Leitsatz

Die Einkommensteuer ist als Masseschuld aufgrund massebezogenen Verwaltungshandelns gegen den Insolvenzverwalter festzusetzen, wenn dieser die selbstständige Tätigkeit des Insolvenzschuldners im Interesse der Masse erlaubt, die Betriebseinnahmen zur Masse zieht, soweit sie dem Schuldner nicht für seinen Unterhalt belassen werden, und die Fortführung der Tätigkeit ermöglicht, indem er zur Masse gehörende Mittel einsetzt, um durch die Tätigkeit entstehende Forderungen Dritter zu begleichen.

 

Normenkette

§ 35, § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO

 

Sachverhalt

Der Kläger wurde am 6.2.2003 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen des A (Schuldner) bestellt. A war während des Insolvenzverfahrens weiterhin unternehmerisch tätig. Seine im Streitjahr (2004) erzielten Betriebseinnahmen in Höhe von 25.678,56 EUR wurden auf einem vom Kläger für das Insolvenzverfahren geführten Anderkonto vereinnahmt und in Höhe von 20.704,84 EUR an A ausgekehrt. Der Differenzbetrag verblieb als Massezufluss. A verwendete die an ihn ausgekehrten Mittel teilweise zur Begleichung der Betriebsausgaben (u.a. Material-, Fahrt- und Telefonkosten).

Das FA erließ gegenüber dem Kläger einen Einkommensteuerbescheid für 2004, wobei es die Einkommensteuer vollen Umfangs als Masseverbindlichkeit behandelte. Der Einspruch des Klägers blieb insoweit ohne Erfolg.

Das FG München (Außensenate Augsburg, Urteil vom 21.7.2010, 10 K 3005/07, Haufe-Index 2690873, EFG 2011, 1981) wies die Klage ab.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision des Insolvenzverwalters als unbegründet zurück.

 

Hinweis

1. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Steueransprüche, die als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren sind, sind gegenüber dem Insolvenzverwalter durch Steuerbescheid festzusetzen und von diesem vorweg aus der Insolvenzmasse zu befriedigen. Sonstige nach der Eröffnung begründete Steueransprüche sind insolvenzfrei und gegen den Schuldner festzusetzen.

2. Masseverbindlichkeiten sind gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Die dazu ergangene Rechtsprechung des BGH und des BFH wirkt etwas uneinheitlich. Ohne dass insoweit widersprüchliche Rechtsgrundsätze formuliert wurden, hat der BFH die Hürde für die eine Masseschuld auslösenden Handlungen des Insolvenzverwalters höher gelegt als der BGH. Das vorliegende Urteil liegt – zulasten der Insolvenzgläubiger – eher auf der Linie der bisherigen BGH-Rechtsprechung.

3. Die Insolvenzmasse erfasst nach § 35 InsO das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt, mithin auch der Neuerwerb des Schuldners während des Insolvenzverfahrens. Ein vom Insolvenzschuldner vor Insolvenzeröffnung ausgeübter Gewerbebetrieb fällt als Inbegriff von Vermögenswerten rechtlicher und tatsächlicher Art als Ganzes in die Insolvenzmasse. Der Insolvenzverwalter ist somit zur Übernahme der gesamten Tätigkeit des Schuldners einschließlich der Befriedigung der Verbindlichkeiten verpflichtet (vgl. §§ 80, 81 InsO), wenn er das Geschäft oder die freiberufliche Praxis des Schuldners mit der Masse fortführt (BGH vom 19.5.2011, IX ZB 94/09, ZInsO 2011, 1412). Deshalb gehören Einkünfte, die ein selbstständig tätiger Schuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem Betrieb erzielt, grundsätzlich in vollem Umfang, ohne einen Abzug für beruflich bedingte Ausgaben, zur Insolvenzmasse.

4. Eine Fortführung des Gewerbebetriebs durch den Insolvenzverwalter in Form eines massebezogenen Verwaltungshandelns i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1  2. Halbsatz InsO nimmt der BFH an, wenn der Verwalter die

  • selbstständige Tätigkeit des Insolvenzschuldners im Interesse der Masse erlaubt,
  • die Betriebseinnahmen zur Masse zieht, soweit sie dem Schuldner nicht auf dessen Antrag nach § 850i ZPO i.V.m. § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO vom Gericht belassen werden
  • und die Fortführung der Tätigkeit ermöglicht, indem er zur Masse gehörende Mittel einsetzt, um durch die Tätigkeit entstehende Forderungen Dritter zu begleichen.

Zu beachten ist, dass die Erlaubnis der Weiterführung der Tätigkeit und die Vereinnahmung der daraus erzielten Erlöse die Einkommensteuer noch nicht gemäß § 55 Abs. 1 InsO entstehen lässt. Die Masse begründende Handlung des Verwalters ist daher erst in der Ermöglichung der Fortführung der gewerblichen Tätigkeit zu sehen.

5. Das Urteil grenzt ab:

Eine Masseverbindlichkeit wird nicht nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet, wenn der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit ohne Wissen und Billigung durch den Insolvenzverwalter ausübt und die entsprechenden Erträge tatsächlich nicht zur Masse gelangen (BFH vom 18.5.2010, X R 11/09, BFH/NV 2010, 2114).

Eine Verwaltungsmaßnahme liegt auch dann nicht vor, wenn der Insolvenzverwalter die selbstständige Tätigkeit wissentlich duldet, aber kei...

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