vorläufig nicht rechtskräftig

Revision zugelassen durch das FG

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Abzugsfähigkeit von Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung: Zivilprozess wegen Kindesentführung durch einen Elternteil in das Ausland – Umgangsrecht der Eltern mit ihren Kindern als Kernbereich menschlichen Lebens – Verfassungskonforme Auslegung der Abzugsbeschränkung des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Bei einem nach der Entführung eines Kindes durch einen Elternteil in das Ausland (Südamerika) von dem Vater wegen seines Umgangsrechts und der Rückführung seiner Tochter nach Deutschland geführten Zivilprozess nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) handelt es sich um eine den Kernbereich menschlichen Lebens berührende tatsächliche Zwangslage, die zur Abzugsfähigkeit von Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung führt.
  2. Eine Auslegung des Begriffs Existenzgrundlage als immaterielle Lebensgrundlage des Steuerpflichtigen, die den Kernbereich menschlichen Lebens berührt, ist aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten.
  3. Diese immaterielle Existenzgrundlage ist gefährdet, wenn der Steuerpflichtige ohne den Prozess keine (legale) Möglichkeit hat, seine von der Kindesmutter ins Ausland entführte Tochter nach Deutschland zurückzuholen.
  4. Zur Befriedigung der lebensnotwendigen Bedürfnisse im üblichen Rahmen gehört auch das soziale Bedürfnis des Steuerpflichtigen nach Liebe zu seinem Kind und Fürsorge für das Kind.
 

Normenkette

EStG § 33 Abs. 1, 2 Sätze 1, 4; GG Art. 6 Abs. 1

 

Streitjahr(e)

2014

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 13.08.2020; Aktenzeichen VI R 15/18)

 

Tatbestand

Streitig ist die Abzugsfähigkeit von Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung.

Der Kläger ist Vater einer am 23.01.2012 geborenen Tochter. Seit dem 21.06.2012 leben er und seine frühere Ehefrau, die Mutter seiner Tochter, dauernd getrennt. Im Jahr 2014 (Streitjahr) erzielte er einen Bruttoarbeitslohn i.H. von 56.586 Euro. In seiner Einkommensteuererklärung gab er u.a. Aufwendungen i.H. von 21.461 Euro als außergewöhnliche Belastung an. Dabei handelte es sich um Krankheitskosten, Aufwendungen für Fahrten zu Ärzten sowie Prozesskosten.

Der Beklagte (das Finanzamt – FA –) berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid vom 28.04.2017 lediglich die Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastung und erläuterte, die Prozesskosten könnten gemäß § 33 Abs. 2 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht berücksichtigt werden, da der Kläger nicht nachgewiesen habe, inwieweit die Existenzgrundlage gefährdet gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Einspruch ein und führte u.a. aus, es handele sich um Prozesskosten, die im Rahmen von Verfahren zum Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) entstanden seien. Er führe diese Verfahren seit Mitte 2012, nachdem seine frühere Ehefrau die gemeinsame Tochter nach einer Urlaubsreise nicht nach Deutschland zurückgebracht, sondern in Südamerika behalten habe. Da er sehr an seiner Tochter hänge und den Kindesentzug nicht habe akzeptieren können, habe er den Rechtsweg beschreiten müssen. Dies sei unausweichlich gewesen, um seine Tochter nach Deutschland zurückholen zu können. Die Zivilprozesskosten seien weder mutwillig noch leichtfertig entstanden und hätten auch hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten, da die Widerrechtlichkeit des Kindesentzugs vom Gericht festgestellt worden sei. Die Prozesskosten bezifferte der Kläger im Einspruchsverfahren auf 20.648,73 Euro, die sich nach seinen unwidersprochenen Angaben aus Rechtsanwaltskosten (9.218,95 Euro), Gerichtskosten (333,61 Euro), Übersetzungskosten (178,50 Euro) sowie prozessbedingten Reisekosten (10.917,67 Euro) zusammensetzten.

Das FA gab dem Einspruch mit Bescheid vom 13.07.2017 bezüglich eines anderen Streitpunktes statt, wies ihn hinsichtlich der Prozesskosten jedoch mit Einspruchsentscheidung vom 23.10.2017 als unbegründet zurück.

Mit seiner Klage trägt der Kläger vor, die ihm durch das Führen eines Prozesses im Rahmen des HKÜ entstandenen Aufwendungen würden anderen Steuerpflichtigen in der Regel nicht erwachsen und seien auch als größere Aufwendungen anzusehen. Damit fielen sie eindeutig unter § 33 Abs. 1 EStG. § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG stehe einem Abzug als außergewöhnliche Belastung nicht entgegen. Die Einfügung von Satz 4 in § 33 Abs. 2 EStG stelle nur die Aufnahme der ursprünglichen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) dar und dürfe auch nur in diesem Sinne verwendet werden. Keinesfalls seien sämtliche Prozesskosten unter diese Regelung zu subsumieren. Die Prozesskosten auf Grund der Streitigkeiten über das Umgangsrecht mit seiner Tochter fielen nicht unter § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG, sondern beträfen einen Kernbereich des menschlichen Lebens, wie er im Urteil des BFH vom 04.12.2001 III R 31/00 (Bundessteuerblatt – BStBl – II 2002, 382) dargestellt worden sei. Das vom FA zitierte BFH-Urteil vom 18.05.2017 VI R 9/16 stehe im Widerspruch z...

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