Leitsatz (amtlich)

Für die sachliche Vermögensteuerbefreiung von Vermögen, das dazu bestimmt ist, dem öffentlichen Verkehrzu dienen, genügt es, wenn dem Unternehmen die Betriebspflicht und die Beförderungspflicht durch ein öffentliches Verkehrsunternehmen im Sinn des § 3a Nr. 1 Satz 1 VStG auferlegt sind.

 

Normenkette

VStG § 3a Nr. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin unterhält ganzjährig den Schiffslinienverkehr zwischen N und den Inseln A und B. Er umfaßt den gesamten Personen- und Güterverkehr. Außerdem betreibt die Klägerin auf der Insel B eine firmeneigene Inselbahn.

Das FA (Beklagter) unterwart bei der Vermögensteuerveranlagung 1962 und 1963 das der Schiffahrt dienende Vermögen der Vermögensteuer.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das FA erhöhte vielmehr die festgesetzten Vermögensteuerjahresschulden aufgrund einer inzwischen durchgeführten Betriebsprüfung.

Die Klage wurde abgewiesen.

Die Revision der Klägerin rügt Verletzung des § 3a Nr. 1 Satz 2 VStG. Das FG habe rechtsirrtümlich angenommen, bei der Auflage der Beförderungspflicht und der Betriebspflicht müsse es sich um eine behördliche Auflage handeln. Aus dem Wortlaut des Gesetzes ergebe sich aber, daß jede wie auch immer geartete Auflage genüge, also auch eine Auflage, die auf vertraglichen Vereinbarungen oder auf tatsächlichen Gegebenheiten beruhe. Die Klägerin habe sich gegenüber der Bundesbahn und der Bundespost verpflichtet, die ihr von diesen Institutionen zugebrachten Personen und Güter nach A und B zu befördern. Darüber hinaus führe sie den Schiffslinienverkehr de facto wie einen konzessionierten Verkehr durch. Dabei handle es sich um eine Verlängerung des Landverkehrs mit anderen Mitteln. Die Versorgung der Inseln sei ganz auf ihren Liniendienst abgestellt. Deshalb gehe sowohl die Klägerin als auch die Bevölkerung der Inselgemeinden als selbstverständlich davon aus, daß der Betrieb auch in den unrentablen Wintermonaten aufrechterhalten werde. Die Auflage der Betriebspflicht und der Beförderungspflicht könne für die Steuerbefreiung im übrigen nur in den Fällen von Bedeutung sein, in denen es sich um eine Beförderung handele, die dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG) vom 21. März 1961 (BGBl I 1961, 241) unterliege. Das sei bei den Beförderungsleistungen der Klägerin nicht der Fall, weil der völkerrechtliche Grundsatz der Freiheit der Meere einer Konzessionierung entgegenstehe. Bei Verkehrsbetrieben, die nicht unter das PBefG fielen, müsse es deshalb genügen, wenn Betriebspflicht und Beförderungspflicht in anderer Weise als durch behördliche Auflagen gesichert seien.

Die Revision trägt weiter vor, die Auslegung des § 3a Nr. 1 Satz 2 VStG durch das FG würde gegen Art. 3 GG verstoßen. Der Gleichheitssatz gewähre dem Gesetzgeber nur einen Ermessensspielraum innerhalb des Rahmens mehrerer gerechter Lösungen. Hieraus ergebe sich, daß Privatbetriebe, die in gleicher Weise der Daseinsvorsorge dienten wie öffentliche Betriebe, jedenfalls mit dem dafür eingesetzten Vermögen von der Vermögensteuer befreit werden müßten. Soweit bei anderen Inseln die Bundesbahn und die Inselgemeinden die Schiffahrt selbst betrieben, seien sie von der Vermögensteuer befreit. Würde die Klägerin dagegen mit dem der Schiffahrt dienenden Vermögen als steuerpflichtig angesehen, so würden im wesentlichen gleiche Lebenssachverhalte ungleich behandelt. Zu demselben Ergebnis führe ein Vergleich mit Verkehrsbetrieben, die nach dem PBefG konzessioniert sind. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 3a Nr. 1 Satz 2 VStG müsse deshalb dazu führen, daß die Klägerin auch mit dem der Schiffahrt dienenden Vermögen von der Vermögensteuer freizustellen sei.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Vermögensteuer für 1962 und 1963 auf 0 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Auf die Revision wird die Vorentscheidung aufgehoben.

