Leitsatz (amtlich)

Der Vorwegabzug der Sonderausgaben nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG 1969 ist auch um Arbeitgeberbeiträge zur Angestelltenversicherung im Sinne des § 113 AVG zu kürzen, die der Arbeitgeber bei Beschäftigung von nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AVG versicherungsfreien Rentnern zu leisten hat.

 

Normenkette

EStG 1969 § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d; AVG § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 113

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im ganzen Streitjahr 1969 als Arbeitnehmer tätig. Er bezog nach Vollendung seines 65. Lebensjahres (im Oktober 1969) im November und Dezember 1969 außerdem ein Altersruhegeld von monatlich 101,10 DM. Wegen der Rente entfiel für die Monate November und Dezember 1969 der von den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit einzubehaltende Arbeitnehmeranteil zur Angestelltenversicherung. Der Arbeitgeber führte gemäß § 113 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) für die Monate November und Dezember 1969 insgesamt 111,20 DM Arbeitgeberanteil an die Angestelltenversicherung ab.

Der Beklagte und Revisionskläger (FA) berechnete bei der Einkommensteuerveranlagung 1969 die vom Kläger geltend gemachten gesetzlichen und privaten Versicherungsbeiträge im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG in der Weise, daß er nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG 1969 den Vorwegabzug der Sonderausgaben für ihn und seine Ehefrau von 2 000 DM um die einschließlich der Monate November und Dezember 1969 gezahlten Arbeitgeberanteile zur Angestelltenversicherung kürzte. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das FG gab der Klage bezüglich der vom Kläger angegriffenen Kürzung des Vorwegabzugs der Sonderausgaben von 2 000 DM um die für die Monate November und Dezember entrichteten Arbeitgeberanteile zur Angestelltenversicherung von 111,20 DM statt. Es führte in dem in den EFG 1971, 483 veröffentlichten Urteil aus, nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG 1969 müßte zwar der Vorwegabzug der Sonderausgaben auch um diese Beiträge gekürzt werden. Es liege jedoch eine verdeckte Regelungslücke vor, die vom Gericht im Wege einer Restriktion, nämlich durch Einschränkung des Gesetzes, ausgefüllt werden müsse. Der zusätzliche Sonderausgabenhöchstbetrag des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG habe den Sinn, daß der Arbeitnehmer den Vorteil, der ihm durch die Steuerfreiheit der Arbeitgeberaufwendungen für seine Zukunftssicherung zugute komme, sich beim Vorwegabzug der Sonderausgaben anrechnen lassen müsse, weil ihm insoweit - im Gegensatz zu den nicht gesetzlich versicherungspflichtigen Steuerpflichtigen - eigene Leistungen für seine Zukunftssicherung erspart blieben. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall nicht gegeben; denn ein Arbeitnehmer, der bereits Altersruhegeld nach der gesetzlichen Rentenversicherung beziehe, sei nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AVG versicherungsfrei. Der Beitragsanteil, den der Arbeitgeber für ihn gemäß § 113 AVG entrichten müsse, habe auf sein Altersruhegeld und dessen Höhe keinen Einfluß. Es sei deshalb sinnwidrig, den zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrag um solche Arbeitgeberanteile zu kürzen und dadurch dem Arbeitnehmer die volle Ausschöpfung des Höchstbetrags für zusätzliche eigene Aufwendungen für seine Zukunftssicherung zu beschneiden. Der Gesetzgeber habe bei Schaffung des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG bestimmt nicht daran gedacht, daß er hierdurch Arbeitnehmer mit Altersruhegeld um den Arbeitgeberanteil anrechnungspflichtig gemacht habe. Hätte der Gesetzgeber das erkannt, so hätte er die Vorschrift so eingeengt, daß die gesetzlichen Arbeitgeberanteile hier nicht zu einer Minderung des zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrages führten.

Mit der wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG. Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

Nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1969 können die eigenen Beiträge des Steuerpflichtigen zu Kranken-, Unfall- und Haftpflichtversicherungen, den gesetzlichen Rentenversicherungen und der Arbeitslosenversicherung als Sonderausgaben abgezogen werden. Nach dem durch das StÄndG vom 13. Juli 1961 (BStBl I 1961, 444) in das EStG eingefügten § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d in der Fassung des EStG 1969 können diese Versicherungsbeiträge des Steuerpflichtigen vor Anwendung der Sonderausgabenhöchstbeträge des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a bis c bis zu 1 000 DM, bei Zusammenveranlagung von Ehegatten bis zu 2 000 DM im Kalenderjahr, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden. Diese Beträge vermindern sich, wenn in dem Gesamtbetrag der Einkünfte solche aus nichtselbständiger Arbeit enthalten sind, um die vom Arbeitgeber geleisteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung.

Das FG hat zutreffend festgestellt, daß der Vorwegabzug der Sonderausgaben nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG 1969 auch um die vom Arbeitgeber in den Monaten November und Dezember 1969 entrichteten Beiträge zur Angestelltenversicherung zu kürzen war. Es hat aber eine Auslegung des Gesetzes gegen seinen Wortlaut für erforderlich gehalten. Der Senat folgt dem nicht.

Wenn der Kläger auch nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AVG ab Rentenbeginn, d. h. ab 1. November 1969, bei seinen Arbeitnehmereinkünften versicherungsfrei war, so hatte der Arbeitgeber trotzdem nach § 113 AVG in der Fassung des Finanzänderungsgesetzes vom 21. Dezember 1967 den Beitragsanteil für die Sozialversicherung des bei ihm beschäftigten Rentners zu entrichten. Nach dem vom FG erwähnten Beschluß des BVerfG vom 16. Oktober 1962 2 BvL 27/60 (BVerfGE 14, 312) handelt es sich bei der dem Arbeitgeber nach § 113 AVG auferlegten Leistungspflicht um einen echten Arbeitgeberbeitrag zur gesetzlichen Sozialversicherung. Beiträge im Sinne des Sozialversicherungsrechts sind nach Ansicht des BVerfG grundsätzlich alle Geldleistungen, die von Versicherten oder Arbeitgebern aufgrund gesetzlicher Vorschriften zur Deckung des Finanzbedarfs der Versicherungsträger aufgebracht werden. Mit dem System des Sozialversicherungsrechts ist, wie das BVerfG ausführte, unvereinbar, die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Leistung von Sozialversicherungsbeiträgen auf das Arbeitsverhältnis und auf eine ihm entsprungene Vertragspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer zurückzuführen. Auch der Große Senat des BFH hat im Beschluß vom 19. Oktober 1970 GrS 1/70 (BFHE 101, 62, BStBl II 1971, 177) unter Hinweis auf die Ausführungen von Hoffmann in StuW 1969 Sp. 425 ff. hervorgehoben, daß die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung keine Zahlungen für den individuellen Versicherungsfall sind, sondern Gelder zur Stärkung des allgemeinen Fundus der Versicherung.

Von der Kürzung nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG 1969 letzter Halbsatz kann auch nicht im Wege einer restriktiven Gesetzesauslegung abgesehen werden. Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. insbesondere Urteile vom 12. Dezember 1957 IV 10/57 U, BFHE 66, 401, BStBl III 1958, 154, und vom 21. Februar 1964 IV 26/62 S, BFHE 78, 490, BStBl III 1964, 188, und die dort zitierte Literatur und Rechtsprechung) ist eine einschränkende Auslegung gegen den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt, wenn festgestellt werden kann, daß die Fassung einer Gesetzesvorschrift über das hinausgeht, was mit ihr vom Gesetzgeber beabsichtigt ist. Es ist jedoch nicht ersichtlich, daß der Gesetzgeber beabsichtigt hatte, Arbeitgeberanteile zur Angestelltenversicherung nach § 113 AVG von der Einschränkung des Sonderausgabenabzugs in § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG 1969 auszunehmen. Aus den Rechtsmaterialien zum StÄndG 1961, das den § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d in das EStG einfügte, ist hierzu nichts zu entnehmen. Der Gesetzgeber hat § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG zweimal geändert, und zwar zunächst durch Art. 1 Nr. 6 Buchst. b) dd) StÄndG 1964 (BGBl I 1964, 885, BStBl I 1964, 553), durch den die Vorwegabzugsbeträge auf 1 000 DM bzw. 2 000 DM angehoben wurden, und dann mit Wirkung ab 1. Januar 1971 durch das Zweite Krankenversicherungsänderungsgesetz vom 21. Dezember 1970 (BGBl I 1970, 1770), das die Kürzung des Vorwegabzugs der Sonderausgaben um die steuerfreien Zuschüsse des Arbeitgebers zu befreienden Lebensversicherungen erweiterte. Diese Gesetzesänderungen lassen nicht erkennen, daß nach dem Willen des Gesetzgebers die Arbeitgeberanteile zur Angestelltenversicherung nach § 113 AVG nicht unter § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG fallen sollen. Es ist unwahrscheinlich, daß der Gesetzgeber bei diesen Änderungen des EStG die Arbeitgeberanteile zur Angestelltenversicherung nach § 113 AVG übersehen hat; denn § 113 AVG wurde durch Art. 1 § 2 Nr. 36 des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 9. Juni 1965 (BGBl I 1965, 476) gestrichen und später durch Art. 1 § 2 Nr. 14 des Finanzänderungsgesetzes vom 21. Dezember 1967 (BGBl II 1967, 1259) wieder eingeführt. Es hätte nahegelegen, im Rahmen dieses einheitlichen Gesetzgebungswerks, das im Teil I auch eine Änderung des EStG enthielt, im Hinblick auf die Wiedereinführung des § 113 AVG den § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG entsprechend zu ändern, wenn dies gewollt gewesen wäre.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Kürzung des Vorwegabzugs der Sonderausgaben um den Arbeitgeberanteil zur Angestelltenversicherung nach § 113 AVG deshalb sinnwidrig ist, weil dieser Beitrag nach dem Vorbringen der Beteiligten nicht zu einer Erhöhung der bereits bezogenen Rente führt. Wie der Senat bereits im Urteil vom 11. November 1966 VI 352/65 (BFHE 87, 301, BStBl III 1967, 114) darlegte, muß die Frage, ob und inwieweit sich Versicherungsbeiträge des Arbeitgebers auf den Rentenversicherungsanspruch auswirken, bei der Auslegung des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG außer Betracht bleiben, da es sich hierbei nicht um Auswirkungen des EStG, sondern um solche von versicherungsrechtlichen Vorschriften handelt, die zur Begründung einer Auslegung gegen den eindeutigen Wortlaut des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG nicht herangezogen werden können.

Die Vorentscheidung, der eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegt, war aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Da das FA die Arbeitgeberanteile zur Angestelltenversicherung für die Monate November und Dezember 1969 zu Recht auf den zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrag des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG 1969 angerechnet hat, war die Klage als unbegründet abzuweisen.

 

Fundstellen

BStBl II 1974, 634

BFHE 1975, 14

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