Leitsatz (amtlich)

Die als Aufwandsentschädigung bezeichnete Zulage, die die Deutsche Bundesbahn ihren im Rangierdienst tätigen Bediensteten aufgrund der Vorschriften über die Rangierprämien zahlt, ist nach § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG steuerfrei.

 

Normenkette

EStG § 3 Nr. 12; LStDV § 4 Nr. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die von der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) ihren im Rangierdienst tätigen Bediensteten gewährten als Aufwandsentschädigung bezeichneten Zulagen steuerfrei sind.

Eine Lohnsteuerprüfung bei der Bundesbahndirektion X ergab, daß die Klägerin ihren im Bereich dieser Direktion im Rangierdienst tätigen Bediensteten in der Zeit vom 1. Januar 1957 bis 30. September 1966 als Aufwandsentschädigungen bezeichnete Zulagen von zunächst arbeitstäglich 1 DM und ab 1. Januar 1965 arbeitsstündlich 0,20 DM gezahlt hatte. Die Zulagen sollten nach den Vorschriften über die Rangierprämien (VRPr) in der Fassung vom 1. April 1957 einen Ersatz für die besonderen Aufwendungen und Erschwernisse, die sich durch den Rangierdienst ergeben, bieten, und zwar für

a) das Zurücklegen umfangreicher Wegstrecken zwischen Gleisen und bewegten Fahrzeugen,

b) den erhöhten Verbrauch an Kleidung und Schuhwerk,

c) die Einwirkung ungünstiger Witterung, der sich die Bediensteten nicht entziehen können,

d) die durch das notwendige Arbeitstempo bedingte ständige Aufmerksamkeit, um Gefährdung von Menschen, Betriebsmitteln und Gütern zu vermeiden (§ 1 Abs. 2 VRPr).

die inzwischen geänderte Fassung der Vorschriften über die Rangierprämien lautet:

"(1) Die im Rangierdienst tätigen, in Absatz 4 näher bezeichneten Bediensteten erhalten als Ausgleich für die bei dieser Dienstausübung entstehenden Mehraufwendungen Aufwandsentschädigungen nach dieser Vorschrift.

(2) Die Aufwandsentschädigung beruht auf § 17 in Verbindung mit den §§ 4 und 15 des Bundesreisekostengesetzes (BRKG) vom 20. März 1965."

Der Beklagte und Revisionskläger (FA) nahm die Klägerin als Haftungsschuldnerin für einen Betrag von 1 356 389,76 DM Lohnsteuer zuzüglich 36 170,37 DM katholischer und 72 340,74 DM evangelischer Kirchensteuer in Anspruch, da nach seiner Auffassung keine der Befreiungen des § 3 Nr. 12 oder Nr. 13 EStG (§ 4 Abs. 1 und 2 LStDV) in Betracht kam.

Die Sprungklage hatte Erfolg. Das FG stützte seine in den EFG 1969, 65 veröffentlichte Entscheidung auf § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG. Es führte im wesentlichen aus: Unzweifelhaft seien die Kassen der Klägerin öffentliche Kassen. Öffentliche Dienste im Sinne des § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG leisteten auch diejenigen Personen, die Aufgaben der sog. schlichten Hoheitsverwaltung erfüllten (Urteil des BFH vom 15. März 1968 VI R 288/66, BFHE 92, 11, BStBl II 1968, 437). Nach § 6 Abs. 3 des Bundesbahngesetzes (BbG) vom 13. Dezember 1951 (BGBl I 1951, 955) sei die Erfüllung der Aufgaben der Deutschen Bundesbahn und damit auch die Tätigkeit der Rangierbediensteten öffentlicher Dienst. Die Aufwandsentschädigung übersteige nicht offenbar den Aufwand, der dem Empfänger erwachse.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Es trägt vor: Das FG habe § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG unrichtig angewendet. Nach der bisherigen Rechtsprechung (vgl. Urteil des RFH vom 17. Juni 1931 Vi A 1452/30, RStBl 1931, 666; RFH-Beschluß vom 14. Februar 1934 VI A 503/32, RStBl 1934, 679) müsse der Empfänger der Aufwandsentschädigung selbst öffentliche Aufgaben ausüben. Daß das Rangierpersonal bei einer Dienststelle tätig sei, die als Bundesbehörde gekennzeichnet sei, reiche danach nicht aus. Ebensowenig könne der Bezeichnung der Erfüllung der Aufgaben der Deutschen Bundesbahn als öffentlicher Dienst (§ 6 BbG) für den Bereich des Steuerrechts entscheidendes Gewicht beigemessen werden. Die Deutsche Bundesbahn trete ihren Kunden gegenüber wie ein Privatunternehmen auf.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Nach § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG 1957 ff. sind Bezüge steuerfrei, die als Aufwandsentschädigung aus öffentlichen Kassen an öffentliche Dienste leistende Personen gezahlt werden, soweit nicht festgestellt wird, daß sie für Verdienstausfall oder Zeitverlust gewährt werden oder den Aufwand, der dem Empfänger erwächst, offenbar übersteigen. Zutreffend hat das FG die Rangierprämien als aus öffentlichen Kassen an öffentliche Dienste leistende Personen gezahlte Aufwandsentschädigungen angesehen.

