Leitsatz

Führt ein vollbeschäftigter Arbeitnehmer eine längerfristige, jedoch vorübergehende berufliche Bildungsmaßnahme durch, so wird der Veranstaltungsort im Allgemeinen nicht zu einer weiteren regelmäßigen Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG a.F. Die Fahrtkosten des Arbeitnehmers zu der Bildungseinrichtung sind deshalb nicht mit der Entfernungspauschale, sondern in tatsächlicher Höhe als Werbungskosten zu berücksichtigen.

 

Normenkette

§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG a.F., § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 2 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger nahm neben seiner Vollbeschäftigung vier Jahre lang an einer auswärtigen beruflichen Bildungsmaßnahme teil. Er besuchte das Bildungsinstitut an zwei Abenden in der Woche und ganztägig am Samstag. Bei der ESt-Veranlagung des Streitjahrs 2003 machte der Kläger Bildungsaufwendungen i.H.v. 2 672 Euro als Werbungskosten geltend (Fahrtkosten nach reisekostenrechtlichen Grundsätzen: 2 480 Euro sowie Mehraufwendungen für Verpflegung: 192 Euro für 32 Samstage).

Das FA meinte, die Bildungsstätte stelle eine weitere regelmäßige Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG a.F. dar. Es berücksichtigte deshalb nur die Entfernungspauschale i.H.v. 1 612 Euro. Mehraufwendungen für Verpflegung ließ es wegen Überschreitens der Dreimonatsfrist außer Ansatz. Die Klage blieb erfolglos (Hessisches FG, Urteil vom 28.09.2005, 1 K 1313/05, Haufe-Index 1461845, EFG 2006, 101).

 

Entscheidung

Die Revision des Klägers führte zur überwiegenden Stattgabe der Klage. Die in der Freizeit ausgeübte (nebenberufliche) Bildungsmaßnahme führe nicht zu einer weiteren regelmäßigen Arbeitsstätte. Hinsichtlich der Mehraufwendungen für Verpflegung sei die Vorentscheidung richtig. Der Dreimonatszeitraum (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 5 EStG i.V.m. § 9 Abs. 5 EStG) sei schon vor dem Streitjahr abgelaufen.

 

Hinweis

1. Der VI. Senat hatte in verschiedenen Grundsatzurteilen, u.a. vom 17.12.2002, VI R 137/01, BFH/PR 2003, 99 rechtsprechungsändernd entschieden, dass Aufwendungen für eine Bildungsmaßnahme Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 EStG) sein können. Zugleich entschied der BFH im Urteil vom 29.04.2003, VI R 86/99, BFH/PR 2003, 296, dass der Umfang der Bildungskosten nach allgemeinen Vorschriften zu ermitteln ist mit der Folge, dass z.B. für Fahrtkosten zum Studienort grundsätzlich die Vorschrift des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG a.F. anzuwenden ist. Bereits in BFH/PR 2003, 296 wurde auch darauf hingewiesen, dass von der gesonderten Beurteilung langfristiger Bildungsgänge mit angestrebtem Abschluss einzelne im Rahmen eines bestehenden Dienstverhältnisses besuchte Fortbildungsveranstaltungen unberührt bleiben.

2. Der BFH hat ferner in zahlreichen Entscheidungen geklärt, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer einer Tätigkeit an einer regelmäßigen Arbeitsstätte nachgeht oder ob er einer Auswärtstätigkeit nachgeht (siehe u.a. Grundsatzentscheidungen alle vom 11.05.2005, VI R 70/03, BFH/PR 2005, 399; VI R 25/04, BFH/PR 2005, 401). Geklärt ist dem Grundsatz nach auch, dass ein Arbeitnehmer mehrere regelmäßige Arbeitsstätten haben kann (vgl. u.a. BFH, Urteil vom 11.04.2005, VI R 15/04, BFH/PR 2005, 404). Im Einzelfall mag allerdings zur Frage, wann mehrere regelmäßige Arbeitsstätten vorliegen, noch Klärungsbedarf besteht.

3. Zur Erinnerung ist auch nochmals festzuhalten, dass nach der neueren Rechtsprechung des VI. Senats der Begriff der "regelmäßigen Arbeitsstätte" i.S.d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG a.F. (und § 9 Abs. 2 EStG n.F.) dem Begriff des "Tätigkeitsmittelpunkts" i.S.d. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 2 EStG (zum Verpflegungsmehraufwand) entspricht (vgl. u.a. BFH, Urteil vom 11.05.2005, VI R 16/04, BFH/PR 2005, 406). 

Demnach ist ein Arbeitnehmer nicht am Tätigkeitsmittelpunkt (regelmäßige Arbeitsstätte), sondern auswärts beschäftigt, wenn er einer "längerfristigen vorübergehenden Tätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte" nachgeht (vgl. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 5 EStG).

4. Unter Berücksichtigung der vorgenannten Rechtsgrundsätze hat der BFH deshalb im Streitfall entschieden, dass ein vollbeschäftigter Arbeitnehmer (mit regelmäßiger Arbeitsstätte), der eine zwar längerfristige, jedoch nicht auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte Bildungsmaßnahme an einem anderen Ort durchführt, dort keine regelmäßige Arbeitsstätte bzw. keinen Tätigkeitsmittelpunkt begründet. Dies gilt auch dann, wenn sich diese (nebenberufliche) Betätigung über mehrere Jahre erstreckt. In diesem Zusammenhang wiederholte der BFH nochmals seine Auffassung, dass eine auswärtige Tätigkeitsstätte durch bloßen Zeitablauf von drei Monaten nicht zur regelmäßigen Arbeitsstätte wird (BFH, Urteil vom 19.12.2005, VI R 30/05, BFH/PR 2006, 185).

5. Der BFH weist im Streitfall ausdrücklich darauf hin, dass er sich mit vorliegender Entscheidung nicht in Widerspruch zu seinem Urteil in BFH/PR 2003, 296 setzt. Bei Erwerbsaufwendungen für eine Bildungsmaßnahme (in Form eines Vollstudiums) können die an eine regelmäßige Arbeitsstätte anknüpfenden Rechtsfolgen des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG a.F. bzw.

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