Leitsatz (amtlich)

Eine verbindliche Zolltarifauskunft, die dem Antragsteller erst zugeht, nachdem die in ihr angewandten Rechtsvorschriften geändert wurden, ist zwar rechtswidrig, aber deshalb nicht unwirksam und kann daher angefochten werden.

 

Normenkette

AO § 91 Abs. 1, § 229 Nr. 9, § 239; ZG § 23 Abs. 3; VwZG § 17 Abs. 2

 

Tatbestand

Die beklagte OFD hat der Klägerin die verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) 340/1968 vom 20. Juni 1968 über eine als "Schreiben aus monokristallinem Reinstsilizium" bezeichnete Ware erteilt. In der vZTA wurde die Ware der Tarifstelle 38.19-Q - IV - s - 3 zugewiesen. Gegen die vZTA hat die Klägerin Einspruch eingelegt. In der Einspruchsentscheidung vom 22. Juli 1969 wurde der Einspruch für in der Hauptsache erledigt erklärt. Die Kosten des Verfahrens wurden der Klägerin auferlegt.

Mit der Klage wird beantragt, unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung dem Einspruch der Klägerin stattzugeben und der Beklagten die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Klägerin im Vorverfahren aufzuerlegen, hilfsweise, die Einspruchsentscheidung und die vZTA aufzuheben.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, daß sich das Einspruchsverfahren nicht erledigt habe. Nach § 23 Abs. 3 des Zollgesetzes (ZG) trete die vZTA außer Kraft, wenn die in ihr angewandten Rechtsvorschriften geändert würden. In dem Zeitpunkt, in dem die vZTA der Klägerin zugestellt worden sei, sei schon der Gemeinsame Zolltarif (Gem.ZT) in Kraft getreten gewesen. Die vZTA sei also nach dem Gesetz gegenstandslos geworden. Sie habe aber zumindest insofern weiter existiert, als in der Einspruchsentscheidung gesagt sei, die Kosten des Einspruchsverfahrens seien der Klägerin aufzuerlegen. Wenn die Hauptsache erledigt gewesen sei, habe zumindest diese Kostenentscheidung nicht mehr ergehen dürfen. Die OFD hätte die vZTA überhaupt nicht mehr erteilen dürfen, weil zu dieser Zeit dem BGBl und dem BZBl schon das Inkrafttreten dem Gem.ZT zu entnehmen gewesen sei. Insofern habe die OFD zum Nachteil der Klägerin noch eine Sachentscheidung getroffen, die in diesem Zeitpunkt nicht mehr hätte ergehen dürfen. Die OFD hätte der Klägerin mitteilen müssen, daß keine vZTA mehr ergehen könne. Die Klägerin habe vor dem Inkrafttreten des Gem.ZT zahlreiche Einfuhren getätigt und gegen die einzelnen Zollbescheide Einspruch eingelegt. Sie habe daher ein rechtliches Interesse an der Klärung, wie die eingeführten Waren zu tarifieren seien. Der Klägerin liege an einer Feststellung, daß die vZTA sachlich nicht richtig gewesen sei. Es bestehe die Gefahr, daß die HZÄ im Einspruchsverfahren auf die vZTA verwiesen, falls diese nicht aufgehoben werde.

