Entscheidungsstichwort (Thema)

"Neue Tatsache" i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nach Änderungsbescheid

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Bei Änderung eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO und zugleich auch nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist das FA gehalten, sämtliche ihm bekannten Tatsachen zu berücksichtigen.

2) Geht das FA hierbei einer vom Erbschaftsteuerfinanzamt mit der Bitte um Überprüfung auf einkommensteuerliche Relevanz übersandten Anzeige einer Versicherungsgesellschaft nicht nach, scheidet die spätere Berichtigung sich aus der Anzeige ergebender Tatsachen als neuen Tatsachen gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO aus.

 

Normenkette

AO §§ 88, 173

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist in der Sache streitig, ob Leistungen aus einer Versicherung bei der Klägerin als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu erfassen sind.

Die steuerlich beratene Klägerin wurde im Streitjahr 1996 mit ihrem am 12. Februar 1996 verstorbenen Ehemann zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Ehemann der Klägerin war bis zu seinem Tod als Mitglied des Vorstands der Firma A AG (im Folgenden: AG) bestellt und erzielte aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Klägerin erhielt nach dem Tod ihres Ehemannes bis zu ihrer Wiederverheiratung eine Witwenpension von monatlich 10.400 DM.

Der von den Beteiligten nicht mehr auffindbare Anstellungsvertrag des verstorbenen Ehemanns der Klägerin aus dem Jahr 1988 regelte unter anderem auch die Ansprüche auf Versorgungsleistungen. Zur Abdeckung dieser Ansprüche schloss die AG eine „Rückdeckungsversicherung” beim B (im Folgenden: B) ab. Im Jahr 1992 trafen der verstorbene Ehemann und die AG hinsichtlich der Versorgungsleistungen in Ergänzung des ursprünglichen Anstellungsvertrags unter anderem folgende Vereinbarung:

„Gemäß V (Abtretung und Rückdeckung) der Versorgungszusage vom 15. August 1988 hat die Gesellschaft das Recht zur Rückdeckung der erteilten Versorgungszusage eine entsprechende Versicherung abzuschließen, woraus ausschließlich die Gesellschaft berechtigt ist. Für den Fall des vorzeitigen Ablebens von Herrn C (Anm.: dem damaligen Ehemann der Klägerin) wird vereinbart, dass alleiniger Bezugsberechtigter die Ehefrau von Herrn C, Frau CA … (Anm.: die Klägerin) sein soll und die Auszahlung der Versicherungsleistung direkt an diese zu erfolgen hat.”

Diese Vereinbarung, die sich in den Steuerakten des Beklagten befindet und auf die für nähere Einzelheiten Bezug genommen wird, wurde vom verstorbenen Ehemann der Klägerin sowie dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates der AG unterzeichnet und der Versicherung mitgeteilt.

Nach dem Tod des Ehemannes zahlte die Versicherung (B) im Jahr 1996 unter anderem einen Betrag in Höhe von 1.309.674 DM aus der oben genannten „Rückdeckungsversicherung” an die Klägerin in ein Beitragsdepot aus.

In einer entsprechenden Anzeige nach § 33 Abs. 3 ErbStG vom 16. Dezember 1996 teilte die B dem für die Erbschaftsteuer zuständigen Finanzamt unter anderem Folgendes mit:

„Versicherter: C…” (Anm.: verstorbener Ehemann der Klägerin)

„Versicherungsnehmer: Firma A AG …”

„Auszuzahlender Versicherungsbetrag: 1.309.674 DM”

„Zahlungsempfänger: CA …” (Anm.: Klägerin)

„Zahlung (erfolgt) auf Weisung des Versicherungsnehmers”

„Nach der Auszahlungsbestimmung des Versicherungsnehmers … ist bezugsberechtigt: der Versicherungsnehmer”

„Bemerkungen: Rückdeckungsversicherung”

Für nähere Einzelheiten wird auf die in der Rechtsbehelfsakte des Beklagten (dort Bl. 20) befindliche Anzeige vom 16. Dezember 1996 Bezug genommen.

Die Klägerin reichte die von ihrem Steuerberater nach dem Tod ihres Ehemannes erstellte Erbschaftssteuererklärung am 25. September 1997 bei dem für die Erbschaftsteuer zuständigen Finanzamt ein. In dieser Steuererklärung war die Auszahlung der oben genannten Versicherungssumme nicht angegeben.

Mit Schreiben vom 22. Januar 1998 wies der zuständige Bearbeiter beim Erbschaftsteuerfinanzamt darauf hin, dass ihm eine entsprechende Anzeige der Versicherung nach § 33 ErbStG vorliege und bat um Mitteilung, weshalb die Auszahlung nicht angegeben worden sei.

Die von ihrem Steuerberater vertretene Klägerin erläuterte daraufhin mit Schreiben vom 28. Januar 1998, dass sie zunächst davon ausgegangen sei, dass es sich um eine bei der Einkommensteuer zu erfassende betriebliche Altersversorgung gehandelt habe. Da sie – die Klägerin – allerdings ebenfalls im Todesfall bezugsberechtigt sei, müsse der Vorgang auch bei der Erbschaftsteuer Berücksichtigung finden.

Das für die Erbschaftsteuer zuständige Finanzamt setzte daraufhin nach weiteren Ermittlungen die Erbschaftssteuer unter Berücksichtigung der oben genannten Versicherungsauszahlung mit Bescheid vom 14. April 1998 fest und informierte den Beklagten über den Erbfall sowie die berücksichtigten Vermögenswerte durch eine „Kontrollmitteilung” vom 5. Oktober 1998.

Die Klägerin reichte ihre von demselben Steuerberater angefertigte Einkommensteuererklärung für 1996 am 10. Februar 1998 beim Beklagten ein. In dieser Er...

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