Nachgehend

BFH (Urteil vom 23.09.1999; Aktenzeichen XI R 63/98)

 

Tatbestand

Der Kläger ist ein eingetragener Verein. Nach § 4 seiner Satzung ist „Der Verein ein Zusammenschluß von Menschen; die sich für die staatsbürgerliche Bildung in der Gesellschaft, insbesondere zum Thema der demokratischen Grundordnung einsetzen wollen. Dieser Zweck soll verfolgt Werden durch:

  1. Eine intensive Aufklärungs- und Bildungsarbeit.
  2. Die gedankliche Weiterentwicklung der Staats- und Gesellschaftsform unter dem Gesichtspunkt des zunehmenden Bedürfnisses der Menschen nach Selbstbestimmung und nach Möglichkeiten der direkten politischen Einflußnahme, z. B. durch Volksbegehren und Volksentscheidung.
  3. Der Verein ist parteipolitisch neutral. Er verfolgt keine politische Zwecke im Sinne der einseitigen Beeinflussung der politischen Meinungsbildung oder der Forderung politischer Parteien.”

Zuletzt wurde der Kläger für das Jahr 1990 mit Freistellungsbescheid vom ….1992 als gemeinnützig anerkannt.

Im Jahr 1991 führte der Kläger eine Anzeigenkampagne unter dem Titel „Du sollst nicht lügen” durch. Ausgangspunkt hierfür war die Bundestagswahl 1990; während im Wahlkampf zu dieser Bundestagswahl von den späteren Regierungsparteien eine Steuererhöhung ausgeschlossen wurde, wurde sie nach der Bundestagswahl durchgeführt. Dagegen Wandte sich der Kläger mit seiner Anzeigenkampagne, die den Untertitel „Steuer ja, Wahlbetrug nein. Wir verlangen Neuwahlen!” trug. Wegen der Einzelheiten der Anzeige wird auf Bl. 66 d. A. verwiesen. Neben dem Aufruf zur Unterschriftensammlung enthielt die in 10 meist überregionalen Zeitungen erschiene ganzseitige Anzeige unter anderem den Hinweis, daß diese Anzeige aus Spendengeldern finanziert worden sei. Nach den Angaben des Klägers sind hierfür …, 00 DM verwendet worden.

Der Beklagte sah in dieser Anzeige eine massive Beeinflussung der politischen Willensbildung; demzufolge erließ er am ….1993 einen Haftungsbescheid nach § 10 b Abs. 4 EStG, in welchem der Kläger mit einem Betrag von … 00 DM für die entgangene Steuer wegen zweckwidriger Verwendung der Spendengelder in Haftung genommen wurde.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Klage gegen den Haftungsbescheid. Er ist der Ansicht, daß eine zweckwidrige Verwendung von Spendengeldern nicht vorliege. Der Text der Anzeige gebe der Meinung Ausdruck, daß eine solidarische Steuererhöhung zur Finanzierung der Wiedervereinigung von einer großen Mehrheit der Bevölkerung verstanden und mitgetragen werde. Es werde jedoch zurecht gerügt, daß „Die Karten nicht vor der Wahl auf den Tisch gelegt” worden seien. Die Anzeige bemängele insoweit, daß generell nach den Wahlen Wahlversprechen nicht mehr zählen würden, daß bisher diesbezüglich allerdings keinerlei nachträgliche Kontrollmöglichkeiten vorgesehen seien. Deshalb werde in der Anzeige auch das Schlagwort: „Wir wollen keine Zuschauerdemokratie” verwendet. Die fragliche Anzeigenaktion stelle nur einen Bruchteil der Gesamtaktivitäten des Klägers im Jahre 1991 dar. Neben der üblichen laufenden Vereinsarbeit seien im Jahre 1991 Veranstaltungsreihen, Bildungsveranstaltungen und Tagungen durchgeführt worden; außerdem sei er an Informationsständen in Erscheinung getreten. Er gebe zahlreiche Publikationen zum Thema „Direkte Demokratie” heraus. Seine Mitarbeiter würden sowohl als Referenten zu Vortragsveranstaltungen als auch zu Anhörungen im Gesetzgebungsverfahren eingeladen.

Mit der fraglichen Anzeige habe er keine parteipolitischen Zwecke verfolgt. Es habe vielmehr ein allgemeines Problem der parlamentarischen Demokratie anhand der Bundestagswahlen 1990 aufgezeigt werden sollen, daß nämlich die Gewährung von Zusagen durch die später gewählte Regierung keinen unmittelbaren Kontroll- oder Sanktionsmöglichkeiten durch die Bevölkerung unterliege. Deswegen bemühe er sich, das Fehlen derartiger Kontrollmöglichkeiten durch Wege der direkt-demokratischen Einflußnahme auszugleichen. Seine Neutralität komme darin zum Ausdruck, daß sämtliche in der Anzeige gewählten Formulierungen allgemein und ohne konkreten Parteienbezug stünden. So tauchten lediglich Formulierungen wie „Vertreter des Volkes”, „gewählte Volksvertreter” sowie „Verantwortliche in Bonn” auf. Die damit verbundene indirekte Kritik an der Regierung nach der Bundestagswahl im Jahr 1990 liege in der Natur der Sache. Eine Kritik am Fehlen plebiszitärer Elemente, die eine Reaktion auf nichteingehaltene Wahlversprechen ermöglichten, müsse automatisch die jeweilige Regierung treffen. Durch die Anzeige werde der Bürger lediglich aufgefordert, Kritik am bestehenden System zu äußern. Die neutralen Formulierungen machten deutlich, daß das gesamte Parteienspektrum in der Bundesrepublik betroffen sei. Die Erreichung seines gemeinnützigen Zieles, die unmittelbare Einflußnahme der Burger auf die Politik zu stärken und damit Auswüchse der repräsentativen Demokratie zu mildern, führe zwangsläufig zu einer gewissen Beeinflussung der politischen Meinungsbildung. De...

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