Leitsatz (amtlich)

›Hat in einer zweigliedrigen GmbH der eine Gesellschafter ein ihm von dem anderen nur zum Schein erteiltes vollstreckbares Schuldanerkenntnis in sittenwidriger Weise zur Vollstreckung und Einziehung des Geschäftsanteils seines Mitgesellschafters benutzt, so kann sich dieser, wenn der Einziehungsbeschluß noch nicht vollzogen ist und schutzwerte Rechte Dritter nicht entgegenstehen, auch nach Versäumung der Anfechtungsfrist gegenüber der Feststellungsklage der Gesellschaft darauf berufen, die Ausnutzung der Wirksamkeit des Einziehungsbeschlusses stelle einen Rechtsmißbrauch dar.‹

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main

LG Darmstadt

 

Gründe

Die Kl. Ä eine zweigliedrige GmbH Ä klagt Ä ohne Erfolg Ä auf Feststellung, daß der Gesellschaftsanteil der Bekl. (Mitgesellschafterin) durch Gesellschafterbeschluß vom 5. 5. 1981 eingezogen und vernichtet worden sei. Dem liegt folgender Vorgang zugrunde: In Ziffer 7 des Gesellschaftsvertrags ist u. a. bestimmt, daß der Geschäftsanteil eines Gesellschafters mit einfacher Stimmenmehrheit unter Ausschluß des Stimmrechts des Betroffenen gegen Zahlung einer dem Wert des Anteils entsprechenden Abfindung eingezogen werden kann, wenn die Zwangsvollstreckung in den Geschäftsanteil vorgenommen wird. Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluß vom 9. 4. 1981 ließ der Mitgesellschafter M. den Geschäftsanteil der Bekl. pfänden. Der Zwangsvollstreckung lag eine vollstreckbare Urkunde vom 9. 5. 1978 zugrunde, in der die Bekl. anerkannte, dem M. 70 000 DM zu schulden. In einer von M. auf den 5. 5. 1981 einberufenen Gesellschafterversammlung wurde gegen den Widerspruch der Bekl. die Einziehung ihres Geschäftsanteils gemäß Ziffer 7 des Gesellschaftsvertrags beschlossen. Die ihr angebotene Abfindung lehnte die Bekl. ab. Daraufhin hinterlegte die Kl. die Abfindung beim AG unter Verzicht auf die Rücknahme. Die gegen die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde vom 9. 5. 1978 von der Bekl. erhobene Klage hatte Erfolg. Das LG hielt es für erwiesen, daß die Bekl. das Schuldanerkenntnis gegenüber M. nur zum Schein abgegeben hatte. Die von M. gegen das LG-Urteil eingelegte Berufung und die folgende Revision blieben ebenso wie eine Widerklage, mit der M. die Feststellung des Ausscheidens der Bekl. aus der GmbH begehrte, ohne Erfolg. Eine Anfechtungsklage gegen den Gesellschafterbeschluß vom 5. 5. 1981 ist von der Bekl. nicht erhoben worden.

›... Das OLG sieht in der Zwangsvollstreckung aus der Urkunde vom 9. 5. 1978 den Versuch des .. Mitgesellschafters M., die Bekl. mit Hilfe eines erschlichenen Vollstreckungstitels aus ihrer Stellung als Gesellschafterin herauszudrängen, ohne daß die Bekl. hierzu einen rechtfertigenden Anlaß gegeben hätte. Ein solches Verhalten gegenüber dem Mitgesellschafter sei in hohem Maße sittenwidrig und stelle sich als Versuch der vorsätzlichen Vermögensschädigung dar. Es meint, es verstehe sich von selbst, daß damit alle auf dieses Ziel gerichteten Entschließungen nicht nur anfechtbar, sondern nichtig seien. [Dies hält] rechtlicher Prüfung im Ergebnis stand.