1. Nach § 3a Nr. 1 Satz 2 VStG sind Unternehmen, die sich nicht ausschließlich im Eigentum von juristischen Personen des öffentlichen Rechts befinden, mit dem Vermögen von der Vermögensteuer befreit, das dazu bestimmt ist, unter der Auflage der Beförderungspflicht, der Betriebspflicht und des Tarifzwangs dem öffentlichen Verkehr zu dienen. Das für die Schiffahrt eingesetzte Vermögen der Klägerin dient dem öffentlichen Verkehr; denn die Schiffe und die sonstigen der Schiffahrt dienenden Einrichtungen können nach den unangefochtenen Feststellungen des FG von jedermann im Rahmen der Beförderungsbedingungen benutzt werden. Das FG hat weiter festgestellt, daß die Klägerin mit der Schiffahrt auch dem Tarifzwang unterliegt; denn das von ihr geforderte Beförderungsentgelt bedarf der Zustimmung durch die Genehmigungsbehörde. Zweifelhaft ist dagegen, ob der Schiffahrtsbetrieb der Klägerin mit der Auflage der Betriebspflicht und der Beförderungspflicht belastet ist.

2. Die Begriffe "Betriebspflicht" und "Beförderungspflicht" hat der Gesetzgeber des VStG offensichtlich dem PBefG entnommen. Die Betriebspflicht hat zum Inhalt, daß der Verkehrsunternehmer verpflichtet ist, den Betrieb ordnungsmäßig einzurichten und während der Dauer der Genehmigung nach den Bedürfnissen des Verkehrs und dem Stand der Technik ordnungsmäßig aufrechtzuerhalten (§ 21 PBefG). Beförderungspflicht ist gegeben, wenn der Unternehmer zur Beförderung verpflichtet ist unter der Voraussetzung, daß den geltenden Beförderungsbedingungen entsprochen wird, die Beförderung mit den regelmäßigen Beförderungsmitteln möglich ist und die Beförderung nicht durch Umstände verhindert wird, die der Unternehmer nicht abwenden konnte und deren Auswirkung er auch nicht abzuhelfen vermochte (§ 22 PBefG). Durch die Einführung der aus dem PBefG stammenden Begriffe "Betriebspflicht" und "Beförderungspflicht" in das VStG wird aber der Befreiungstatbestand des § 3a Nr. 1 Satz 2 VStG nicht auf Unternehmen beschränkt, deren Betrieb unter den sachlichen Anwendungsbereich des PBefG fällt. Wäre eine derartige Beschränkung gewollt, so hätte das der Gesetzgeber zumindest durch Bezugnahme auf das PBefG zum Ausdruck bringen müssen. Vom Regelungsbereich der sachlichen Vermögensteuerbefreiung des § 3a Nr. 1 Satz 2 VStG werden also auch andere Verkehrsunternehmen erfaßt, wenn ihr Betrieb unter der Auflage der Betriebspflicht und der Beförderungspflicht steht. Durch diese Auflage soll sichergestellt werden, daß durch die begünstigten Unternehmen ähnlich wie bei den durch die öffentliche Hand betriebenen Verkehrsunternehmen die Aufrechterhaltung des öffentlichen Verkehrs gewährleistet ist.

