Entscheidungsstichwort (Thema)

Vom FA trotz maschinellen Prüfhinweises unterlassene gewinnerhöhende Auflösung einer Ansparabschreibung keine neue Tatsache nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Änderung des Steuerbescheides gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn der Finanzbehörde die ihr tatsächlich erst später bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung ihrer Amtsermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre.

2. Hiervon ist auszugehen, wenn ein Freiberufler mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG die zwei Jahre zuvor gebildete Ansparabschreibung nach § 7g EStG a. F. infolge Nichtanschaffung eines begünstigten Wirtschaftsguts im Streitjahr samt Gewinnzuschlag gewinnerhöhend auflösen hätte müssen, er tatsächlich aber nur die ein Jahr zuvor gebildete Ansparabschreibung teilweise gewinnerhöhend aufgelöst hat und auch der der Sachbearbeiter des FA trotz eines die Ansparabschreibung betreffenden maschinellen Prüfhinweises die zwei Jahre zuvor gebildete Ansparabschreibung bei Erlass des Steuerbescheids nicht gewinnerhöhend berücksichtigt hat.

 

Normenkette

EStG 2002 § 7g Abs. 4 Sätze 1-2, Abs. 6; AO § 173 Abs. 1 Nr. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 22.03.2016; Aktenzeichen VIII R 58/13)

 

Tenor

Der Einkommensteuerbescheid 2006 vom 30. März 2010 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 11. Juni 2010 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

Der Kläger ist Arzt und ermittelt seine Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit nach § 4 Abs. 3 EinkommensteuergesetzEStG –. Im Jahr 2004 bildete er eine Ansparabschreibung nach § 7 g Abs. 6 EStG i. H. v. 25.000 EUR. In der Gewinnermittlung 2005 löste der Kläger eine Ansparabschreibung nach § 7 g EStG aus 2003 i. H. v. 35.700 EUR auf und berücksichtigte einen Gewinnzuschlag i. H. v. 4.284 EUR. Eine neue Ansparabschreibung setzte er mit 30.000 EUR an. Ein Anlagespiegel war der Gewinnermittlung nicht beigefügt.

In der Gewinnermittlung 2006 löste er die Ansparabschreibung aus dem Jahr 2005 i. H. v. 10.000 EUR auf und berücksichtigte einen Gewinnzuschlag i. H. v. 1.200 EUR. Auch dieser Gewinnermittlung war kein Anlagespiegel beigefügt. Im Rahmen der Veranlagung ergingen für den Veranlagungsbezirk folgende Prüfhinweise: „Es wurde eine Ansparabschreibung im Sinne des § 7 g Abs. 3 bis 6 EStG (Kz 27.121) aufgelöst. Es ist zu prüfen, ob der Gewinnzuschlag (Kz 27.123) in zutreffender Höhe vorgenommen wurde.” und „Die Bildung bzw. die Auflösung von Ansparabschreibungen nach § 7 g Abs. 3 bis 6 EStG a.F. (Kz 27.188 bzw. 27.121) ist zu prüfen.”.

Am 2. April 2008 erließ der Beklagte den Einkommensteuerbescheid 2006 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Im Rahmen eines Einspruchsverfahrens erging am 5. Mai 2008 ein Änderungsbescheid, der ebenfalls unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand. Ein weiterer Änderungsbescheid erging am 28. Mai 2008. In diesem Bescheid wurde der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben.

Im Rahmen der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung 2008 stellte der Beklagte fest, dass der Kläger die im Jahr 2004 gebildete Ansparabschreibung im Jahr 2006 nicht aufgelöst hatte. Daher erließ er am 30. März 2010 einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AbgabenordnungAO – geänderten Einkommensteuerbescheid 2006, mit dem er die Einkünfte des Klägers aus freiberuflicher Tätigkeit um 28.560 EUR (25.500 EUR Auflösungsbetrag zzgl. 3.060 EUR Gewinnzuschlag) erhöht berücksichtigte. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg.

Mit der Klage machen die Kläger geltend, dass die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht vorgelegen hätten. Es seien keine Tatsachen nachträglich bekannt geworden. Dass er, der Kläger, die Ansparabschreibung nicht aufgelöst habe, sei dem Beklagten bereits bei der Veranlagung des Streitjahres 2006 bekannt gewesen.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 2006 vom 30. März 2010 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 11. Juni 2010 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung ist er der Auffassung, dass sowohl die Anschaffung von Wirtschaftsgütern vor dem Schluss des zweiten auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahrs als auch der Umstand, dass die Anschaffung des begünstigten Wirtschaftsgutes bis zum zweiten auf die Rücklagenbildung folgenden Wirtschaftsjahr unterblieben ist, neue Tatsachen seien. Der Steuerpflichtige müsse erklären, welche dieser Tatsachen eingetreten sei. Dies habe der Kläger unterlassen. Insofern seien Tatsachen nachträglich bekannt geworden.

Neben der Verfahrensakte haben dem Gericht bei der Entscheidung zwei Bände Einkommensteuerakten (Bände IV und V) und die ...

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