Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Aussetzung der Vollziehung bei Streit über die Vermögensabgabepflicht eines Angehörigen der Vereinten Nationen.

Sieht das Steuergericht in der Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung einen Ermessensmißbrauch, so kann es in der Regel nicht selbst die Aussetzung anordnen, sondern muß die Sache zur Prüfung einer Aussetzung mit oder ohne Sicherheitsleistung an die Finanzverwaltung zurückverweisen.

AO § 251; Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen vom 26. Mai 1952, 10.

 

Normenkette

AO §§ 251, 242; FGO § 102; ÜbV 6

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung aus einem Vermögensabgabebescheide eine Ermessensverletzung der Finanzverwaltung darstellt.

Der Bg. wohnt in der Bundesrepublik und ist holländischer Staatsbürger, also Angehöriger der Vereinten Nationen (AVN). Er wurde durch berichtigten Bescheid nach seinem abgabepflichtigen Vermögen zur Vermögensabgabe herangezogen. Er legte Einspruch mit der Begründung ein, AVN seien nach allgemeinen Völkerrechtsgrundsätzen nicht vermögensabgabepflichtig. Nach Art. 6 Abs. 1 des Zehnten Teiles des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen (überleitungsvertrag) vom 26. Mai 1952 (BStBl 1956 I S. 61) seien die AVN von allen Sondersteuern, Sonderabgaben oder Sonderauflagen befreit, die sich tatsächlich auf das Vermögen auswirkten und zu dem besonderen Zwecke auferlegt würden, Lasten zu decken, die sich aus dem Kriege oder aus Reparationen oder Restitutionen an eine der Vereinigten Nationen ergäben. Das Finanzamt wies in diesem Punkte den Einspruch als unbegründet zurück, da ein völkerrechtlicher Grundsatz über die Nichtheranziehung von AVN zum Lastenausgleich nicht bestehe. Mit der Berufung beantragte der Bg. die Aussetzung des Berufungsverfahrens bis zur Entscheidung eines schwebenden Musterprozesses eines AVN über die Auslegung des überleitungsvertrages durch die Schiedskommission für Güter, Rechte und Interessen in Deutschland gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf VI c 13/57 vom 19. Dezember 1957. Der Vorsitzende des Finanzgerichts gab dem Aussetzungsbegehren statt. Auf den Antrag des Vorstehers des Finanzamts auf Entscheidung des Finanzgerichts hielt die Kammer die Aussetzung aufrecht (ß 264 AO).

Gleichzeitig mit dem Einspruch hatte der Bg. beantragt, die Einziehung der Vermögensabgabe bis zur Entscheidung über das Rechtsmittel nach § 251 Satz 2 AO auszusetzen. Die anfänglich gewährte Aussetzung hat das Finanzamt durch Bescheid vom 1. Oktober 1958 widerrufen. Die Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion durch Entscheidung vom 20. Januar 1959 als unbegründet zurück. Art. 6 Abs. 1 des Zehnten Teiles des überleitungsvertrages komme bei der Vermögensabgabe nicht zur Anwendung, da sich durch die Sonderregelung des Abs. 2 die Befreiung nur auf den Zeitraum vom 1. April 1949 bis 31. März 1955 erstrecke. Der Bg. sei daher von der Vermögensabgabe - abgesehen von den sechs Jahreszeiträumen - nicht befreit. Die Rechtslage sei nicht zweifelhaft.

Auf die Berufung, mit der sich der Bg. auf die Aussetzung der Vollziehung bei gleichgelagerten Fällen und auf die Aussetzung der Entscheidung über die Berufung wegen der Vermögensabgabepflicht bezog, hob das Finanzgericht den widerrufenden Bescheid des Finanzamts sowie die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion auf und setzte die Vollziehung des Vermögensabgabebescheides bis zur Entscheidung der Schiedskommission über die Berufung gegen das Urteil VI c 13/57 des Finanzgerichts Düsseldorf vom 19. Dezember 1957 aus. Die Rechtsausführungen des Bg. seien schlüssig. Der Bundesfinanzhof habe in einem nicht veröffentlichten Bescheide III 230/56 vom 12. April 1957 dem Stundungsantrage eines AVN bei Hypothekengewinnabgabe wegen der zweifelhaften Rechtslage stattgegeben. Die gleichen Bedenken habe das Finanzgericht, auch wenn der Bundesminister der Finanzen und der zuständige Landesfinanzminister in Erlassen einen gegenteiligen Standpunkt eingenommen hätten. Der Entscheidung der Schiedskommission dürfe nicht vorgegriffen werden. Nichtaussetzung der Vollziehung des Vermögensabgabebescheides stelle einen Ermessensmißbrauch dar.

Mit der Rb. macht die Oberfinanzdirektion geltend, nach Art. 6 Abs. 2 des Zehnten Teiles des überleitungsvertrages seien die AVN nur für sechs Jahre von der Vermögensabgabe befreit. Die Lastenausgleichsabgaben dienten danach nur zu 1/5 der Deckung von Kriegslasten. Infolgedessen sei mit der völligen Freistellung des Bg. von der Vermögensabgabe nicht zu rechnen.

Der Bg. macht unter Bezugnahme auf eine Mitteilung in "Der Betrieb" 1960 S. 11 geltend, die Schiedskommission habe in dem bei ihr anhängigen Musterprozeß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, der USA, der französischen Republik und von Großbritannien ersucht, ihr die Schriftstücke mitzuteilen, die sich auf die vorbereitenden Materialien für die Ausarbeitung des Art. 6 des Zehnten Teiles des überleitungsvertrages bezögen. Der Bg. hält außerdem die Vollziehung der Aussetzung wegen der Aussetzung des Berufungsverfahrens für geboten.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung des Urteils des Finanzgerichts und der Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion.

Nach § 251 AO, der nach § 203 Abs. 1 LAG auch für den Vermögensabgabebescheid gilt, wird durch die Einlegung eines Rechtsmittels die Wirksamkeit des angefochtenen Bescheides nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung der Steuer nicht aufgehalten. Das Finanzamt kann jedoch, geeignetenfalls gegen Sicherheitsleistung, die Vollziehung aussetzen. Gegen die ablehnende Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion ist nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) Berufung zulässig (siehe Gutachten des Bundesfinanzhofs Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951, BStBl 1951 III S. 107, Slg. Bd. 55 S. 277).

Gegenstand der Rb. ist die überprüfung der Ermessensentscheidung der Oberfinanzdirektion. Die Frage, wann die Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheides Recht und Billigkeit entspricht, ist in der Rechtsprechung nicht einheitlich behandelt. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs III 187/52 S vom 10. September 1954 (BStBl 1954 III S. 328, Slg. Bd. 59 S. 307) ist die Vollziehung auszusetzen, wenn die Möglichkeit zur Aufhebung des Bescheides in dem Sinne besteht, daß die Rechtslage auf Grund gewichtiger Darlegungen des Steuerpflichtigen zweifelhaft ist, ohne daß der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher zu sein braucht als sein Mißerfolg. Der Senat hält gegenüber der engeren Beurteilung in der Entscheidung II 37/53 U vom 10. Februar 1954 (BStBl 1954 III S. 116, Slg. Bd. 58 S. 538) an diesem Grundsatz fest. Es handelt sich nur um eine summarische überprüfung der Sach- und Rechtslage, wobei die Ausführungen des Steuerpflichtigen nach ihrer Schlüssigkeit zu beurteilen sind.

Die Aussetzung des Berufungsverfahrens durch den Vorsitzenden bzw. die Kammer des Finanzgerichts hat hier keine selbständige Bedeutung, da sie zeitlich nach der Beschwerdeentscheidung erfolgte, die allein Gegenstand der Rb. ist. Eine rückschauende Betrachtung ist nicht angängig (vgl. Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 9/60 S vom 28. Juni 1960, BStBl 1960 III S. 357, Slg. Bd. 71 S. 292).

Ebensowenig ist die spätere Rechtsprechung der Gerichte und der Schiedskommission zur Vermögensabgabepflicht der AVN entscheidend.

Das Vorbringen des Bg. bezüglich der Auslegung des überleitungsvertrages entsprach im Zeitpunkte der Beschwerdeentscheidung im Jahre 1959 den Anforderungen des Urteils des Bundesfinanzhofs III 187/52 S (a. a. O.). Es lag noch keine Entscheidung des Bundesfinanzhofs oder der Schiedskommission über die Vermögensabgabepflicht eines AVN vor. Vielmehr kann der Verfügung (Beschluß) der Schiedskommission A C/2/0 (59) 11 vom 17. Dezember 1959 an die vertragschließenden Regierungen über Mitteilung der vorbereitenden Materialien für die Ausarbeitung des Art. 6 des Zehnten Teiles des überleitungsvertrages entnommen werden, daß selbst bei ihr keine eindeutige Auffassung bestand, obwohl sie nach Art. 7 des Fünften Teiles des überleitungsvertrages in Verbindung mit ihrer Satzung speziell für Fragen des überleitungsvertrages zuständig ist.

Die Rechtslage konnte damals als zweifelhaft angesehen werden, so daß die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung als Ermessensverletzung anzusehen ist. Dieser Beurteilung steht auch der Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 15. Januar 1958 (LA. Kartei, § 56 a, Karte 5), nach dem Aussetzungsanträge, die sich auf den überleitungsvertrag oder auf das Völkerrecht beziehen, abzulehnen seien, nicht entgegen. Er beseitigt nicht die Zweifelhaftigkeit der Rechtslage und vermag daher die Unbilligkeit der Entscheidung der Oberfinanzdirektion nicht zu beheben; für die Steuergerichte ist er nicht bindend. Das Finanzgericht hat daher zutreffend in der Ablehnung der Aussetzung einen Ermessensmißbrauch der Verwaltung gesehen.

Es durfte jedoch nicht selbst eine eigene abweichende Ermessensentscheidung treffen, sondern mußte die Sache an die Oberfinanzdirektion zur erneuten Entscheidung zurückverweisen. Wie in dem oben genannten Gutachten des Bundesfinanzhofs Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951 ausgeführt ist, sind die Finanzgerichte regelmäßig nicht berechtigt, selbst das Ermessen auszuüben. Anders ist die Rechtslage nur dort, wo die Sachlage die Ermessensgrenzen so einengt, daß nur eine bestimmte Entscheidung möglich ist, während jede andere notwendig zu einem Ermessensfehler führen müßte. So aber ist hier die Lage nicht. Nach § 251 AO gibt es vielmehr drei Möglichkeiten der Entscheidung seitens der Verwaltung, nämlich Ablehnung des Antrags, Aussetzung ohne Sicherheitsleistung und Aussetzung gegen Sicherheitsleistung. Die beiden letzten Möglichkeiten stehen nach den vorangegangenen Ausführungen zur Wahl. Gerade im vorliegenden Falle sprechen die zu erwartende lange Dauer des Streitverfahrens sowie die Belange des Steuerpflichtigen für eine Sicherheitsleistung; auf diese Weise wird dem beiderseitigen Interesse ausreichend Rechnung getragen.

Die Oberfinanzdirektion, an die die Sache zurückverwiesen wird, hat unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen erneut über die Beschwerde zu befinden.

 

Fundstellen

BStBl III 1963, 277

BFHE 1963, 761

BFHE 76, 761

StRK, AO:251 R 28

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