(a) Nach allg. Meinung sind sittenwidrige Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer GmbH allerdings nicht nach § 138 BGB, sondern analog § 241 Nr. 4 AktG nur dann nichtig, wenn sie durch ihren Inhalt gegen die guten Sitten verstoßen. Der Beschluß muß also ›für sich allein betrachtet‹ gegen die guten Sitten verstoßen. Beschlüsse, bei denen nicht der eigentliche Beschlußinhalt, sondern nur Beweggrund oder Zweck unsittlich sind, oder bei denen die Sittenwidrigkeit in der Art des Zustandekommens liegt, sind lediglich anfechtbar. Insbesondere ist allgemein anerkannt, daß ein sittenwidriger Machtmißbrauch im Abstimmungsverfahren keine Nichtigkeit begründet. Eine Ausnahme wird nur dann gemacht, wenn der Beschluß in unverzichtbare Rechte des Gesellschafters eingreift oder Gläubiger schädigt, weil diese im Gegensatz zum Gesellschafter kein Anfechtungsrecht haben (vgl. BGHZ 15, 382; ..). Im vorl. Fall ist der Beschlußinhalt als solcher, die Einziehung des Anteils entsprechend [dem] Gesellschaftsvertrag, nicht sittenwidrig. Die Sittenwidrigkeit ergibt sich erst aus der Motivation des früheren Mitgesellschafters M., die Bekl. mit Hilfe der Zwangsvollstreckung aus einem nur zum Schein zu anderen Zwecken abgegebenen vollstreckbaren Schuldanerkenntnis aus der Gesellschaft zu drängen .. .

(b-d) Die Besonderheit des vorl. Falles besteht darin, daß der Mitgesellschafter der Bekl., M., selber die Zwangsvollstreckung in den Geschäftsanteil der Bekl. betrieben und unter Berufung darauf mit seinen Stimmen dessen Einziehung beschlossen hat. Dazu hat er sich eines vollstreckbaren Schuldanerkenntnisses der Bekl. bedient, dem Ä wie aufgrund des Verfahrens über die Zwangsvollstreckungsgegenklage der .. Bekl. rechtskräftig feststeht Ä keine Forderung zugrundelag. Nach den in diesem Rechtsstreit .. getroffenen .. Feststellungen war die vollstreckbare Urkunde dem Mitgesellschafter M. mit dessen Wissen nur zum Schein erteilt worden .. . Wenn das OLG in diesem Vorgehen des M. .. den Versuch gesehen hat, die Bekl. mit Hilfe eines erschlichenen Vollstreckungstitels aus ihrer Stellung als Gesellschafterin herauszudrängen und dieses Verhalten als einen in hohem Maße sittenwidrigen Versuch der vorsätzlichen Vermögensschädigung der Bekl. bezeichnet hat, so ist dies .. rechtlich nicht zu beanstanden. ...

Unter den gegebenen Umständen ist die Ausnutzung der dem Mitgesellschafter M. nur zum Schein eingeräumten Vollstreckungsmöglichkeit zur Einziehung des Geschäftsanteiles der Bekl. ein schwerer Rechtsmißbrauch, der rechtlich keine Beachtung verdienen kann. In diesem Sinn hat der Senat schon in seinem früheren Urteil (BGHZ 30, 195, 202 f.) für die Personenhandelsgesellschaft entschieden, daß dem Gesellschafter, der den Gläubiger seines Mitgesellschafters selbst zur Zwangsvollstreckung veranlaßt und so die Kündigung des Gesellschaftsverhältnisses provoziert hat, die Berufung auf die Wirksamkeit der Kündigung wegen Rechtsmißbrauchs versagt ist. Im Ergebnis nicht anders verhält es sich, wenn einer von zwei Gesellschaftern einer GmbH eine Vollstreckungsmöglichkeit gegen seinen Mitgesellschafter vorsätzlich und in sittenwidriger Weise dazu ausnutzt, die Einziehung des Geschäftsanteils des anderen herbeizuführen. Die Besonderheiten des GmbH-Rechts, insbesondere das aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 243 ff. AktG abgeleitete Erfordernis der Anfechtungsklage zur Geltendmachung nicht zur Nichtigkeit führender Beschlußmängel, rechtfertigen keine andere Beurteilung.

