Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Der Senat tritt für die Auslegung des Begriffs "Verlust der Erwerbsgrundlage" in § 7 a EStG 1955 der zu § 10 a EStG 1955 ergangenen Entscheidung des VI. Senats VI 147/60 S vom 23. September 1960 (BStBl 1960 III S. 462) bei. 2. Es ist kein wesentlicher Verfahrensmangel, wenn das Finanzgericht die Erhebung eines angebotenen Zeugenbeweises mit der Begründung ablehnt, daß es, auch wenn es die unter Beweis gestellte Behauptung als richtig unterstelle, nicht zu einer anderen Entscheidung kommen würde. 3. Es ist kein wesentlicher Verfahrensmangel, wenn das Finanzgericht im Laufe einer der Entscheidung vorangehenden mündlichen Verhandlung Zweifel an dem Erfolg des Rechtsmittels äußert.

 

Normenkette

EStG § 7a

 

Tatbestand

An dem Gewinn der Bfin., einer KG, ist ihr Geschäftsführer G. als Kommanditist mit 35 v. H. beteiligt. Das Finanzamt versagte der Bfin. die Sonderabschreibung nach § 7 a EStG 1955, soweit sie für den Anteil dieses Gesellschafters in Anspruch genommen wurde, mit der Begründung, daß der Gesellschafter eine frühere Erwerbsgrundlage nicht verloren habe, da er im Zeitpunkt der Vertreibung im Januar 1945 erst 16 Jahre alt gewesen sei.

Der Einspruch und die Berufung blieben erfolglos. Das Finanzgericht hörte den Vater des Gesellschafters als Auskunftsperson; von der Vernehmung weiterer von der Bfin. benannter Zeugen nahm es Abstand. Der Vater sagte aus, daß sein Sohn ihm in der Wirtschaft, die aus einem landwirtschaftlichen Betrieb von etwa 10 ha und einem Gemischtwarengeschäft bestand, habe helfen müssen; der Sohn habe vor allem bei den Holzfuhren geholfen, die er für die Forstverwaltung ausgeführt habe; von seiner Schulentlassung bis zur Flucht aus der Heimat (etwa zwei Jahre lang) sei der Sohn so beschäftigt worden. Die Mitarbeit habe sich besonders, seitdem der ältere Sohn mit 17 Jahren zum Wehrdienst eingezogen worden sei, als nützlich erwiesen. Festes Gehalt habe er nicht bekommen, wohl aber auf Verlangen Geldzuwendungen für Anschaffungen neben dem gewährten Unterhalt; eine fremde Arbeitskraft sei nicht beschäftigt worden. Von den beiden Söhnen hätte später einmal der eine die Landwirtschaft und der andere den Laden übernehmen sollen; die drei Töchter seien zur Zeit der Flucht schon verheiratet gewesen; sie hätten eine Aussteuer bekommen, hätten aber später noch weiter bedacht werden sollen. Das Finanzgericht nahm an, daß die Tätigkeit des Sohnes im väterlichen Betrieb auf familienmäßiger Grundlage beruht und er noch keine eigene Erwerbsgrundlage im Sinne einer Existenzgrundlage gehabt habe.

Mit der Rb. wird geltend gemacht, das Finanzgericht habe den Begriff Erwerbsgrundlage, der weit auszulegen sei, verkannt. Der Sohn habe in seiner Tätigkeit bei seinem Vater seine Existenzgrundlage besessen; denn er habe die Aussicht gehabt, später den Hof oder den Laden vom Vater zu übernehmen. Er habe im übrigen auch schon eigene kleine Handelsgeschäfte gemacht und daraus Gewinne erzielt. Die Bfin. sieht einen wesentlichen Verfahrensverstoß darin, daß das Finanzgericht von der Vernehmung der benannten Zeugen mit der Begründung abgesehen habe, daß es der Aussage des Vaters den Vorzug geben würde, einerlei, was die anderen Zeugen aussagten. Das Finanzgericht habe auch schon vor der Beweisaufnahme zum Ausdruck gebracht, es bestünden wegen des Erfolges der Berufung Bedenken.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. der KG ist nicht begründet.

