Leitsatz (amtlich)

Der Widerspruch gegen eine Geschäftsführungsmaßnahme ist nur dann unbeachtlich, wenn darin eine pflichtwidrige Verletzung des Gesellschaftsinteresses gesehen werden kann. Bei kaufmännischen Ermessensentscheidungen bleibt dem widersprechenden Gesellschafter ein Beurteilungsspielraum, der gerichtlich nur beschränkt überprüfbar ist.

 

Normenkette

HGB § 115

 

Verfahrensgang

LG Berlin

KG Berlin

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 8. November 1984 aufgehoben,

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der Kammer für Handelssachen 93 des Landgerichts Berlin vom 12. April 1984 teilweise abgeändert, Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien sind die persönlich haftenden Gesellschafter der H.-I. He … KG; sie haben Einzelgeschäftsführungsbefugnis. Die Gesellschaft beschäftigt in B. und in ihrer Niederlassung in W. je zwei Angestellte. Am 16. Juni 1983 schlug der Kläger dem Beklagten vor, die Gehälter von drei Mitarbeiterinnen ab 1. Juni 1983 um 5 % zu erhöhen. Der Beklagte widersprach zunächst, stimmte dann aber am 12. Juli 1983 der Gehaltserhöhung für eine Mitarbeiterin zu.

Der Kläger hat, soweit es in der Revisionsinstanz noch interessiert, beantragt festzustellen, daß der Widerspruch des Beklagten vom 16. Juni 1983 gegen die am selben Tage vorgeschlagene Erhöhung der Gehälter der Mitarbeiterinnen F. und M. um jeweils 5 % ab 1. Juni 1983 unbeachtlich sei.

Landgericht und Oberlandesgericht haben diesem Antrag entsprochen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Abweisung der Klage weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

1. Das Berufungsgericht halt den Widerspruch des Beklagten mit der Begründung für unwirksam, der Beklagte setze sich damit aus eigennützigen Gründen über das Interesse der Gesellschaft hinweg. Den beiden Angestellten der Gesellschaft habe zwar kein Anspruch auf Gehaltserhöhung ab 1. Juni 1983 zugestanden. Auch eine Gefahr, daß sie aus den Diensten der Gesellschaft ausschieden und die Gesellschaft keinen gleichwertigen Ersatz finden könne, habe nicht bestanden. Mit dem Widerspruch habe der Beklagte aber deshalb Interessen der Gesellschaft schuldhaft verletzt, weil die Gehaltserhöhungen zur Erhaltung des Betriebsfriedens und der Einsatzbereitschaft der Mitarbeiter beigetragen habe. Nach der Lebenserfahrung sei anzunehmen, daß ohne die Gehaltserhöhung der Betriebsfrieden gestört und die Arbeitsmoral beeinträchtigt worden wäre, weil auch in den vorangegangenen Jahren die Gehälter regelmäßig erhöht worden seien und sowohl die Lebenshaltungskosten als auch die Gehälter vergleichbarer Arbeitnehmer gestiegen seien. Die Eigennützigkeit des Vorgehens des Beklagten ergebe sich aus seinem Vorbringen, daß das Unterbleiben der Gehaltserhöhungen Einsparungen für die Gesellschaft und damit einen höheren Gewinn bedeute, der an die Gesellschafter ausgeschüttet werde. Im übrigen hätten auch die laufenden Streitigkeiten zwischen den Parteien für den Beklagten einen Grund für den Widerspruch abgegeben,

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Widerspricht ein zur Einzelgeschäftsführung berechtigter Gesellschafter einer Handlung eines anderen geschäftsführenden Gesellschafters, so muß diese unterbleiben (§ 115 Abs. 1 Halbs. 2 HGB). Die gesetzliche Regelung hat ihren Grund in der Gleichberechtigung der geschäftsführenden Gesellschafter. Bestehen unterschiedliche Auffassungen über die Frage, ob bestimmte geschäftsführende Maßnahmen getroffen werden sollen, so verdient keine den Vorzug; bei Widerspruch darf deshalb die geplante Maßnahme nicht vorgenommen werden. Das Widerspruchsrecht ist allerdings als ein Bestandteil des Geschäftsführungsrechts ausschließlich dem Interesse der Gesellschaft zu dienen bestimmt und darf deshalb nicht zur Durchsetzung individueller Belange benutzt werden (Senatsurt. v. 28.11.1955 – II ZR 16/54, LM HGB § 105 Nr. 11).

