Leitsatz

Säumniszuschläge, die auf einer materiell rechtswidrigen und deswegen aufgrund eines Rechtsbehelfs des Steuerpflichtigen geänderten Jahressteuerfestsetzung beruhen, sind aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, wenn der Steuerpflichtige ­insoweit die AdV der Vorauszahlungsbescheide erreicht hat und die – weitere – AdV dieser Beträge nach Ergehen des Jahressteuerbescheids allein an den Regelungen der §§ 361 Abs. 2 S. 4 AO und 69 Abs. 2 S. 8 FGO scheitert.

 

Normenkette

§ 227, § 240, § 361 Abs. 2 S. 4 AO, § 69 Abs. 2 S. 8 FGO

 

Sachverhalt

Das FA besteuerte die Umsätze der Klägerin (Entwicklung von Computerprogrammen) in den Vorauszahlungsbescheiden mit dem Regelsteuersatz. Auf den Einspruch setzte das FA die VZ-Bescheide in Höhe der Differenz zum ermäßigten Steuersatz aus. Die festgesetzte Jahresumsatzsteuer entsprach der Summe der vom FA festgesetzten monatlichen Vorauszahlungen. Nach Erlass der Jahressteuerbescheide lehnte das FA die – weitere – AdV unter Hinweis auf § 69 Abs. 2 S. 8 FGO ab.

Das FG (Niedersächsisches FG, Urteil vom 22.02.2007, 5 K 262/02, Haufe-Index 2271175) setzte aus; die Beschwerde des FA hiergegen hatte Erfolg. Die Klägerin bezahlte daraufhin die Steuer. In der Sache hatte die Klägerin Erfolg (Anwendung des ermäßigten Steuersatzes in dem Umfang, in dem auch die VZ-Bescheide ausgesetzt waren). Die Klägerin begehrte nun den Erlass von Säumniszuschlägen, die in der Zeit zwischen Ablehnung der AdV und Zahlung der Steuer angefallen waren.

 

Entscheidung

Die Revision der Klägerin hatte Erfolg. Liegen die Voraussetzungen für einen Erlass der Steuer aus sachlichen Billigkeitsgründen vor, reduziert sich das Ermessen des FA auf null und kann deshalb auch das Gericht über den Erlass abschließend entscheiden.

 

Hinweis

1. Säumniszuschläge sind aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, wenn ihre Einziehung im Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Säumniszuschläge, nicht zu rechtfertigen ist, obwohl der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Erhebung der Säumniszuschläge aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft.

2. Zwar gilt nach § 240 Abs. 1 S. 4 AO der Grundsatz der Akzessorietät nicht für Säumniszuschläge; der Gesetzgeber hat bewusst in Kauf genommen, dass Säumniszuschläge auch dann zu entrichten sind, wenn sich die Steuerfestsetzung später als unrechtmäßig erweist. Als verfassungsrechtlich unbedenklich beurteilt hat das BVerfG die Regelung, weil der Steuerpflichtige AdV erhalten kann.

3. Nach § 361 Abs. 2 S. 4 AO bzw. § 69 Abs. 2 S. 8 FGO darf nur noch die Differenz zwischen Vorauszahlungs(VZ)-Soll und im Jahressteuerbescheid festgesetzter Steuer ausgesetzt werden. Hat der Steuerpflichtige AdV der VZ-Bescheide beantragt und – zu Recht – erhalten, ist – selbst wenn die Summe der Vorauszahlungen und der Jahressteuerfestsetzung sowie der streitige Sachverhalt und die zu entscheidende identisch sind, sich also im ­Verhältnis der Summe der Vorauszahlungen zum Jahressteuerbescheid nichts geändert hat – die weitere AdV allein deswegen nicht möglich, weil die Summe der Vorauszahlungen der Höhe der festgesetzten Jahressteuer entspricht. Damit wollte der Gesetzgeber die Rückzahlung von VZ verhindern und mit der Anknüpfung an die festgesetzten und nicht lediglich an die bereits getilgten VZ den – zu Unrecht, d.h. ohne AdV – säumigen Zahler nicht besserstellen.

4. In Kombination schießen die Regelungen (§ 240 Abs. 1 S. 4 AO – keine Akzessorietät von SZ – und § 361 Abs. 2 S. 4 AO bzw. § 69 Abs. 2 S. 8 FGO – AdV nur in Bezug auf die Differenz zwischen der Summe der festgesetzten VZ und der festgesetzten Jahressteuer) über die jeweils verfolgten Ziele hinaus, wenn bei identischem Sachverhalt und identischer Höhe der darauf entfallenden Steuerschuld trotz gleichbleibender ernstlicher Zweifel und trotz antragsgemäß gewährter AdV der entsprechenden VZ-Bescheide trotz bleibender ernstlicher Zweifel der Jahressteuerbescheid nicht ausgesetzt werden darf und zusätzlich der Steuerpflichtige mit seinem Begehren schließlich obsiegt. Unter diesen Umständen ist die Heranziehung von Säumniszuschlägen sachlich unbillig.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 20.05.2010 – V R 42/08

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