Die OFD beantragt, die Klage abzuweisen und der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Sie trägt vor, die angefochtene vZTA sei infolge des Inkrafttretens des Gem.ZT nach § 23 Abs. 3 ZG mit Ablauf des 30. Juni 1968 außer Kraft getreten. Der Rechtsstreit habe sich dadurch erledigt. Die von der Klägerin beantragte Aufhebung der vZTA sei begrifflich nicht möglich, weil sie außer Kraft getreten sei, und zwar bevor Klage erhoben worden sei. Daher sei auch kein Raum mehr für eine Erledigungserklärung. Die Klage sei von vornherein unzulässig, weil es an einem Rechtsschutzbedürfnis fehle. Einer Aufhebung der vZTA bedürfe es nicht, weil die Klägerin ihr Ziel auch auf anderen Wegen erreichen könne. Es habe schon an einem Rechtsschutzbedürfnis gefehlt, als der Einspruch eingelegt worden sei, weil zu diesem Zeitpunkt die vZTA sich schon erledigt gehabt habe. Die Klägerin habe selbst vorgetragen, daß sie vor Inkrafttreten des Gem.ZT zahlreiche Einfuhren getätigt habe. Eine bestimmte Tarifierung dieser Einfuhrwaren habe nur durch eine Tarifauskunft gewährleistet werden können, die sich auf den vorher in Kraft gewesenen Deutschen Zolltarif (DZT) stütze. Eine Tarifauskunft nach dem Gem.ZT hätte der Klägerin für die früheren Einfuhren nichts genützt. Also sei die OFD verpflichtet gewesen, die vZTA nach dem alten Recht zu erlassen. Die Klage könne auch nicht in eine Feststellungsklage im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO umgeändert werden. Die Klägerin habe einen derartigen Antrag auch nicht gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die vZTA ist mit einfachem Brief am 27. Juni 1968 zur Post gegeben worden. Die Zustellung gilt daher gemäß § 17 Abs. 2 VwZG mit dem dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bewirkt, es sei denn, daß das zuzusendende Schriftstück zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Nach der Einspruchsschrift vom 18. Juli 1968 hat die Klägerin die vZTA erst am 1. Juli 1968 erhalten. Das ist ohne weiteres glaubwürdig, weil der dritte Tag nach der Aufgabe zur Post, der 30. Juni 1968, ein Sonntag war und bei der Entfernung zwischen dem Absendeort und dem Empfangsort ein Zugang vor dem Wochenende ohnehin sehr unwahrscheinlich ist.

Die OFD hat unter Hinweis auf die Zolltarif-Verordnung (DZT 1968) vom 20. Juni 1968 (BGBl II 1968, 541, BZBl 1968, 522) die Auffassung vertreten, daß die vZTA infolge des Inkrafttretens des Gem.ZT am 1. Juli 1968 - d. h. mit dem Beginn dieses Tages - nach § 23 Abs. 3 ZG mit Ablauf des 30. Juni 1968 außer Kraft getreten ist. Dem kann nicht gefolgt werden, da das Außerkrafttreten einer vZTA zwingend ein vorheriges Inkrafttreten voraussetzt. Die vZTA war aber im Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen tarifrechtlichen Vorschriften noch gar nicht wirksam geworden, was in diesem Zusammenhang bedeutet, daß sie noch nicht in Kraft getreten war. Sie wurde nach § 91 Abs. 1 AO erst wirksam, als sie der Klägerin, für die sie ihrem Inhalt nach bestimmt war, im Laufe des 1. Juli 1968 zuging. In diesem Zeitpunkt war die Änderung der tarif-rechtlichen Vorschriften - wenn auch erst seit Stunden - bereits eingetreten. Der Eintritt dieser Änderung der tarifrechtlichen Vorschriften, der ein Außerkrafttreten bereits wirksamer vZTA bewirkte, konnte aber das von dem später stattfindenden Zugang abhängige Wirksamwerden der hier streitigen vZTA nicht beeinträchtigen. Die vZTA hätte allerdings, da sie inzwischen außer Kraft getretene Tarifvorschriften anwandte, im Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe an die Klägerin mit diesem Inhalt nicht mehr ergehen dürfen, denn die in einer vZTA enthaltene Bindung der Verwaltung an eine künftige bestimmte Tarifierung darf nur nach den jeweils geltenden Rechtsvorschriften eingegangen werden. Die vZTA war daher, da inzwischen der Gem.ZT in Kraft getreten war, zwar rechtswidrig, aber - wie auch sonst rechtswidrige Verwaltungsakte - nicht unwirksam.

Es war daher zulässig, sie mit dem Einspruch anzufechten (§ 229 Nr. 9, § 239 AO), und dieses Einspruchsverfahren hat sich auch entgegen der von der OFD vertretenen Auffassung nicht in der Hauptsache erledigt. Eine solche Erledigung wäre nur dann eingetreten, wenn sich während des Einspruchsverfahrens Umstände ergeben hätten, die den Einspruch gegenstandslos gemacht hätten. Derartige Umstände sind aber nicht ersichtlich. Es wäre daher Sache der OFD gewesen, die rechtswidrige vZTA aufzuheben und - gegebenenfalls - eine vZTA nach neuem Recht zu erteilen. Da sich demnach das Einspruchsverfahren nicht erledigt hatte und die rechtswidrige vZTA fortbestand, waren auf die daher zulässige Klage die Einspruchsentscheidung und die vZTA aufzuheben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69593

BStBl II 1971, 794

BFHE 1972, 109

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