3. Betriebspflicht und Beförderungspflicht sind einem Unternehmen auferlegt, wenn sie sich für einen Verkehrsbetrieb der konkreten Art unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, wie es z. B. nach §§ 21, 22 PBefG der Fall ist. Eine Auflage zum Betrieb und zur Beförderung besteht aber auch dann, wenn sich die Betriebspflicht und die Beförderungspflicht aufgrund eines Verwaltungsakts, insbesondere aus der Genehmigung des Verkehrsbetriebes, ergeben. In diesem Fall ist der Unternehmer öffentlich-rechtlich verpflichtet, den Verkehrsbetrieb einzurichten und aufrechtzuerhalten und seiner Beförderungspflicht nachzukommen. Der Senat ist darüber hinaus der Auffassung, daß dem Gedanken der Sicherung des öffentlichen Verkehrs durch die Auflage der Betriebspflicht und der Beförderungspflicht im Sinne des § 3a Nr. 1 Satz 2 VStG auch dann genügt wird, wenn ein Verkehrsbetrieb der öffentlichen Hand im Sinne des § 3a Nr. 1 Satz 1 VStG ein privates Unternehmen vertraglich verpflichtet, gewissermaßen als verlängerter Arm des öffentlichen Verkehrsunternehmens in einem bestimmten Bereich den öffentlichen Verkehr zu übernehmen und ihm dabei die Betriebspflicht und die Beförderungspflicht im Umfang der §§ 21 und 22 PBefG auferlegt. Im letzteren Fall beruht die Auflage zwar nicht auf öffentlichem Recht. Dadurch, daß aber ein Verkehrsträger der öffentlichen Hand, der selbst unter den öffentlich-rechtlichen Auflagen der Betriebspflicht und der Beförderungspflicht steht, den privaten Verkehrsunternehmer, wenn auch nur bürgerlich-rechtlich verpflichtet, den Betrieb einzurichten und aufrechtzuerhalten und die Beförderung allgemein durchzuführen, steht der private Verkehrsunternehmer nach Auffassung des Senats ebenfalls unter der Auflage der Betriebspflicht und der Beförderungspflicht im Sinne des § 3a Nr. 1 Satz 2 VStG. Dagegen würde eine privatrechtliche Auflage, die nicht von einem öffentlich-rechtlichen Verkehrsträger abgeleitet wird, oder die tatsächliche Gestaltung des Verkehrsbetriebes nicht die Befreiungsvoraussetzungen erfüllen, wie sie dem im Wortlaut und dem Sinnzusammenhang des § 3a Nr. 1 Satz 2 VStG zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers entsprechen. Hierin liegt entgegen der Auffassung der Klägerin kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerFG) hat in seinen Entscheidungen vielfach ausgesprochen, daß der Gleichheitssatz nur dann verletzt werde, wenn der Gesetzgeber es versäumt habe, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken ausgerichteten Betrachtungsweise beachtet werden müßten (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 9 S. 201 [206] - BVerfGE 9, 201 [206] -). Welche Elemente der zu ordnenden Lebensverhältnisse im Rechtssinn als gleich oder ungleich behandelt werden können, bestimmt grundsätzlich der Gesetzgeber (BVerfGE 6, 273 [280]). Der Gleichheitssatz wird nur dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger oder sonst einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung nicht finden läßt, so daß die Regelung als willkürlich bezeichnet werden muß (BVerfGE 12, 341 [348]); die Unsachlichkeit der getroffenen Regelung muß somit evident sein (BVerfGE 18, 121 [124]). Das ist bei der durch § 3a Nr. 1 Satz 2 VStG getroffenen Regelung, wie sie der Senat versteht, aber nicht der Fall. Der Gesetzgeber hatte vielmehr einen legitimen Grund, die sachliche Befreiung von der Vermögensteuer für Vermögen, das einem Verkehrsbetrieb dient, dann zu versagen, wenn nicht durch entsprechende rechtliche Bindungen gewährleistet ist, daß durch diesen Betrieb die öffentliche Verkehrsverbindung sichergestellt wird.

4. Die Klägerin hat vorgetragen und das FG hat festgestellt, daß sie der Deutschen Bundesbahn gegenüber zur Beförderung der von dieser zugebrachten Personen und Güter verpflichtet sei. Das FG hat dieser Verpflichtung in bezug auf die sachliche Vermögensteuerbefreiung nach § 3a Nr. 1 Satz 2 VStG auf das der Schiffahrt dienende Vermögen der Klägerin keine Bedeutung beigemessen. Seine Entscheidung steht damit nicht im Einklang mit der vorstehend aufgezeigten Rechtslage. Sie ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Sie wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das FG hat noch festzustellen, ob die Deutsche Bundesbahn der Klägerin in den vertraglichen Vereinbarungen über die Weiterbeförderung der von der Bundesbahn herangebrachten Personen und Güter die Betriebspflicht und Beförderungspflicht für den Schiffslinienverkehr auferlegt hat. Ist dies zu bejahen, so ist das der Schiffahrt dienende Vermögen der Klägerin nach § 3a Nr. 1 Satz 2 VStG von der Vermögensteuer freizustellen.

 

Fundstellen

BStBl II 1971, 512

BFHE 1971, 99

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