Entscheidungsstichwort (Thema)

Erlösschätzung bei nicht ordnungsgemäßer Buchführung: Schätzungsmethode bei Nichtdurchführbarkeit einer Ausbeutekalkulation – Interner Betriebsvergleich auf der Grundlage vorgefundener Belege aus Folgejahren

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Eine Erlösschätzung für einen Gastronomiebetrieb wegen nicht ordnungsgemäßer Buchführung kann sachgerechter Weise über einen Zeitraum von 10 Jahren anhand der durchschnittlichen Tageserlöse vorgenommen werden, die aus zwei im Rahmen der Durchsuchung aufgefundenen, nicht zum Eingang in die „offizielle” Buchführung bestimmten Z-Bons für ein dem Prüfungszeitraum um zwei Jahre nachfolgendes Jahr abgeleitet worden sind, wenn Anhaltspunkte für eine Änderung der innerbetrieblichen Verhältnisse in den zurückliegenden Jahren nicht vorliegen und eine Ausbeutekalkulation wegen Nichtvorlage der verwendeten Tageskarten nicht möglich ist.
  2. Unwägbarkeiten aufgrund von Preisanstiegen und etwaigen Umsatzschwankungen kann dabei durch Sicherheitsabschläge Rechnung getragen werden.
  3. Eine solche innerbetriebliche Anknüpfung erscheint gegenüber einem externen Betriebsvergleich nach der Richtsatzsammlung oder den Verhältnissen eines Vergleichsbetriebs vorzugswürdig.
  4. Wenn keine anderen Erkenntnisgrundlagen bestehen, ist der Schätzung des Wareneinkaufs durch retrograde Errechnung aus den geschätzten Erlösen der höchste Rohgewinnaufschlagsatz nach der Richtsatzsammlung zugrunde zu legen.
 

Normenkette

AO §§ 158, 162 Abs. 2; FGO § 96 Abs. 1 S. 1 2. Halbsatz

 

Tatbestand

Die Klägerin ist eine am 1.1.1995 von ihren Gesellschaftern A und B gegründete GbR. In den Streitjahren 2000 bis 2010 waren A und B jeweils zur Hälfte an der Klägerin beteiligt. Während dieser Zeit betrieb die Klägerin einen Gastronomiebetrieb mit dem Namen „C” in Z-Stadt. Dieser verfügte über 50 Sitzplätze und einen – nur im Sommer geöffneten – Außenbereich. Die C war von Montag bis Freitag jeweils mittags und abends sowie an Samstagen nur abends und gelegentlich am Sonntag geöffnet. Aus dieser Tätigkeit erzielte die Klägerin Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit im Sinne des § 15 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und unterlag der Gewerbesteuer (§ 2 des Gewerbesteuergesetzes --GewStG--). Die Klägerin war zudem Unternehmerin im Sinne von § 2 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG).

Der Beklagte (das Finanzamt --FA--) ordnete mit Prüfungsanordnung vom 27.8.2012 gem. § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) eine Betriebsprüfung (BP) bei der Klägerin für die gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer 2000 bis 2010 an. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein und machte geltend, der Prüfungszeitraum dürfe regelmäßig nur drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen. Den Einspruch wies das FA als unbegründet zurück. Die nachfolgende Klage beim Finanzgericht (FG) (Aktenzeichen 13 K 4630/12) sowie die dagegen beim Bundesfinanzhof (BFH) eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hatten keinen Erfolg.

Das FA begann am 28.8.2012 mit der BP. Am selben Tag fand aufgrund eines zuvor eingeleiteten steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens eine Durchsuchung der Räumlichkeiten der Klägerin durch Beamte des FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung (Steufa) statt. Darüber hinaus wurde die in der C genutzte Kasse durch den Kassenfachprüfer D ausgelesen. Während der Durchsuchung wurde im Müll ein Z-Bon für Samstag, den 25.8.2012, und in der Kasse ein Z-Bon für Montag, den 27.8.2012, aufgefunden, die Bruttoumsätze von 4.615,60 € (25.8.2012) und 5.249,30 € (27.8.2012) auswiesen.

Im Rahmen der BP reichte die Klägerin die Buchführungsunterlagen für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2010 beim FA ein.

Im September 2012 gelangte das FA aufgrund einer anonymen Anzeige in den Besitz von an die Klägerin adressierten Lieferscheinen, die es vermuten ließen, der Wareneinkauf sei in der Buchführung der Klägerin nicht vollständig erfasst.

Am 14.11.2012 fand eine Schlussbesprechung für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2010 statt. In einem Teil-BP-Bericht vom 30.11.2012 betreffend diesen Zeitraum vertraten die Prüfer die Auffassung, dass die Buch- und Kassenführung der Klägerin Mängel aufweise. Deshalb hielten sie eine Hinzuschätzung für geboten, die sie anhand eines Zeitreihenvergleichs ermittelten. Hinzugeschätzt werden sollten Erlöse von netto 643.500 € (2008), 575.000 € (2009) und 532.000 € (2010).

Die BP für den gesamten streitbefangenen Zeitraum von 2000 bis 2010 wurde schließlich mit BP-Bericht vom 18.6.2014 (unter „Aufhebung” des Teil-BP-Berichts vom 30.11.2012) abgeschlossen. Darin kamen die Prüfer u.a. zu dem Ergebnis, dass die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung zu versagen sei, da erhebliche materielle und formelle Buchführungsmängel vorlägen. Die Kassenführung sei ebenfalls für den gesamten Prüfungszeitraum nicht ordnungsgemäß. Die Auswertung der anonymen Anzeige und von Kontrollmitteilungen lasse darüber hinaus den Schluss zu, dass der Wareneinkauf unvollständig erklärt worden sei. Aufgrund dieser...

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