Leitsatz (amtlich)

Ruht die der Witwe eines Arbeitnehmers zustehende Rente bis zu einem bestimmten oder bestimmbaren Zeitpunkt (sogenannte aufgeschobene Witwenrente), ist der der Pensionsrückstellung zugrunde zu legende Barwert der künftigen Pensionsleistungen unter Berücksichtigung der Aufschubzeit zu berechnen.

 

Normenkette

EStG § 6a

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) - eine KG - gewährt aufgrund einer Versorgungsordnung ihren Betriebsangehörigen eine betriebliche Alters- und Witwenversorgung. Im Jahr 1966 trat durch den Tod des Betriebsangehörigen H ein Versorgungsfall (Zahlung einer betrieblichen Witwenrente) ein. Die 1937 geborene Witwe H war bei der Klägerin beschäftigt. Sie bezog Arbeitslohn und aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine Hinterbliebenenrente von 72,80 DM monatlich. Die von der Klägerin zu zahlende Rente von monatlich 48 DM ruhte, da sich die Witwe H - wie es die Versorgungsordnung vorsieht - ihre Arbeitseinkünfte anrechnen lassen mußte. Die Klägerin passivierte die Rentenverpflichtung in ihren Bilanzen nach versicherungsmathematischen Grundsätzen mit dem Barwert einer fälligen - sofort einsetzenden - Witwenrente unter Zugrundelegung eines Rechnungszinsfußes von 5,5 v. H., und zwar zum 31. Dezember 1966 mit 9 465 DM und zum 31. Dezember 1967 mit 9 466 DM. Das derzeitige Ruhen der betrieblichen Witwenrente berücksichtigte die Klägerin beim Bilanzansatz nicht.

Aufgrund einer Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (FA) die Auffassung, die Witwe H könne von der betrieblichen Witwenrente und von der von der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlten Hinterbliebenenrente nicht leben. Es bestehe eine große Wahrscheinlichkeit, daß sie weiterhin bis zum Erreichen der Altersgrenze als Arbeitnehmerin tätig sein werde. Das FA erkannte daher Rückstellungen nur in Höhe des Barwerts einer Rente an, die erst ab dem 60. Lebensjahr an die Witwe H zu zahlen sei. Das FA ermäßigte die Ansätze in den Schlußbilanzen 1966 und 1967 auf 1 205 DM und 1 275 DM; dadurch ergaben sich Gewinnauswirkungen für 1966 von (+) 8 260 DM und für 1967 von (-) 69 DM. Der Einspruch der Klägerin gegen die aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen endgültigen Bescheide für die Streitjahre 1966 und 1967 blieb ohne Erfolg. Auf ihre Klage erkannte das FG die von der Klägerin angesetzten Rückstellungen als zutreffend an.

Das FG führte aus, die Regelung, daß die Witwenrente solange ruhe, als die Witwe H Einkünfte aus einer Arbeitstätigkeit beziehe, berühre nicht die Entstehung des Anspruchs, sondern die Fälligkeit der einzelnen Rentenleistungen. Ein Vorbehalt, der eine Kürzung der zugesagten Rente um solche Leistungen gestatte, die der Berechtigte von einem Dritten erhalte, schließe die Rückstellungsbildung nach § 6 a EStG nicht aus. Die von der Klägerin vorgenommene Passivierung der Rentenverpflichtung sei zutreffend. Der nach versicherungsmathematischen Grundsätzen errechnete Barwert stelle die Summe dar, die zur künftigen Zahlung der Rente ausreiche. Der Barwert werde sich in den kommenden Jahren jeweils ermäßigen. Die Auffassung des FA, daß die Anrechnungsklausel zu einer Minderung der Rückstellung führe, entspreche nicht den Vorschriften des § 6 a EStG. Der Sinn einer solchen Rückstellung sei es gerade, daß alle Wechselfälle des Lebens (z. B. Frau H heirate wieder, höre auf zu arbeiten, weil sie Invalide werde oder eine Erbschaft mache usw.) pauschal berücksichtigt würden. Da noch ungewiß sei, ob die Pensionsberechtigte anrechnungspflichtige Bezüge tatsächlich erhalten werde, müsse die Anrechnungspilicht bei der Bemessung der erforderlichen und höchstzulässigen Rückstellung außer Betracht bleiben. Diese Auffassung werde dadurch bestätigt, daß gewisse Vorbehalte des Arbeitgebers die Rechtsverbindlichkeit einer Pensionszusage nicht beeinträchtigten und damit die Rückstellungsbildung nicht ausschlössen.

In seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 6 a EStG. Es trägt vor, maßgeblich für die Bildung von Pensionsrückstellungen sei der versicherungsmathematische Barwert der künftigen Pensionsleistungen, und zwar dann, wenn der Versorgungsfall eingetreten sei. Unter künftigen Pensionsleistungen seien nur die tatsächlich zu leistenden Pensionszahlungen zu verstehen. Im vorliegenden Fall würden Zahlungen nicht geleistet und seien in Zukunft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zunächst nicht zu erwarten. Diesem Umstand sei bei der Bewertung der Pensionsverpflichtung Rechnung zu tragen.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der BdF ist dem Verfahren beigetreten. Er ist der Auffassung, eine Rückstellung für die Rentenverpflichtung sei im Streitfall dem Grunde nach zulässig. Es handle sich aber um eine sogenannte aufgeschobene Witwenrente. Mangels anderer Anhaltspunkte müsse davon ausgegangen werden, daß die Witwe H solange Arbeitslohn beziehen werde, bis sie die Voraussetzungen für den Bezug einer eigenen Sozialrente erfülle. Es könne auch angenommen werden, daß die versorgungsberechtigte Witwe ihr Arbeitsverhältnis bei der Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt aufrechterhalten werde. Der Versorgungsaufschub sei bei der Berechnung der Rückstellung für die Pensionsverpflichtung zu berücksichtigen. Es handele sich hier nicht um eine Frage des Leistungsvorbehalts. Das FA habe die Pensionsrückstellung der Höhe nach zutreffend berechnet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Der erkennende Senat folgt dem FG, daß die Rentenverpflichtung der Klägerin gegenüber der Witwe H nach § 6 a EStG dem Grunde nach rückstellungsfähig ist. Die Rückstellung ist aber nur unter Berücksichtigung des Barwerts einer Rente anzusetzen, die mit dem Erreichen des 60. Lebensjahrs der Witwe H zu zahlen ist.

1. Die Beteiligten und das FG gehen davon aus, daß mit dem Tode des Betriebsangehörigen H im Jahre 1966 der Versorgungsfall eingetreten ist. Dieser Auffassung ist auch der III. Senat des BFH in dem Urteil vom 19. Mai 1972 III R 21/71 (BFHE 106, 228, BStBl II 1972, 748), das die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der Klägerin betraf. Die Rente der Witwe H sei aufgrund des Todes ihres früher bei der Klägerin beschäftigten Ehemannes unbedingt und unwiderruflich entstanden und die Witwe H habe einen klagbaren Anspruch auf die Rente. Fraglich sei lediglich, von welchem Zeitpunkt an die Witwe aus dem entstandenen Rentenrecht Ansprüche herleiten werde. Dieser Auffassung folgt der erkennende Senat für die Ertragsteuern. Er geht davon aus, daß der Versorgungsfall - die Verpflichtung zur Zahlung der Witwenrente - in 1966 eingetreten ist, die Verpflichtung zur Zahlung der einzelnen Rentenleistungen jedoch wegen der Anrechnungsklausel vorerst ruht (sogenannte aufgeschobene Witwenrente). Daraus ergibt sich zunächst, daß für die Passivierung der Rente zum 31. Dezember 1966 und der folgenden Bilanzstichtage vom versicherungsmathematischen Barwert der künftigen Pensionsleistungen auszugehen ist (§ 6 a Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 EStG).

Unter Barwert wird im allgemeinen der Betrag verstanden, mit dem man sich von einer Schuld zu einem Termin, der vor ihrer Fälligkeit liegt, befreien kann, oder den man, falls der Gläubiger die Annahme des Betrags ablehnt, zinsbringend anzulegen hat, damit er durch den Zins bis zur Fälligkeit der Schuld auf den Schuldbetrag anwächst (Heissmann, Die betrieblichen Ruhegeldverpflichtungen, 6. Aufl., S. 213). Der Barwert einer auf das Leben einer Person abgestellten Rente errechnet sich in ähnlicher Weise. Jede einzelne Rentenleistung wird mit dem Zinsfaktor und darüber hinaus mit dem Faktor "Erlebenswahrscheinlichkeit" abgewertet (Handbuch der betrieblichen Altersversorgung, 5. Aufl., Band I, S. 130). Die einzelnen Ergebnisse werden sodann zusammengerechnet.