Das Versäumnis der Bekl., innerhalb angemessener Frist Anfechtungsklage zu erheben, hat zwar zur Folge, daß der Beschluß, den Geschäftsanteil der Bekl. einzuziehen, endgültig rechtswirksam geworden ist. Dies hindert die durch die Einziehung ihres Geschäftsanteils geschädigte Bekl. jedoch nicht, geltend zu machen, die Berufung auf die Wirkungen der Unanfechtbarkeit des Beschlusses stelle im konkreten Fall einen Rechtsmißbrauch dar und sei deshalb unbeachtlich. Denn die Wirksamkeit des Einziehungsbeschlusses schafft .. das arglistige Verhalten des Mitgesellschafters nicht aus der Welt und vermag den Rechtsmißbrauch, der in der Berufung auf die sittenwidrig herbeigeführte Einziehung des Geschäftsanteils der Bekl. liegt, nicht zu rechtfertigen. Die sittenwidrige Ausnutzung einer formalen Rechtsposition ist im Recht der GmbH ebensowenig zulässig wie auf anderen Rechtsgebieten. Deshalb ist der dadurch geschädigte Gesellschafter nicht darauf beschränkt, von seinem sittenwidrig handelnden Mitgesellschafter Schadensersatz in Geld oder auf dem Wege der Naturalrestitution Wiederverschaffung seines Geschäftsanteils zu verlangen.

Er kann sich vielmehr, jedenfalls solange die Einziehung, insbesondere infolge Nichtzahlung der geschuldeten Abfindung, nicht vollzogen ist, auf die ihm gegenüber in der Ausnutzung der Rechtswirksamkeit des Einziehungsbeschlusses liegende sittenwidrige Schädigung auch einredeweise berufen, soweit dem nicht schutzwürdige Rechte Dritter entgegenstehen. Das Erfordernis, Beschlußmängel auf dem Wege der Anfechtungsklage geltend zu machen, dient der Rechtssicherheit, nicht dem Interesse des Mitgesellschafters, die Vorteile eines sittenwidrig herbeigeführten Gesellschafterbeschlusses ungehindert ausnutzen zu können. Die Rechtssicherheit aber wird nicht berührt, wenn durch die Geltendmachung des Arglisteinwandes seitens des sittenwidrig geschädigten Gesellschafters weder in schutzwerte Interessen anderer Mitgesellschafter noch in zwischenzeitlich erworbene Rechte außenstehender Dritter eingegriffen wird. In diesem Fall muß der Gedanke, daß es nicht gebilligt werden kann, wenn jemand, selbst in Ausübung eines formalen Rechts, einem anderen vorsätzlich in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise Schaden zufügt, den Vorrang vor der Bestandskraft einer unanfechtbar gewordenen Rechtsposition haben. Im Hinblick auf diese Erwägung haben RG und BGH in ständ. Rechtspr. die Schadensersatzklage und Einrede aus § 826 BGB sogar gegenüber der sittenwidrigen Herbeiführung oder Ausnutzung unrichtiger rechtskräftiger Urteile zugelassen (vgl. RGZ 155, 55, 58 ..; BGHZ 50, 115 ff. und 26, 391 ff.). Für die Geltendmachung der sittenwidrigen Herbeiführung oder Ausnutzung unanfechtbar gewordener Gesellschafterbeschlüsse einer GmbH kann im Ergebnis nichts anderes gelten.

Die in der Ausnutzung der Unanfechtbarkeit liegende sittenwidrige Schädigung kann der betroffene Gesellschafter nicht nur seinem sittenwidrig handelnden Mitgesellschafter, sondern auch der Gesellschaft jedenfalls dann entgegenhalten, wenn die Gesellschaft nur aus ihm und dem Mitgesellschafter besteht und schutzwerte Interessen Dritter davon nicht berührt werden. Denn in diesem Falle ist die Berufung der Gesellschaft auf die Rechtswirksamkeit des Gesellschafterbeschlusses nur die äußere Verkleidung für die arglistige Ausnutzung der Unanfechtbarkeit dieses Beschlusses durch den dahinterstehenden Gesellschafter. ...‹

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992902

BGHZ 101, 113

BGHZ, 113

BB 1987, 2181

DB 1987, 2300

NJW 1987, 2514

GmbH-Rdsch 1988, 18

BGHR GmbHG § 41 Abs. 1 Rechtsmißbrauch 1

BGHR GmbHG § 47 Abs. 1 Anfechtungsfrist 1

BGHR GmbHG § 47 Abs. 1 Nichtigkeit 1

DRsp II(220)323a-d

WM 1987, 1071

ZIP 1987, 1251

DNotZ 1988, 185

JZ 1987, 1081

MDR 1987, 1004

AktGes 1988, 15

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