Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977; Aufenthalt eines Arbeitnehmers in Italien

 

Leitsatz (NV)

Ein Steuerbescheid darf dann nicht gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 zugunsten des Steuerpflichtigen geändert werden, wenn das FA bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keiner anderen Steuerfestsetzung gekommen wäre. Dies ist im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach der damaligen Rechtsprechung des BFH auszulegen war, und der die FÄ bindenden Verwaltungsanweisungen zu beurteilen, die im Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheiderlasses durch das FA gegolten haben.

Danach hätte das FA bis zum 30. Juli 1983 Aufenthalte eines Arbeitnehmers in Italien unter zehn Tagen nicht von der inländischen Einkommensteuer freigestellt.

 

Normenkette

AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 2; DBA ITA Art. 7 Abs. 1, Art. 11 Nr. 1 d

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Der Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war Geschäftsführer einer inländischen GmbH. Mit der Einkommensteuererklärung 1982 legte er eine Bestätigung seiner Arbeitgeberin vor, nach der er sich 1982 mehrmals mehr als 10 Tage geschäftlich zum Zweck der Musterung und des Wareneinkaufs in Italien aufgehalten hatte. Entsprechend diesen Angaben nahm der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) bei der Einkommensteuerveranlagung 1982 die anteiligen, auf die in Italien ausgeübte Tätigkeit entfallenden Bezüge nach Art. 7 Abs. 1 i. V. m. Art. 11 Nr. 1 d des Doppelbesteuerungsabkommens-Italien (DBA-Italien) von der Besteuerung aus. Der Einkommensteuerbescheid 1982 vom 6. Mai 1983 wurde bestandskräftig.

Mit Schriftsatz vom 2. März 1984 reichte der Kläger eine Bescheinigung des Arbeitgebers nach, wonach er an weiteren 11 Tagen geschäftlich in Italien tätig war, nämlich vom 26. März bis 27. März 1982, vom 30. Juni bis 2. Juli 1982 und vom 16. November 1982 bis 21. November 1982. Der Kläger beantragte Änderung des Einkommensteuerbescheids 1982, um auch die auf diese Tage entfallenden Bezüge steuerfrei zu belassen. Mit Bescheid vom 22. März 1984 lehnte das FA die Änderung ab. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.

Mit seiner Klage beantragte der Kläger, das FA unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids und der Einspruchsentscheidung zu verpflichten, einen geänderten Einkommensteuerbescheid 1982 zu erlassen. Die Höhe des steuerfreien Arbeitslohnes sollte dabei nach dem Verhältnis der Arbeitstage in Italien zu den jährlich geschuldeten Arbeitstagen berechnet werden. Das Finanzgericht (FG) hob daraufhin die Ablehnungsverfügung des FA auf und verpflichtete dasselbe, den Einkommensteuerbescheid 1982 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu ändern.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977).

Der Kläger rügt mit seiner Revision sinngemäß die Verletzung des Art. 11 Nr. 1 d i. V. m. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DBA-Italien.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des Urteils des FG vom 6. Juni 1986 die Klage abzuweisen. Es beantragt ferner, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG vom 6. Juni 1986 teilweise aufzuheben und das FA zu verpflichten, unter Änderung des Einkommensteuerbescheids für 1982 die Einkommensteuerschuld auf . . . DM herabzusetzen. Er beantragt weiter, die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

A. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 sind - von weiteren Voraussetzungen abgesehen - Steuerbescheide zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen. Dazu hat der Große Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) durch Beschluß vom 23. November 1987 GrS 1/86 (BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180) entschieden, daß ein Steuerbescheid wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen oder Beweismittel zugunsten des Steuerpflichtigen dann nicht aufgehoben oder geändert werden darf, wenn das FA bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keiner anderen Steuerfestsetzung gekommen wäre. Wie das FA bei Kenntnis bestimmter Tatsachen und Beweismittel einen Sachverhalt in seinem ursprünglichen Bescheid gewürdigt hätte, ist im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach der damaligen Rechtsprechung des BFH auszulegen war, und der die FÄ bindenden Verwaltungsanweisungen zu beurteilen, die im Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheiderlasses durch das FA gegolten haben. Welche Verwaltungsanweisungen dies waren, muß das FG bei seinen tatsächlichen Feststellungen (§§ 76, 118 Abs. 2 FGO) ermitteln.

2. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat mangels erhobener Rügen gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), hatte das FA bis zur Steuerfestsetzung vom 6. Mai 1983 das Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 11. Januar 1982 IV C 5 - S 1301 Italien - 100/81 (BStBl I 1982, 215) zu beachten. Danach kam eine Freistellung des Arbeitslohns von der deutschen Besteuerung im Fall von Dienstreisen nach Italien nur in Betracht, wenn u. a. die Reise eine Mindestdauer von 10 Tagen hatte. Im Streitfall bedeutet dies, daß das FA die mit der Klage geltend gemachten Aufenthalte in Italien unter 10 Tagen nicht von der inländischen Einkommensteuer freigestellt hätte.

Der im BMF-Schreiben vom 11. Januar 1982 vertretenen Verwaltungsauffassung ist der BFH nicht gefolgt (Urteil vom 20. Oktober 1982 I R 104/79, BFHE 137, 29, BStBl II 1983, 402). Nach der Praxis der Finanzverwaltung war die Bindungswirkung des BMF-Schreibens vom 11. Januar 1982 für das FA deshalb erst mit Bekanntwerden des Urteils in BStBl II 1983, 402 aufgehoben. Da die betreffende Ausgabe des BStBl erst am 30. Juli 1983 erschienen ist, kann das Urteil für die Beurteilung der mutmaßlichen Entscheidung des FA, die jedenfalls zum 6. Mai 1983 getroffen sein mußte, nicht herangezogen werden. Daher ist davon auszugehen, daß das FA die Einkommensteuer 1982 auch bei Kenntnis der weiteren beruflichen Italien-Aufenthalte des Klägers entsprechend dem BMF-Schreiben vom 11. Januar 1982 festgesetzt hätte.

Überdies hätte das FA das auf die Italien-Aufenthalte entfallende Arbeitseinkommen des Klägers auch deshalb nicht freigestellt, weil es nach dem BMF-Schreiben vom 11. Januar 1982 davon auszugehen hatte, daß Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften ihre Tätigkeit stets am Sitz der Gesellschaft erbringen. Diese Verwaltungsauffassung hat der BFH erstmalig mit Urteil vom 22. Juni 1983 I R 67/83 (BFHE 138, 464, BStBl II 1983, 625) abgelehnt. Da dieses Urteil erst nach dem 6. Mai 1983 ergangen ist, könnte es das FA für seine Beurteilung nicht heranziehen. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, daß ihm das FA wegen seiner Aufenthalte in Italien mit einer Mindestdauer von 10 Tagen die Steuerfreiheit gewährt hatte. Für die Feststellung der mutmaßlichen Entscheidung des FA sind subjektive Fehler des FA unbeachtlich (vgl. BFH-Urteil vom 11. Mai 1988 I R 216/85, BFHE 153, 296, BStBl II 1988, 715).

3. Da die Tatsache, daß der Kläger sich an den geltend gemachten weiteren 11 Arbeitstagen beruflich in Italien aufhielt, für die bis 6. Mai 1983 vorgenommene Festsetzung der Einkommensteuer 1982 durch das FA rechtlich nicht erheblich war, fehlt es an einer dem FA nachträglich bekannt gewordenen Tatsache i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977. Das FA war deshalb nicht zu der begehrten Änderung des Einkommensteuerbescheides 1982 gegenüber dem Kläger verpflichtet. Mangels Rechtsanspruchs des Klägers auf Änderung des Einkommensteuerbescheides 1982 war die Klage abzuweisen. Da die Sache entscheidungsreif ist, entscheidet der Senat gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO.

B. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Sie war deshalb gemäß § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen.

Da dem Kläger wegen seiner Italien-Aufenthalte schon dem Grunde nach kein Anspruch auf die begehrte Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 1982 zukommt, kann seinem Begehren, das sich auf die Höhe der damit verbundenen Änderung bezieht, ebensowenig Erfolg beschieden sein.

 

Fundstellen

BFH/NV 1991, 19

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