Das so gefundene Gesamtergebnis ist der Barwert einer laufenden - sofort einsetzenden - Rente. Der Barwert einer laufenden auf die Lebenszeit des Berechtigten abgestellten Rente nimmt mit zunehmendem Alter des Berechtigten ständig ab, weil die Lebenserwartung mit dem Alter sinkt und weniger Rentenzahlungen zu erwarten sind.

Handelt es sich hingegen um eine bis zu einem bestimmten oder bestimmbaren Zeitpunkt aufgeschobene Rente, tritt der umgekehrte Effekt deshalb ein, weil der die Rente zusagende Verpflichtete während der Aufschubzeit nichts zu zahlen hat. Der zu Beginn der Aufschubzeit anzusetzende Barwert ist dementsprechend niedriger. An den folgenden Bilanzstichtagen ist jeweils ein höherer Wert anzusetzen, bis der für die Beendigung der Aufschubzeit maßgebliche Barwert erreicht ist. Die während der Aufschubzeit maßgeblichen Barwerte lassen sich versicherungsmathematisch berechnen, ohne daß es einer griffweisen Schätzung bedarf.

2. Das FA meint, aufgrund der Tatsache, daß verschiedene schwer vorauszusehende Wechselfälle des Lebens, wie z. B. die Wiederverheiratung einer Witwe, bei der Berechnung des Barwerts einer Witwenrente außer Betracht blieben, dürfe auch das Ruhen einer Witwenrente wegen des Empfangs anrechnungspflichtiger Arbeitseinkünfte nicht berücksichtigt werden. Dem könnte allenfalls zugestimmt werden, wenn die Zeitdauer des Ruhens der Rente völlig ungewiß wäre und der Rentenverpflichtete jederzeit mit dem Einsetzen seiner Rentenzahlungen rechnen müßte. Das wird z. B. angenommen, wenn ein pensionsberechtigter Arbeitnehmer nach dem vertraglich vorgesehenen Eintritt des Versorgungsfalls vorerst noch weiter gegen Entgelt tätig bleibt (sogenannter technischer Rentner). Etwas Derartiges liegt in dem hier zu beurteilenden Fall der damals erst 29 Jahre alten Witwe H nicht vor. Nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt erhält die Witwe H aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine geringe Hinterbliebenenrente von 72,80 DM monatlich. Die von der Klägerin zugesagte Witwenrente beträgt 48 DM monatlich. Beide Renten zusammen würden nicht einmal das notwendige Existenzminimum sichern. Der erkennende Senat folgt daher der Auffassung des III. Senats in der Entscheidung III R 21/71, daß die betriebliche Witwenrente nur eine Ergänzung zu künftigen, im pensionsfähigen Alter einsetzenden sonstigen Versorgungsbezügen sein kann. Die Witwe H muß solange berufstätig bleiben, bis sie die Voraussetzungen für eine - aufgrund eigener Beitragsleistungen - erworbene Sozialrente erfüllt. Der III. Senat hat es als feststehende Tatsache angesehen, daß die Witwe H bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres - das sind immerhin noch 30 Jahre - oder bis zu einer früheren Invalidität berufstätig sein muß, so daß die betriebliche Witwenrente solange ruhen wird. Der erkennende Senat kann es dahingestellt sein lassen, ob hier von feststehenden Tatsachen gesprochen werden kann. Es besteht jedoch die begründete Wahrscheinlichkeit einer Arbeitstätigkeit der Witwe H bis zu dem genannten Lebensalter von 60 Jahren. Diese Umstände müssen bei der Bemessung der Rückstellung berücksichtigt werden.

Der Prüfer und ihm folgend das FA sind von diesen Grundsätzen bei der Errechnung der zum 31. Dezember 1966 anzusetzenden Rückstellung ausgegangen. Gegen das Rechenwerk als solches sind Einwendungen nicht erhoben worden. Der vom Prüfer verwendete Begriff "Barwert der Anwartschaft" ist lediglich eine ungenaue oder unzutreffende Bezeichnung.

Die Vorentscheidung, die von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72673

BStBl II 1978, 213

BFHE 1978, 196

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Finance Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge