Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur doppelten Haushaltsführung bei ledigen Arbeitnehmern und zu Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte

 

Leitsatz (NV)

1. Nimmt ein lediger Arbeitnehmer eine auswärtige Tätigkeit für voraussichtlich etwa vier Jahre auf, so handelt es sich nicht um eine Beschäftigung ,,von verhältnismäßig kurzer Dauer". Aufwendungen für eine zweite Wohnung am Beschäftigungsort sind deshalb keine Werbungskosten.

2. Arbeitnehmer mit zwei Wohnungen können auch die Fahrtaufwendungen von der weiter von der Arbeitsstätte entfernt liegenden Wohnung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG als Werbungskosten geltend machen, wenn diese Wohnung den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen bildet.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 S. 1, Abs. 1 Nrn. 4-5; LStR 1975 Abschn. 27 Abs. 5 Nrn. 1-2, Abs. 6 Nr. 3

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Die verwitwete Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hatte im Streitjahr 1977 ihr 56. Lebensjahr vollendet. Ihr Sohn ist verheiratet und wohnte im Streitjahr in M (Kreis L). Die Klägerin hatte neben ihrem Gehalt als Sachbearbeiterin eine Witwenrente bezogen. Außerdem ist sie Eigentümerin einer Eigentumswohnung in L, die auch von ihr genutzt worden ist.

Seit 1969 war die Klägerin als kaufmännische Angestellte bei der Y-GmbH in L beschäftigt. Gegen Ende 1976 hatte die Geschäftsleitung der Y-GmbH ihren Belegschaftsmitgliedern bekanntgegeben, daß die Hauptverwaltung in L aufgelöst und nach M verlegt werden solle. Mitarbeitern, die weder in M noch bei anderen zur X-Gruppe gehörenden Gesellschaften einen neuen Arbeitsplatz finden sollten, waren im Rahmen eines Sozialplans Abfindungen angeboten worden. Die Klägerin nahm ein solches Angebot nicht an, sondern ließ sich ab 1. Februar 1977 als Sachbearbeiterin nach F zur X-GmbH versetzen. Die Klägerin nahm sich in F eine - zweite - Wohnung. Von dort ging sie in der Hauptsache ihrer Arbeit nach. Die Umzugskosten hatte im wesentlichen ihre Arbeitgeberin getragen.

Die Klägerin, die mit Rücksicht auf ihr vorgerücktes Lebensalter bei ihrem Arbeitsantritt in noch mit etwa vier Berufsjahren gerechnet hatte, war jedoch schon Ende März 1980 aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustandes vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Die Wohnung in F gab sie dabei auf.

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Kalenderjahr 1977 - das Streitjahr - hatte die Klägerin bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit die Miete für die Wohnung in F in Höhe von 3 135 DM (= 11 x 285 DM), die PKW-Kosten der ersten Fahrt zum Beschäftigungsort in Höhe von 62,40 DM (= 195 km x 0,32 DM) und die PKW-Kosten für 22 Heimfahrten von F nach L und zurück in Höhe von 1 373 DM (= 22 x 62,40 DM) als Werbungskosten geltend gemacht. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) stellte sich jedoch im außergerichtlichen Vorverfahren auf den Standpunkt, von den Mehraufwendungen für die doppelte Unterkunft könnten lediglich 903 DM als Werbungskosten anerkannt werden, nämlich die Fahrtkosten für die erste Fahrt zum Beschäftigungsort (62,40 DM = 195 x 0,32 DM), die Kosten der Unterkunft für die ersten 14 Tage in Höhe von pauschal 420 DM (= 14 x 30 DM) und Mehraufwendungen für Verpflegung für dieselbe Zeitspanne von ebenfalls pauschal 420 DM (= 14 x 30 DM).

Mit ihrer Klage hatte die Klägerin Erfolg. Zu den vom FA berücksichtigten Werbungskosten in Höhe von 1 379 DM erkannte das Finanzgericht (FG) noch die Mietkosten für die Zweitwohnung in F in Höhe von 11 x 285 DM = 3 135 DM abzüglich der vom FA anerkannten 14 x 30 DM = 420 DM, mithin für diesen Punkt 2 715 DM, sowie die Fahrtkosten für die Beaufsichtigungsfahrten zur Erstwohnung in L in Höhe von 22 x 195 x 0,36 DM = 1 545 DM, insgesamt also zusätzliche Werbungskosten von 4 260 DM, an.

Das FG begründet dies unter Bezugnahme auf § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Danach könnten derartige Werbungskosten auch bei alleinstehenden (ledigen oder verwitweten) Arbeitnehmern, die keinen doppelten Haushalt führten, anerkannt werden. Das gelte insbesondere bei solchen Arbeitnehmern, die lediglich vorübergehend aus beruflichem Anlaß ihren Arbeits- und Wohnort außerhalb ihres bisherigen Aufenthaltsortes nehmen müßten und denen nicht die Verlegung ihres Lebensmittelpunktes von ihrem bisherigen Wohnort an ihren neuen Arbeitsort zugemutet werden könne. Ein solcher Fall sei hier gegeben. Denn die Entscheidung der Klägerin, sich Anfang 1977 im Alter von 56 Jahren auf einen Arbeitsplatz in F als Sachbearbeiterin versetzen zu lassen, habe ihren Ursprung ausschließlich im beruflichen Bereich. Die Vermeidung der drohenden Arbeitslosigkeit oder doch der finanziellen Schlechterstellung habe sie zu diesem Entschluß bewogen. Die Notwendigkeit, sich in F eine Wohnung zu nehmen, sei eine zwangsläufige Folge dieser beruflich bedingten Entscheidung gewesen. Demgegenüber könne nicht eingewandt werden, die Klägerin habe den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen aus privaten Gründen in L beibehalten.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Mit ihr wird ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG gerügt. Das FA meint, Aufwendungen, die durch eine zweite Unterkunft entstünden, könnten nur dann bei einem alleinstehenden Arbeitnehmer als Werbungskosten berücksichtigt werden, wenn es sich um eine auswärtige Beschäftigung von verhältnismäßig kurzer Dauer handle, wie sie z. B. in der Teilnahme an einem Lehrgang zu sehen sei. Lediglich in einem solchen Falle sei die Aufgabe der bisherigen Wohnung nicht zumutbar. Diese oder ähnliche Voraussetzungen lägen jedoch im Fall der Klägerin nicht vor.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage als unbegründet abzuweisen und der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist insoweit begründet, als das FG die Mietaufwendungen der Klägerin für die Zweitwohnung in Frankfurt als Werbungskosten anerkannt hat; im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.

1. Unbegründet sind die Einwendungen des FA hinsichtlich der vom FG als Werbungskosten berücksichtigten Aufwendungen der Klägerin für ihre Fahrten zwischen ihrer Wohnung in L und ihrer Arbeitsstelle in F bzw. umgekehrt in Höhe von 1 545 DM.

Die alleinstehende Klägerin hatte im Streitjahr von zwei verschiedenen Wohnungen aus (nämlich ihren Wohnungen in F und L) ihre Arbeitsstätte in F aufgesucht. Die Entfernung zwischen L und F beträgt nach den Feststellungen des FG 195 km. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (vgl. insbesondere Urteil vom 20. Dezember 1982 VI R 64/81, BFHE 137, 463, BStBl II 1983, 306 und die dort erwähnten Entscheidungen) können Arbeitnehmer, die sich von zwei verschiedenen Wohnungen aus jeweils zur Arbeitsstätte begeben, Aufwendungen für Fahrten von jeder Wohnung aus, unabhängig davon, wie häufig sie wöchentlich durchgeführt werden, als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG berücksichtigt bekommen. Fahrtaufwendungen von der weiter vom Beschäftigungsort entfernt liegenden Wohnung werden allerdings nur dann als Werbungskosten anerkannt, wenn diese Wohnung den örtlichen Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers darstellt. Ein alleinstehender Arbeitnehmer - wie die Klägerin - hat nach der Entscheidung des Senats vom 10. November 1978 VI R 240/74 (BFHE 126, 522, BStBl II 1979, 224) den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in der Regel am Ort der Wohnung, von der aus er sich überwiegend zur Arbeitsstätte begibt, sofern nicht die Umstände des Einzelfalles den Schluß zulassen, daß der örtliche Mittelpunkt der Lebensinteressen und der Ort, von dem der Arbeitnehmer sich überwiegend zur Arbeitsstätte begibt, auseinanderfallen.

Wo eine Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat, beurteilt sich nach ihren persönlichen Beziehungen zu diesem Ort und nach der Art und Weise, wie diese Beziehungen aufrechterhalten werden. Das FG ist hier in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, daß sich der Lebensmittelpunkt der Klägerin trotz der Arbeitsaufnahme und Begründung eines zweiten Wohnsitzes in F nach wie vor in L befinde. Dafür spricht ebenso die Tatsache des Beibehaltens ihrer dortigen Eigentumswohnung wie deren häufiges Aufsuchen als auch der Umstand, daß ihr verheirateter Sohn in der Nähe davon seinen Wohnsitz hatte, so daß gegenseitige Besuche unschwer möglich waren.

Soweit der erkennende Senat im Urteil vom 9. März 1979 VI R 11/78 (BFHE 128, 189, BStBl II 1979, 648) Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur anerkannt hat, soweit Hin- und Rückfahrt auf die Dauer arbeitstäglich zu bewältigen seien, hält er an dieser Rechtsprechung nicht mehr fest. Wie der Senat in seiner Entscheidung vom heutigen Tage VI R 7/83 (BFHE 145, 386, BStBl II 1986, 221) im einzelnen ausgeführt hat, läßt sich dem allgemeinen Werbungskostenbegriff des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG kein Tatbestandsmerkmal entnehmen, das die Anwendung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG davon abhängig macht, ob ein Arbeitnehmer bei dem von ihm regelmäßig benutzten Beförderungsmittel arbeitstäglich die Fahrt zwischen seiner Wohnung und der Arbeitsstätte auf sich nehmen würde, um seiner Arbeit am Beschäftigungsort nachzugehen. Dem ist auch hier zu folgen, so daß das FG zu Recht die Fahrtkosten der Klägerin von ihrer Wohnung in L zu ihrer Arbeitsstätte in F als Werbungskosten anerkannt hat.

2. Der Senat vermag dem FG jedoch nicht darin beizutreten, als es zusätzlich die Aufwendungen der Klägerin für ihre Zweitwohnung in F nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG - über den nach Abschn. 27 Abs. 5 Nr. 1 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1975 vom FA berücksichtigten Umfang - zum Abzug als Werbungskosten zugelassen hat.

Derartige Kosten sind nur mit steuerrechtlicher Wirkung abziehbar, soweit die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG im Einzelfall erfüllt sind, d. h. eine doppelte Haushaltsführung gegeben ist. Diese liegt nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 EStG vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Bei ledigen oder alleinstehenden Arbeitnehmern - wie der Klägerin - ist ein eigener Hausstand unter Umständen anzunehmen, wenn sie vor der Aufnahme der auswärtigen Beschäftigung mit von ihnen finanziell abhängigen Angehörigen einen eigenen Hausstand unterhalten haben und letztere dort verblieben sind, so daß in der Wohnung nach wie vor trotz der Abwesenheit des Arbeitnehmers häusliches Leben herrscht (vgl. dazu Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 4. Aufl., § 9 Anm. 9 c). Das ist im Falle der Klägerin nicht gegeben, da sie bereits während ihrer Tätigkeit in L dort allein gewohnt hat.

Die Klägerin kann den Abzug der Mietaufwendungen als Werbungskosten auch nicht nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. Abschn. 27 Abs. 5 Nr. 2 Abs. 6 Nr. 3 LStR 1975 begehren, da es sich nicht um eine vorübergehende Beschäftigung von verhältnismäßig kurzer Dauer gehandelt hat. Denn es stand nicht von vornherein fest, daß die Tätigkeit in F sich auf einen kurzen Zeitraum beschränken würde (BFH-Urteil vom 20. Februar 1982 VI R 123/81, BFHE 137, 474, BStBl II 1983, 269).

Die Sache ist entscheidungsreif. Der Senat entscheidet nach § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in der Sache selbst und setzt die Einkommensteuer 1977 der Klägerin wie folgt fest . . .

 

Fundstellen

BFH/NV 1986, 397

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