Leitsatz (amtlich)

Soweit die Vorschrift des § 18 Abs. 2 GDL die VOL für das Jahr 1961 für weiter anwendbar erklärt, ist sie verfassungsgemäß.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; EStG 1961 § 4 Abs. 1, 3; Gesetz über die Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft nach Durchschnittsätzen vom 15. September 1965 - GDL - (BGGl I 1965, 1350, BStBl I 1965, 552) § 18 Abs. 2; VO über die Aufstellung von Durchschnittsätzen für die Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft vom 2. Juni 1949 - VOL - (WiGBl 1949, 95), § 1 Nr. 2

 

Tatbestand

Streitig ist bei der Einkommensteuerveranlagung 1961, ob ein nichtbuchführender Landwirt wegen Ungültigkeit der Verordnung über die Aufstellung von Durchschnittsätzen für die Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft vom 2. Juni 1949 - VOL - (Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1949 S. 95) einen nach der Überschußrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) ermittelten Verlust geltend machen kann.

Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige) war Fabrikant. Er besaß einen rund 30 ha großen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb, den er durch einen Verwalter führen ließ. Der Gewinn wurde bis 1961 nach der VOL ermittelt. Für den Veranlagungszeitraum 1961 machte der Steuerpflichtige einen durch Einnahmenüberschuß-Rechnung ermittelten Verlust aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von 7 912 DM geltend.

Das FA wandte die VOL an und zog den Steuerpflichtigen mit einem Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft von 1 067 DM zur Einkommensteuer heran. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das FA erhöhte aufgrund einer geänderten Feststellung des Einheitswerts des landwirtschaftlichen Betriebes zum 1. Januar 1960 den Gewinn auf 1 167 DM.

Das FG gab der als Klage behandelten Berufung insofern statt, als es den Verlust teilweise anerkannte. Es ging davon aus, daß der Steuerpflichtige wegen Ungültigkeit der VOL (Hinweis auf das Urteil des BFH IV 11/64 S vom 5. November 1964, BFH 80, 356, BStBl III 1964, 602) die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft nach § 4 Abs. 3 EStG habe ermitteln dürfen, da er nicht zur Buchführung verpflichtet gewesen sei. Die Erwägungen, aufgrund deren der BFH in dem bezeichneten Urteil die in der VOL enthaltene Regelung zunächst noch - so auch für das Streitjahr - für steuerlich maßgebend gehalten habe, träfen auf die Fälle nicht zu, in denen der Wegfall der VOL einen steuerlichen Vorteil bedeute, also besonders dann, wenn sich ein Verlust ergebe. Es handele sich nicht um einen Liebhabereibetrieb. Der Verlust sei allerdings aufgrund einer unter dem Gesichtspunkt des § 4 Abs. 3 EStG inzwischen durchgeführten Überprüfung der Gewinnermittlung zu kürzen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision des FA, mit der unrichtige Rechtsanwendung gerügt wird, führt antragsgemäß zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (Berufung).

Die VOL wurde durch § 18 Abs. 2 des Gesetzes über die Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft nach Durchschnittsätzen vom 15. September 1965 (GDL) - BGBl I 1955, 1350, BStBl I 1965, 552 - als noch bis zum Wirtschaftsjahr 1964/65 für anwendbar erklärt. Diese Vorschrift des § 18 Abs. 2 GDL unterliegt, jedenfalls soweit sie das Streitjahr 1961 betrifft, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Da die Erstreckung der Gültigkeit der VOL innerhalb des Gesetzes selbständige Bedeutung hat, kommt es für die Beurteilung ihrer Verfassungsmäßigkeit nicht darauf an, ob und inwieweit auch der übrige Inhalt des GDL, vor allem die für die Wirtschaftsjahre ab 1965/66 an die Stelle der VOL getretene Neuregelung der Besteuerung der Landwirte nach Durchschnittsätzen, mit Verfassungsgrundsätzen vereinbar ist (vgl. dazu BVerfGE 8, 274 [301], mit weiteren Nachweisen). Denn es muß davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber unabhängig von dem Inhalt dieser Neuregelung für die bezeichnete Übergangszeit die Gültigkeit der VOL in jedem Falle aufrechterhalten wollte.