a) Das Berufungsgericht hat demgemäß auch geprüft, ob der Beklagte aus eigennützigen Gründen widersprochen hat. Seine in diesem Zusammenhang getroffenen Feststellungen und das eigene Vorbringen des Klägers reichen jedoch nicht aus, um den Widerspruch unter diesem Gesichtspunkt als unzulässig erscheinen zu lassen. Zwar hat der Beklagte selbst erklärt, wenn Gehaltserhöhungen unterblieben, führe das zu Einsparungen für die Gesellschaft und damit zu höherem Gewinn, und das Berufungsgericht ist überzeugt, daß auch die Streitigkeiten zwischen den Parteien und ihre laufenden Prozesse einen Grund für den Widerspruch gebildet haben. Es genügt aber nicht, daßauch persönliche Interessen des widersprechenden Gesellschaftersmit im Spiele waren (Sen. Urt. v. 19.4.1971 – II ZR 159/68, LM HGB § 115 Nr. 2). Es kommt vielmehr darauf an, daß der Gesellschafter mit einem aus eigennützigen Motiven ausgesprochenen Widerspruch gegen das Gesellschaftsinteresse verstößt. Das kann den vorstehenden Feststellungen des Berufungsgerichts und dem Vortrag des Klägers zu diesem Punkte nicht entnommen werden.

b) Eine pflichtwidrige Verletzung des Gesellschaftsinteresses, die zur Unbeachtlichkeit des Widerspruchs führen könnte, kann auch nicht aufgrund der weiteren Überlegungen des Berufungsgerichts angenommen werden. Dieses hat zwar gemeint, ohne die vom Kläger beabsichtigte Gehaltserhöhung würden nach der Lebenserfahrung der Betriebsfrieden und die Arbeitsmoral der Mitarbeiter erheblich beeinträchtigt werden. Abgesehen davon, daß das Berufungsgericht hierbei die übertarifliche Entlohnung der Angestellten nicht mitberücksichtigt und keine Feststellungen darüber getroffen hat, in welchem Umfange die Lebenshaltungskosten gestiegen waren und zu jener Zeit andere Gehälter durch vergleichbare Tarifabschlüsse angehoben wurden, hat es damit eine Prognose über Risiken für das Betriebsklima getroffen, dessen Einschätzung grundsätzlich Sache der Gesellschafter bleiben muß und nicht ohne weiteres von den Gerichten ersetzt werden darf. Bei der Frage, ob und in welchem Umfange die Gehälter erhöht werden sollen, geht es um eine Geschäftsführungsmaßnahme, bei denen kaufmännische Zweckmäßigkeitsüberlegungen Platz greifen. Es ist Ermessensfrage, was – auch unter Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte – im Interesse der Gesellschaft sachdienlich und sinnvoll ist. Ob das Gericht die vom Gesellschafter abgelehnte Maßnahme für richtig und zweckmäßig hält, kann nicht maßgebend sein. Jedem geschäftsführenden Gesellschafter ist das Widerspruchsrecht nach § 115 HGB gegeben, damit er sich nach eigener Entschließung an den in der Gesellschaft anfallenden Entscheidungen beteiligen und nach eigener Beurteilung Zweckmäßigkeit und Risiko abschätzen kann, wie es sich ihm darstellt, wenn die von dem Mitgesellschafter vorgesehene Maßnahme unterbleibt. Die Frage, ob die Gehälter für Mitarbeiter nach den Umständen erhöht werden sollten und, wenn das nicht geschieht, mit Rücksicht auf das Betriebsklima das Gesellschaftsinteresse nachhaltig beeinträchtigt wird, läßt sich auch in aller Regel (und so auch im vorliegenden Falle) nicht so eindeutig beantworten, daß dem widersprechenden Gesellschafter kein eigener Beurteilungsspielraum bliebe und ihm wegen des Widerspruchs von Rechts wegen eine pflichtwidrige Verletzung des Gesellschaftsinteresses vorgeworfen werden könnte.

Danach kann das angefochtene Urteil, weil es der Sache nach keine rechtliche, sondern eine kaufmännische Ermessensentscheidung trifft, nicht aufrechterhalten werden. Die Klage ist unter Abänderung der vorinstanzlichen Urteile abzuweisen.

 

Unterschriften

Stimpel, Dr. Schulze, Dr. Kellermann, Richter am Bundesgerichtshof Bundschuh kann urlaubshalber nicht unterschreiben. Stimpel, Dr. Seidl

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 08.07.1985 durch Spengler Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

NJW 1986, 844

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1985, 1134

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