Leitsatz (amtlich)

Die von der Deutschen Klassenlotterie Berlin, Abteilung Berliner Zahlenlotto, eingesetzten Bezirksleiter sind Unternehmer im Sinne des UStG.

 

Normenkette

UStG § 2 Abs. 1, 2 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Stpfl. war durch den für das Jahr 1959 maßgebenden Vertrag vom Januar 1958 in Verbindung mit den Richtlinien vom April 1958 und der Geschäftsanweisung als Bezirksleiter der Deutschen Klassenlotterie Berlin, Abteilung Berliner Zahlenlotterie (BZL), eingesetzt. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) zog den Stpfl. mit den Einnahmen aus dieser Tätigkeit zur Umsatzsteuer heran. Die Sprungberufung hatte Erfolg. Das VG bezog sich auf das Urteil des BFH IV 49/58 U vom 15. Juni 1960 (BFH 71, 270, BStBl III 1960, 349) und kam unter besonderer Berücksichtigung der lohnsteuerrechtlichen Abgrenzungsgrundsätze zu dem Ergebnis, daß eine zur persönlichen Abhängigkeit führende Weisungsgebundenheit vorliege und ein echtes Unternehmerwagnis fehle. Die Fassung des § 3 Abs. 3 des Vertrags vom 2. Januar 1958, der Stpfl. arbeite nach den ihm erteilten Weisungen selbständig und sei nicht Angestellter der BZL, sei insoweit unerheblich.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Auf die Revision des FA ist die Vorentscheidung aufzuheben.

Das VG hat seine Entscheidung ganz überwiegend auf die von ihm als verwaltend und organisatorisch bezeichnete Tätigkeit des Stpfl. abgestellt und diesen mit dem Generalagenten einer Versicherungsgesellschaft verglichen, der stets als nichtselbständig angesehen worden sei. Es kam zu dem Ergebnis, daß alle anderen Umstände, wie das Innenverhältnis, die Art der Vergütung, Unterhaltung eines eigenen Büros und Einsatz eigener Arbeitskräfte unerheblich oder steuerrechtlich ohne wesentliche Bedeutung seien.

Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteile I 200/59 S vom 3. Oktober 1961, BFH 73, 827, BStBl III 1961, 567, und V 133/59 U vom 12. April 1962, BFH 74, 699, BStBl III 1962, 259) sind für eine Unterordnung unter den geschäftlichen Willen eines Unternehmers oder aber für die Selbständigkeit nicht einzelne Tätigkeitsmerkmale entscheidend, sondern wesentlich ist das Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, zu dem auch die berufliche Stellung gegenüber dem Auftraggeber gehört. Das VG hat das insoweit rechtserhebliche Innenverhältnis zwischen dem Stpfl. und der BZL im Hinblick auf dessen Tätigkeit als unerheblich betrachtet und es demzufolge rechtlich nicht hinreichend gewürdigt. Außerdem hat es ein "echtes" Unternehmerwagnis verneint und damit dem Unternehmerwagnis nicht die ihm nach der Rechtsprechung zukommende Bedeutung beigemessen. Die Vorentscheidung ist daher wegen Rechtsirrtums aufzuheben.

Die Sache ist spruchreif.

Durch § 1 Abs. 1 des Vertrags vom Januar 1958 beauftragte die BZL den Stpfl. mit der Leitung eines bestimmten Bezirks und legte seine Aufgaben insbesondere in § 2 und den dazu erlassenen Richtlinien vom April 1958 fest. Im § 3 Abs. 3 wurde bestimmt, daß der Stpfl. die Interessen der BZL treuhänderisch wahrzunehmen habe, daß er insoweit nach den ihm erteilten Weisungen selbständig arbeite und nicht Angestellter der BZL sei. Der Wortlaut dieser Vereinbarung weist darauf hin, daß der Stpfl. nach dem Willen der Vertragschließenden nicht in ein Arbeitnehmerverhältnis zur BZL treten sollte.

Für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung des zwischen den Vertragsparteien bestehenden Rechtsverhältnisses kommt es allerdings nicht auf die von diesem gewählten Erklärungen und Bezeichnungen, sondern auf den wirklichen Willen der Beteiligten an. Es muß also darauf abgestellt werden, ob die bürgerlich-rechtliche Bezeichnung, der Stpfl. sei selbständig und nicht Arbeitnehmer, das von den Vertragschließenden Gewollte und wirtschaftlich Angestrebte zutreffend wiedergibt und in der Gestaltung der tatsächlichen Verhältnisse zum Ausdruck kommt. Dies ist zu bejahen.

Die BZL verlangte von dem Stpfl. nicht die Vorlage einer Lohnsteuerkarte und behielt auch, wie das FA unwidersprochen vorgetragen hat, von den Provisionen keine Lohnsteuer ein. Es stellte dem Stpfl. - wie dies bei Arbeitnehmern im allgemeinen üblich ist - mit Ausnahme von Stempeln und Formularen keine Arbeitsmittel in Form von Büromöbeln und Büromaschinen und keinen Arbeitsplatz zur Verfügung, verlangte im § 5 des Vertrags vom Januar 1958 sogar, der Stpfl. müsse auf seine Kosten dem Ansehen der BZL entsprechende Geschäftsräume einrichten und sie mit den erforderlichen und geeigneten Hilfskräften besetzen. Neben anderen Umständen hat die BZL damit bereits die tatsächlichen Verhältnisse von ihrer Seite aus so gestaltet, wie dies der Wortlaut des Vertrags vom Januar 1958 vorsieht.

Der Stpfl. hat entsprechend seiner vertraglich vereinbarten Stellung in seinen Umsatzsteuererklärungen 1956 bis 1959 als Art des Unternehmens "Bezirksstellenleiter der BZL" und die Zahl der Beschäftigten mit zwei bis drei Angestellten und elf bzw. zwölf Teilbeschäftigten angegeben sowie die Umsätze aus Leistungen als Bezirksleiter erklärt. Später berief sich der Stpfl. auf das Urteil des BFH IV 49/58 vom 15. Juni 1960 (a. a. O.) und machte, ohne daß sich die rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse geändert hätten, geltend, er sei als Arbeitnehmer nicht umsatzsteuerpflichtig.

Danach sind sowohl der Stpfl. als auch die BZL davon ausgegangen, ein Angestelltenverhältnis liege nicht vor.

Dafür spricht auch § 8 Abs. 2 des Vertrags vom Januar 1958, nach dem im Falle des Todes des Bezirksleiters der ständige Vertreter für eine geordnete Durchführung der Geschäfte zu sorgen hat, mit dem der Vertrag grundsätzlich fortgesetzt wird, wenn es sich um einen Erben des Bezirksleiters handelt. Eine derartige Regelung ist bei Annahme eines Angestelltenverhältnisses undenkbar, da ein Dienstvertrag durch den Tod des Arbeitnehmers beendet wird.

Das Innenverhältnis zwischen dem Stpfl. und der BZL auf der Grundlage des Vertrags vom Januar 1958, das maßgebend ist für die Frage, ob eine Arbeitnehmer- oder Unternehmertätigkeit vorliegt, läßt erkennen, daß eine selbständige berufliche Tätigkeit des Stpfl. von beiden Vertragschließenden gewollt war. Die von ihnen in dem Vertrag mit Anlagen zum Ausdruck gebrachte Beurteilung ihres Rechtsverhältnisses ist auch steuerrechtlich bedeutungsvoll und spricht für eine Selbständigkeit des Stpfl. im Sinne des UStG. Dem entspricht auch, daß er ohne festes Gehalt und ohne Anspruch auf Erstattung seiner beruflich bedingten Unkosten und Auslagen für seine gesamte Tätigkeit und für den Einsatz seines Betriebs durch Provisionen entlohnt worden ist. Hinzu kommt die Regelung, nach der dem Stpfl. nicht - wie sonst jedem Arbeitnehmer - ein bezahlter Urlaub zustand. Er konnte außerdem seinen Urlaub nach Zeit und Dauer selbst bestimmen, ohne tatsächlich an Weisungen der BZL gebunden zu sein, wenn er für diese Zeit einen mit eigenen Mitteln bezahlten Vertreter stellte.

Im Gegensatz zur Ansicht des VG ist auch ein Unternehmerwagnis bei dem Stpfl. gegeben. Bereits die Ungewißheit über die Höhe der Einnahmen in einem bestimmten Zeitraum, die es bei einem Angestellten im Regelfall nicht gibt, dem die vereinbarte Vergütung sogar unabhängig vom Arbeitsanfall gezahlt wird, ist ein wichtiges Anzeichen dafür. Es ist ferner zu berücksichtigen, daß der Stpfl. im Rahmen seiner Aufgaben selbst über die Höhe der Unkosten durch die Auswahl besonders geeigneter, arbeitsamer und zuverlässiger Hilfskräfte sowie durch eigene intensive Arbeit entscheiden und damit die Höhe der ihm verbleibenden Beträge beeinflussen konnte. Im übrigen sind die in der Erfolgsrechnung für 1959 u. a. aufgeführten Aufwendungen für Personalkosten, Geschäftsräume, Bewirtungskosten, Spesen, Drucksachen, allgemeine Unkosten, Absetzung für Abnutzung (AfA) für Geschäftsausstattung und Abschreibungen für geringwertige Wirtschaftsgüter, die insgesamt etwa die Hälfte der vereinnahmten Entgelte betragen, keine Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen eines Arbeitnehmers im Sinne des § 9 EStG, sondern typische Betriebsausgaben eines Unternehmers, der auf eigene Rechnung einen eigenen Betrieb führt, also aus seinen Provisionseinnahmen sämtliche damit zusammenhängenden Spesen zu tragen hat. Daran ändert sich durch die Bezeichnung des Büros als Geschäftsstelle der BZL nichts. Es handelt sich dennoch um einen Betrieb des Stpfl.

Den vom VG gezogenen Schlüssen, der Stpfl. sei dem Betrieb der BZL nach Art, Zeit und Ort seiner Tätigkeit eingegliedert, kann der Senat nicht folgen.

Die Eingliederung, die ein Tätigwerden des Auftraggebers voraussetzt, muß dem Innenverhältnis zu entnehmen sein. Für dieses sind die Vereinbarungen zwischen den Vertragsparteien ausschlaggebend. Das Innenverhältnis und damit eine Eingliederung kann nicht aus der Weisungsbefugnis und einer Weisungsgebundenheit gefolgert werden. Diese muß sich vielmehr aus der Eingliederung ergeben, also deren Folge sein (Plückebaum-Malitzky, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 9. Aufl., Tz. 236 a). So liegt es hier nicht, da das Innenverhältnis und dessen tatsächliche Gestaltung eine von beiden gewollte Eingliederung nicht erkennen lassen.

Soweit der Art der entfalteten Tätigkeit überhaupt eine Bedeutung beizumessen ist (vgl. Urteil des BFH I 200/59 S vom 3. Oktober 1961, a. a. O.), ergibt sich aus dem vom VG festgestellten Sachverhalt nicht, daß dem Stpfl. irgendwelche nur auf ihn persönlich bezogene, seinen Geschäftsbetrieb beeinflussende Einzelanweisungen neben den Richtlinien usw. erteilt worden sind. Allgemeine, die Geschäftsführung, die Sicherung der eingegangenen Beträge - auch durch Prüfungen -, den Verkehr mit den Annahmestellen und den Zeitplan betreffenden Anweisungen sind durch den Umfang und die besondere Art des Geschäftsbetriebs der BZL bedingt. Daraus ergibt sich zwangsläufig, weil die Durchführung des wöchentlichen Wettbetriebs, der jeweils mit der Ziehung der Lottozahlen abschließt, zeitlich und der Form nach vorgeschrieben ist, eine gewisse Gebundenheit nach Art und Zeit für die Erledigung der Aufgaben eines Bezirksleiters, nicht aber eine organisatorische Eingliederung. Im übrigen ist ein Bezirksleiter nicht verpflichtet, die vertraglich übernommenen Aufgaben persönlich zu erledigen. Es wird im Gegenteil von der BZL als Auftraggeberin sogar vorausgesetzt, daß er Arbeitnehmer beschäftigt, die umfangreiche Arbeiten für ihn durchführen.

Der Stpfl. war also nicht wie ein Angestellter verpflichtet, die ihm übertragenen Arbeiten innerhalb vorgeschriebener Dienstzeiten persönlich zu verrichten. Dem steht nicht entgegen daß die Geschäftsstelle zu bestimmten Zeiten geöffnet und besetzt sein mußte. Dafür standen dem Stpfl. zwei ständige Angestellte zur Verfügung, die nach seinen Angaben überwiegend im Innendienst tätig waren.

Die Ausführungen in dem die Gewerbesteuerpflicht eines Bezirksstellenleiters betreffenden Urteil IV 49/58 U vom 15. Juni 1960 (a. a. O.) sind nicht für die Umsatzsteuer zu übernehmen.

Unter Aufhebung der Vorentscheidung war daher die Sprungklage (Sprungberufung) gegen den Bescheid des FA als unbegründet abzuweisen.

 

Fundstellen

BStBl II 1968, 195

BFHE 1968, 198

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