Die Vorschrift entspricht im wesentlichen der Entscheidung des erkennenden Senats IV 11/64 S, nach der Gründe der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes geboten, die Gewinnermittlung bis zum Ende des Wirtschaftsjahrs 1964/65 nach der Regelung der VOL vorzunehmen, wobei allerdings davon ausgegangen wurde, daß die VOL eine die Steuerpflichtigen begünstigende Regelung darstelle. Dem FG ist zwar darin Recht zu geben, daß aus jener Entscheidung nicht eine Benachteiligung der Steuerpflichtigen begründet werden könne, die in einer ausnahmslosen weiteren Anwendung der VOL liegen würde. Aber eine solche Anwendung konnte der Gesetzgeber für eine begrenzte Übergangszeit vorschreiben. Denn wenn der Gesetzgeber Verhältnisse, die er oder die Verwaltung geregelt glaubten, aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung nicht oder anders geregelt findet, als er annahm, so kann der Verfassungsgrundsatz der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) ihn zu einer rückwirkenden Regelung berechtigen (vgl. BVerfGE 7, 89 [94]). Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber sich auf dem Gebiete der Einkommensbesteuerung der Landwirtschaft, die eng mit der Einheitsbewertung des Grundbesitzes zusammenhängt, besonderen Schwierigkeiten gegenüber sah (vgl. dazu BFH-Urteil III 97/65 vom 29. April 1966, BFH 86, 4), und daß die Bemühungen, ein verfassungsgemäßes Besteuerungssystem zu schaffen, in der Verabschiedung des Bewertungsgesetzes in der Fassung vom 10. Dezember 1965 (BGBl I 1965, 1862, BStBl I 1966, 2) einen nur vorläufigen Abschluß fanden. Angesichts dieser besonderen Lage können die im Urteil IV 11/64 S gegen die Gültigkeit der VOL sprechenden, auf Art. 3 Abs. 1 GG gestützten Gründe nicht gegen die Übergangsvorschrift des § 18 Abs. 2 GDL eingewendet werden (vgl. BVerfGE 21, 12).

Bedenken gegen die in § 18 Abs. 2 GDL liegende Rückwirkung könnten unter dem Gesichtspunkt der Rechtsstaatlichkeit nur erhoben werden, wenn es sich um einen rückwirkenden Eingriff in Rechte oder Rechtslagen der Steuerpflichtigen handelte, mit denen diese zu der Zeit, auf die sich die Rückwirkung erstreckt, nicht rechnen konnten und die sie also bei verständiger Vorausschau bei ihren Dispositionen nicht zu berücksichtigen brauchten. Danach ist das Vertrauen nicht schutzwürdig, wenn der Bürger zu jenem Zeitpunkt mit dieser Regelung rechnen mußte (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. BVerfGE 8, 274 [304]; 13, 261 [272]).

Der Steuerpflichtige mußte im Streitjahr 1961 mit der Gültigkeit der VOL rechnen, da die Verordnung zu dieser Zeit allgemein für wirksam gehalten wurde (vgl. BFH-Urteil IV 11/64 S, Abschn. VII, letzter Absatz). Er ging auch, als er sich gegen die Einkommensteuerveranlagung 1961 wandte, nicht von der Ungültigkeit der VOL aus. Er war vielmehr der Auffassung, daß er berechtigt sei, unbeschadet der Anwendbarkeit dieser Verordnung in allen anderen Fällen in seiner Steuersache einen durch Überschußrechnung ermittelten Verlust geltend zu machen. Er mußte damit rechnen, daß er im Rechtsmittelverfahren unterliegen werde, da nach § 1 Nr. 2 VOL die Verordnung nur dann nicht anzuwenden war, wenn der Verlust aufgrund einer ordnungsmäßigen Buchführung ermittelt wurde. Dazu hätte es einer entsprechend den Vorschriften der Verordnung über landwirtschaftliche Buchführung vom 5. Juli 1935 (RGBl I 1935, 908) angelegten Buchhaltung und einer darauf beruhenden Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG bedurft. Eine einfache Einnahmenüberschuß-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG reichte nicht aus.

Es ist weiter zu berücksichtigen, daß die Verfassungsmäßigkeit der Durchschnittsbesteuerung nach der VOL, die beim Steuerpflichtigen in den Vorjahren angewendet wurde, nur nach den Auswirkungen innerhalb eines längeren Zeitraumes beurteilt werden darf und daß dann die VOL zu einer ungewöhnlich günstigen und verfassungsrechtlich bedenklichen Besteuerung der von ihr betroffenen Landwirte führt. Wenn also der Gesetzgeber die zeitlich begrenzte Weiteranwendung der VOL vorschrieb, so ist es nur recht und billig, daß er ihre Weiteranwendung insgesamt anordnete.

Da hiernach der geltend gemachte Verlust aus Landwirtschaft steuerlich nicht anerkannt werden kann, müssen die Vorentscheidung aufgehoben und die angefochtene Entscheidung des FA wiederhergestellt werden.

 

Fundstellen

BStBl II 1969, 434

BFHE 1969, 384

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