Die Deutsche Bundesbahn ist als nicht rechtsfähiges Sondervermögen des Bundes Teil der Bundesverwaltung (Art. 87 Abs. 1 GG, § 1 BbG). Die Kassen der Deutschen Bundesbahn sind damit öffentliche Kassen.

Die Rangierbediensteten der Deutschen Bundesbahn leisten öffentliche Dienste. Nach dem BFH-Urteil vom 13. August 1971 VI R 391/69 (BFHE 103, 165, BStBl II 1971, 818) leisten öffentliche Dienste diejenigen Personen, die eine obrigkeitliche oder schlichte hoheitliche Tätigkeit ausüben, nicht dagegen diejenigen, die in der fiskalischen Verwaltung tätig sind. Daß nach § 6 Abs. 3 BbG die Erfüllung der Aufgaben der Deutschen Bundesbahn öffentlicher Dienst ist, kann der steuerrechtlichen Beurteilung der Tätigkeit der Bediensteten der Deutschen Bundesbahn nicht ohne weiteres zugrunde gelegt werden. Die Tätigkeit der Bundesbahnbediensteten ist - bis auf wenige Ausnahmen, wie z. B. die bahnpolizeiliche Tätigkeit - nach ständiger Rechtsprechung der Zivilgerichte zur Frage der Staatshaftung nach Art. 34 GG eine der privatwirtschaftlichen gleichstehende fiskalische Tätigkeit, da die Haupttätigkeit der Deutschen Bundesbahn, die Beförderung von Personen und Gütern, sich auf bürgerlich-rechtlicher Ebene vollzieht (§§ 453 ff. HGB) und die Deutsche Bundesbahn nach kaufmännischen Grundsätzen zu führen ist (§ 4 BbG vom 23. Dezember 1951, § 28 BbG in der Fassung vom 1. August 1961, BGBl I 1961, 1161; vgl. Kommentar der Reichsgerichtsräte und Bundesrichter zum BGB, 11. Aufl., II. Bd., Teil 2, § 839 Anm. 25). Wenn auch der Senat in der genannten Entscheidung VI R 391/69, in der es um die Frage ging, ob ein Vorstandsmitglied einer städtischen Sparkasse öffentliche Dienste leistet, auf die Ähnlichkeit zwischen § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG und Art. 34 GG hingewiesen hat, so kann der Beurteilung nach Art. 34 GG jedoch dann keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen, wenn - wie im Streitfall - aus dem Sinn und Zweck des § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG und der im Steuerrecht herrschenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise eine besondere steuerrechtliche Beurteilung geboten ist.