Die Verfahrensrügen greifen nicht durch. über die Art und den Umfang der früheren Tätigkeit des jetzigen Gesellschafter-Geschäftsführers im elterlichen Betrieb vor der Vertreibung hat das Finanzgericht den Vater gehört, der zweifellos über diese Fragen am besten Angaben machen konnte und dem Streitfall auch objektiv gegenübersteht. Die Aussagen des Vaters hat das Finanzgericht auch als richtig unterstellt. Daß es von der Vernehmung weiterer von der Bfin. benannter Familienmitglieder und Nachbarn absah, bedeutet keinen Verfahrensverstoß. Die Begründung, die das Finanzgericht der Ablehnung gegeben hat, ist allerdings bedenklich, wenn man sie als eine Würdigung des Beweisergebnisses ansieht, bevor die Zeugen gehört wurden. Trotzdem braucht die Vorentscheidung deswegen nicht aufgehoben zu werden. Die Zeugen sollten, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat festgestellt wurde, dasselbe aussagen, was der Vater schon gesagt hatte und was das Finanzgericht in seiner Würdigung auch als richtig unterstellt hat. Unter dieser Voraussetzung konnte das Finanzgericht aber von der Vernehmung der Zeugen absehen, weil es die in das Wissen der Zeugen gestellten Tatsachen als richtig unterstellen konnte, ohne daß es vom Rechtsstandpunkt des Finanzgerichts aus auf diese Tatsachen ankam. Der Fall des Urteils des Bundesfinanzhofs IV 299/58 U vom 18. August 1960 (BStBl 1960 III S. 451), auf das sich die Bfin. in der mündlichen Verhandlung bezogen hat, lag anders. Dort waren durch Zeugen Tatsachen unter Beweis gestellt, die den Sachvortrag des Steuerpflichtigen in einem anderen Lichte hätten erscheinen lassen können. In einem solchen Fall bedeutet es eine Verletzung der amtlichen Aufklärungspflicht, wenn das Finanzgericht die Glaubwürdigkeit der Zeugen in Zweifel zieht, ehe es sie gesehen und gehört hat. Im Streitfall wären indessen, wie gesagt, auch wenn das Finanzgericht die von der Bfin. benannten Zeugen vernommen hätte, neue und für die Sachentscheidung wesentliche Tatsachen nicht festzustellen gewesen. Das Finanzgericht hat demnach seine amtliche Aufklärungspflicht nicht verletzt.

Es ist auch kein Verfahrensmangel, wenn der Vorsitzende der Kammer oder der Berichterstatter mit der Bfin. den Sachverhalt und in diesem Zusammenhang auch die Aussichten des Rechtsmittels erörtert hat (ß 276 AO). Es besteht kein Anhalt, daß die Entscheidung des Finanzgerichts etwa schon vor der Anhörung des Gesellschafter-Geschäftsführers festgestanden und das Finanzgericht sich sein Urteil nicht erst auf Grund des Ergebnisses der Verhandlung gebildet hätte.

Sachlich hat das Finanzgericht den Begriff "Erwerbsgrundlage" richtig angewendet. Der VI. Senat des Bundesfinanzhofs hat diesen Begriff in der Grundsatzentscheidung VI 147/60 S vom 23. September 1960 (BStBl 1960 III S. 462) im Zusammenhang mit § 10 a EStG 1955 ausgelegt. Der Senat tritt den Rechtsgrundsätzen dieser Entscheidung für den insoweit gleichlautenden § 7 a EStG 1955 bei. Eine Tätigkeit, wie sie der jetzige Gesellschafter-Geschäftsführer seinerzeit in dem Betrieb seines Vaters ausübte, würde - entgegen der Auffassung der Bfin. - auch dann nicht als Erwerbsgrundlage im Sinne des § 7 a EStG anerkannt werden können, wenn sie in einem anderen als dem väterlichen Betrieb ausgeübt worden wäre. Der Sohn hatte die Aussicht, später einmal den Betrieb des Vaters oder einen Teil davon zu übernehmen; seine damalige Tätigkeit diente in erster Linie der Vorbereitung dazu. Nach der allgemeinen Erfahrung hatte er seine Ausbildung zu dem erstrebten Beruf im damaligen Alter von 16 Jahren noch nicht abgeschlossen; er besuchte damals nebenher noch landwirtschaftliche Berufsausbildungskurse. Seine Tätigkeit kann nicht, wie die Bfin. meint, als die eines landwirtschaftlichen (ungelernten) Arbeiters gewertet werden; denn diesen Beruf übte der Sohn nicht aus; vielmehr wurde er in seiner Tätigkeit als späterer selbständiger Landwirt und Unternehmer ausgebildet. Die Mitarbeit konnte das Finanzgericht auch als im wesentlichen auf familienmäßiger Grundlage geleistet ansehen; sie entsprach dem, was von jüngeren Haussöhnen, die später den elterlichen Betrieb übernehmen sollen, üblicherweise geleistet wird. Eine eigene Erwerbsgrundlage, wie sie nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs VI 147/60 S (a. a. O.) Voraussetzung für die begehrte Steuervergünstigung ist, kann darin nicht gesehen werden. In Wirklichkeit hat nicht der Sohn, sondern der Vater durch die Vertreibung eine eigene Erwerbsgrundlage verloren. Die Gefährdung des Unterhaltsanspruchs eines Kindes gegenüber dem Vater oder wirtschaftliche Nachteile durch den Verlust einer Erbanwartschaft oder den Fortfall der Aussicht, in einen elterlichen Betrieb hineinzuwachsen, bedeuten für die Betroffenen nicht den Verlust einer eigenen Erwerbsgrundlage, wie in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs VI 147/60 S (a. a. O.) im einzelnen dargelegt ist. Die behaupteten eigenen Handelsgeschäfte des Sohnes können bei dem jugendlichen Alter des Sohnes und dem Warenmangel in den letzten Kriegsjahren keinen solchen Umfang gehabt haben, daß sie eine eigene Erwerbs- und Existenzgrundlage für den Sohn abgeben konnten und abgegeben haben. Der Sohn hat in Wirklichkeit aus dem Haushalt der Eltern gelebt.

 

Fundstellen

BStBl III 1961, 54

BFHE 1961, 144

BFHE 72, 144

StRK, EStG:7a R 58

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Finance Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge