Vermieterbescheinigung von Herrn K vom 27.06.2018 über ein Mietverhältnis des Klägers in der W-Straße, beginnend ab 29.01.2014.

Die Beklagte lehnte den Kindergeldantrag für den Zeitraum Ja...

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