Sachverhalt

Das Vorabentscheidungsersuchen des Østre Landsret (Dänemark) betraf einen Rechtsstreit wegen der Erhebung von Zöllen, Verbrauchsteuer und Mehrwertsteuer auf Zigaretten, die im Rahmen von drei TIR-Transporten, für welche die Klägerin die Carnets TIR ausgegeben und die Bürgschaft übernommen hatte, nach Dänemark auf dem Seeweg (von Litauen, im Streitjahr noch Drittstaat) und auf dem Landweg (von Polen - im Streitjahr noch Drittstaat - über Deutschland) eingeschmuggelt und dort von den Zoll- und Steuerbehörden in Verwahrung genommen und vernichtet worden waren. Fragen stellten sich zur Bestimmung des Zeitpunkts und des Orts, zu bzw. an dem Zoll-, Verbrauchsteuer- und Mehrwertsteueransprüche hinsichtlich vorschriftswidrig in das Gemeinschaftsgebiet verbrachter Waren entstehen. Weiterhin stellte sich die Frage, unter welchen Bedingungen eine Sicherstellung mit anschließender Vernichtung von vorschriftswidrig verbrachten Waren zum Erlöschen bereits entstandener Zoll-, Verbrauchsteuer- und Mehrwertsteueransprüche führen kann. Hierbei war zu unterscheiden zwischen den Fällen, in denen die Waren bereits im ersten Einfuhrmitgliedstaat (Dänemark, Einfuhr auf dem Seeweg) sichergestellt und vernichtet worden waren, und den Fällen, in denen die Sicherstellung und Vernichtung erst nach dem Verbringen der Waren in einem weiteren Mitgliedstaat (Dänemark, nach Verbringen von Polen über Deutschland) erfolgte.

Die Klägerin durfte darf aufgrund einer Bewilligung der dänischen Zoll- und Steuerbehörden gemäß Art. 6 des TIR-Übereinkommens Carnets TIR ausgeben und als bürgender Verband im Rahmen von TIR-Transporten auftreten. In sämtlichen Schmuggelfällen nahmen die Zollbehörden die Zigaretten gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1 des dänischen Zollgesetzes unverzüglich in Verwahrung. Die Zigaretten blieben von ihrer Sicherstellung bis zu ihrer Vernichtung im Gewahrsam der Behörden. Die dänischen Behörden forderten die litauischen Transportunternehmen, die Inhaber Carnets TIR waren, zur Zahlung von Zoll, Verbrauchsteuer und Mehrwertsteuer für die eingeschmuggelten Zigaretten auf. Da die Unternehmen diese Schreiben nicht beantworteten, erließen die Zoll- und Steuerbehörden gegen die Klägerin als bürgenden Verband im Sinne des TIR-Übereinkommens Zahlungsbescheide über einen Betrag, der der Haftungsobergrenze gemäß den von ihr für die Beförderungen ausgegebenen Carnets TIR entsprach.

Hinsichtlich der Mehrwertsteuer wollte das Vorlagegericht wissen, ob nicht vorschriftsmäßig eingeführte Waren, die von den Behörden bei der Einfuhr beschlagnahmt und gleichzeitig oder später vernichtet werden, als "einem Zolllagerverfahren" unterliegend anzusehen sind, mit der Folge, dass die Einfuhrumsatzsteuer nicht entsteht oder wegfällt (Art. 7 Abs. 3, Art. 10 Abs. 3 und Art. 16 Abs. 1 Teil B Buchst. c der 6. EG-Richtlinie - jetzt Art. 61, Art. 70 und 71, Art. 156 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL - sowie Art. 867a ZK-DVO). Weiter wollte das Gericht erfahren, ob es von Bedeutung ist, ob die bei einer solchen nicht vorschriftsmäßigen Einfuhr entstandene Zollschuld gemäß Art. 233 Abs. 1 Buchst. d ZK erlischt.

 

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass Waren, die bei ihrem Verbringen in das Zollgebiet der Gemeinschaft von den örtlichen Zoll- und Steuerbehörden in der Zone, in der sich die erste an einer Außengrenze der Gemeinschaft liegende Zollstelle befindet, in Verwahrung genommen und gleichzeitig oder später von diesen Behörden vernichtet werden, ohne dass sie dem Besitz der Behörden entzogen gewesen sind, unter den Tatbestand "beschlagnahmt und gleichzeitig oder später eingezogen" des Art. 233 Abs. 1 Buchst. d ZK fallen, so dass die Zollschuld nach dieser Bestimmung erlischt.

Mit Bezug auf frühere Rechtsprechung zur Anwendbarkeit der 6. EG-Richtlinie auf die unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln stellt der EuGH fest, dass der Zolltatbestand und der Mehrwertsteuertatbestand sowie die Zollschuld und der Mehrwertsteueranspruch hinsichtlich solcher Fälle im Kern die gleichen sind. Beide Regelungen sind insofern hinsichtlich ihrer Hauptmerkmale vergleichbar, als die Tatbestände durch die Einfuhr in die Gemeinschaft und die sich anschließende Überführung in den Wirtschaftskreislauf der Mitgliedstaaten entstehen (vgl. EuGH, Urteil v. 28.2.1984 (Einberger) und EuGH, Urteil v. 6.12.1990 (Witzemann). Somit können der Steuertatbestand und der Steueranspruch hinsichtlich der Mehrwertsteuer für beschlagnahmte und gleichzeitig oder später eingezogene Schmuggelwaren erst ab dem Zeitpunkt eintreten, zu dem die Waren die Zone verlassen haben, in der sich die erste innerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft liegende Zollstelle befindet. Folglich ist, wenn die eingeführten Waren beschlagnahmt und gleichzeitig oder später von den zuständigen Behörden vernichtet worden sind, bevor sie die erste im Zollgebiet der Gemeinschaft liegende Zollstelle verlassen haben, davon auszugehen, dass weder der Mehrwertsteuertatbestand noch der Mehrwertsteueranspruch eingetreten sind. Sind die W...

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