Rz. 1

Unternehmenskrisen können gerade in einem dynamischen Marktumfeld jederzeit durch interne und externe Faktoren ausgelöst werden – aktuelle Beispiele für einen externen Faktor wären die Corona-Krise seit 2020 und der russische Überfall auf die Ukraine seit 2022 mit den Auswirkungen auf die Energiepreise und (sanktionierte) Handelswege. Allerdings ist die Krise zumeist kein plötzliches Ereignis. Nach IDW S6 werden verschiedene Krisenstadien benannt, die teilweise bereits lange vor dem Eintritt einer akuten Krise schleichend eintreten können. So kann zunächst eine Stakeholderkrise auftreten, d. h. vonseiten bestimmter Interessenten an dem Geschäftsmodell des Unternehmens (z. B. interessierte Öffentlichkeit, Staat, Kunden, Lieferanten, Arbeitnehmer sowie Eigen- (Shareholder) und Fremdkapitalgeber) treten Probleme auf, die dieses – ggf. erst langfristig – negativ beeinflussen können. Darauf folgen die Strategiekrise, in der die Suche nach alternativen Geschäftsmodellen oder einer Anpassung bestehender Geschäftsmodelle unterbleibt, und die Produkt- und Absatzkrise, in der die Krise im operativen Geschäft ankommt und bereits deutlich spürbar wird. Darauf folgen die Erfolgskrise, die oft in die Liquiditätskrise übergeht, sowie die Insolvenzreife. Grundsätzlich sind sich abzeichnende Unternehmenskrisen frühzeitig durch die Aufsichts- und Geschäftsführungsorgane der Gesellschaft zu identifizieren und innerhalb der Rechnungslegung zu dokumentieren. So sind Risikomanagementmaßnahmen zumindest von allen haftungsbeschränkten Unternehmen einzusetzen[1] und vor jeder Aufstellung des Jahresabschlusses muss von allen Unternehmen nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB die Bestätigung der Annahme der Unternehmensfortführung für mindestens die nächsten 12 Monate[2] durch den Kaufmann oder die gesetzlichen Vertreter des Unternehmens erfolgen.[3] Ein Versäumnis kann erhebliche Haftungsfolgen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzverschleppung, nach sich ziehen.[4] In den letzten Jahren sind die Anforderungen hieran deutlich gestiegen. Konnte lange von einer impliziten Bestätigung der Annahme ausgegangen werden, scheidet eine Bilanzierung nach Fortführungswerten nach Ansicht des BGH aus, wenn innerhalb des Prognosezeitraums damit zu rechnen ist, dass das Unternehmen noch vor dem Insolvenzantrag, im Eröffnungsverfahren oder alsbald nach Insolvenzeröffnung stillgelegt werden wird, d. h., ein Insolvenzgrund[5] besteht.[6] Dies ist unabhängig davon, ob die Insolvenzantragspflicht temporär ausgesetzt ist oder nicht. Bei der Beurteilung, ob von einer Fortführung des Unternehmens auszugehen ist, sind nach dem Abschlussstichtag wertaufhellende und wertbegründende Sachverhalte zu berücksichtigen, die in der Zeit vom Abschlussstichtag bis zum Aufstellungszeitpunkt eingetreten sind.[7] Zudem muss im Rahmen der Abschlussprüfung gewürdigt werden, ob die getroffenen Annahmen auf aktuellen Informationen aufsetzen, ob sie konsistent sind und ob das tatsächliche Handeln der gesetzlichen Vertreter nicht im Widerspruch zu den getroffenen Annahmen steht. Das IDW sieht etwa im Kontext der Corona-Krise die tatsächliche Beantragung oder Vorbereitung der Beantragung von in einer Liquiditätsprognose berücksichtigten staatlichen Liquiditätshilfen als ggf. konfliktierend mit der Unternehmensfortführungsprämisse an.[8]

Unabhängig von dieser konkreten Vorgabe zur Beschäftigung mit den Risiken für die Geschäftstätigkeit reicht der Krisenbegriff von einer umgangssprachlichen Krise, bei der etwa ein reduzierter Auftragseingang oder erhöhte Beschaffungspreise sinkende Gewinne erwarten lassen, bis zur Krise im Insolvenzverfahren. Diese unterschiedlichen Definitionen beschreiben letztlich die verschiedenen Eskalationsstufen einer Unternehmenskrise. Jeder verantwortlich handelnde Kaufmann wird daher, wie auch mit § 1 StaRUG von allen Geschäftsführungen von haftungsbeschränkten Unternehmen und nochmals für Vorstände von Aktiengesellschaften in § 91 Abs. 2 AktG explizit gefordert, geeignete Maßnahmen treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einrichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden.

 

Rz. 2

Die Bilanzpolitik kann dabei insbesondere am Beginn einer Krise die Maßnahmen der Unternehmensführung zur Überwindung unterstützen, indem – stets im Rahmen des gesetzlich Zulässigen – den Interessenten des Jahresabschlusses eine bestimmte Abbildung des Unternehmens geboten wird und so nicht von externer Seite Reaktionen ausgelöst werden, die die Krise ggf. noch verschärfen könnten und so im Ergebnis einen negativen Einfluss auf die Liquidität haben. Durch den Einsatz der Bilanzpolitik wird somit einerseits Zeit gewonnen und damit indirekt die Liquiditätslage verbessert oder zumindest geschont. Dass dies durchaus auch im Interesse des Gesetzgebers ist, kann aus dem festgeschriebenen Anschaffungskostenprinzip des HGB abgeleitet werden. Die auf dieser Basis gebildeten stillen Reserven können aufgelöst werden und geben so der...

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