Die Vorschrift des § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG dient der Vereinfachung. Ihr liegt der Gedanke zugrunde, daß Aufwandsentschädigungen aus öffentlichen Kassen im allgemeinen den steuerlich absetzbaren Dienstaufwand der Empfänger nicht übersteigen. Den Finanzbehörden ist zwar ein Nachprüfungsrecht eingeräumt. Es beschränkt sich jedoch auf die Überprüfung, ob die Entschädigung den Dienstaufwand offenbar übersteigt. Der in § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG betroffene Personenkreis wird auch dadurch steuerlich begünstigt, daß ihm neben der steuerfreien Aufwandsentschädigung der Werbungskostenpauschbetrag (§ 9a EStG) zusteht. Im Hinblick auf die Verfahrensvereinfachung erscheint diese Besserstellung von Personen, die aus öffentlichen Kassen Aufwandsentschädigungen erhalten, gerechtfertigt. Sie ist jedoch nur insoweit vertretbar, als sich die Tätigkeit des begünstigten Personenkreises von der Tätigkeit von Personen, die aus privaten Kassen Aufwandsentschädigungen erhalten, klar unterscheidet. Hierzu gehört insbesondere, daß es sich nicht um die Tätigkeit in einem Wirtschaftsbetrieb der öffentlichen Hand handelt, der in Konkurrenz zu privatwirtschaftlichen Unternehmen tritt; andernfalls würde durch § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG in den freien Wettbewerb eingegriffen werden (vgl. BFH-Urteil VI R 391/69). Die Deutsche Bundesbahn ist nach wirtschaftlicher Betrachtung kein Wirtschaftsunternehmen. Sie ist zwar wie ein Wirtschaftsunternehmen mit dem Ziel bester Verkehrsbedienung nach kaufmännischen Grundsätzen zu führen. Ihre Erträge sollen aber nur die Aufwendungen einschließlich der erforderlichen Rückstellungen decken und es soll eine angemessene Verzinsung angestrebt werden (§ 28 Abs. 1 BbG). Im Vordergrund des Betriebs der Bundesbahn steht nicht das einem Wirtschaftsbetrieb eigene Streben nach Gewinn, sondern die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Aufgabe bestmöglicher Verkehrsbedienung. Die Wirtschaftlichkeit tritt gegenüber dieser der Daseinsvorsorge zuzurechnenden Verpflichtung zurück. Grundlage für die Erfüllung dieser Verpflichtung bildet das Netzsystem der Deutschen Bundesbahn. Auf ihm beruht die - wenn auch nicht de jure, so doch de facto bestehende - Monopolstellung der Deutschen Bundesbahn. Der Verkehr der nicht bundeseigenen Eisenbahnen, deren Streckenlänge ca. 10 % der Netzlänge der Deutschen Bundesbah beträgt und laufend abnimmt, beschränkt sich auf Einzelstrecken und fällt gegenüber dem Verkehrsbetrieb der Deutschen Bundesbahn nicht ins Gewicht. Insbesondere kann die Deutsche Bundesbahn nicht als Konkurrenzunternehmen gegenüber den nicht bundeseigenen Eisenbahnen angesehen werden. Sie ist mit ihrem Bahnnetz Träger eines wesentlichen Bestandteils der Infrastruktur der Bundesrepublik Deutschland. Der besonderen Stellung der Deutschen Bundesbahn ist auch im KStG dadurch Rechnung getragen worden, daß sie von der Körperschaftsteuer befreit ist (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 KStG). Da die Funktionsfähigkeit des als öffentliche Aufgabe anzusehenden Verkehrsbetriebs durch die Deutsche Bundesbahn entscheidend von der Tätigkeit der Rangierbediensteten abhängt, ist deren Arbeitsleistung öffentlicher Dienst.

Die Rangierprämien sind weder für Verdienstausfall noch Zeitverlust gewährt worden. Sie übersteigen auch nicht offenbar den Aufwand der Empfänger. Die Aufwandsentschädigung nach § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG dient der Abgeltung von Werbungskosten. Ob und in welcher Höhe den Empfängern Werbungskosten erwachsen, dürfen und müssen die Behörden der Finanzverwaltung und FG nachprüfen. Inhalt und Umfang des Nachprüfungsrechts der Finanzverwaltungsbehörden ist in Abschn. 17 Abs. 2 LStR zutreffend umschrieben (BFH-Urteil vom 3. August 1962 VI 107/61, BFHE 75, 434, BStBl III 1962, 425). Daß bei der Nachprüfung nicht kleinlich verfahren werden darf, insbesondere nicht unbedingt erforderlich ist, daß der Empfänger alle seine dienstlichen Aufwendungen bis ins kleinste nachweist, es vielmehr ausreicht, daß ihm nach Art seiner Dienstleistung erfahrungsgemäß steuerlich anzuerkennende Aufwendungen ungefähr in Höhe der empfangenen Aufwandsentschädigung entstehen, ergibt sich aus dem pauschalen Charakter der Aufwandsentschädigung und der Fassung des Gesetzes, wonach die Steuerfreiheit davon abhängt, daß die Aufwandsentschädigung den entstehenden Aufwand nicht offenbar übersteigt. Unter diesen Gesichtspunkten ist die Entscheidung des FG nicht zu beanstanden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70378

BStBl II 1973, 401

BFHE 1973, 171

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