Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Vornahme von Untersuchungen mit Stellung von Diagnosen über den Gesundheitszustand eines Menschen ohne anschließende Heilbehandlung fällt in der Regel in den Rahmen der Berufstätigkeit eines freiberuflich tätigen Arztes und kann nicht zu einer Steuervergünstigung nach § 34 Abs. 5 EStG führen.

 

Normenkette

EStG § 34 Abs. 5, § 34/4

 

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Beschwerdegegner (Bg.), der als Facharzt für Nervenkrankheiten freiberuflich tätig ist, für die aus der Erstattung von Gutachten herrührenden Einkünfte der ermäßigte Steuersatz des § 34 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes - EStG - (1950, 1951) zusteht.

Der Bg. hat für die Jahre 1950 und 1951 Einnahmen, Betriebsausgaben und Gewinne aus freier Berufstätigkeit wie folgt erklärt:

-------------------------------- 1950 ---------- 1951 Betriebseinnahmen ------------ 25.538 DM ----- 34.759 DM Betriebsausgaben ------------- 17.883 DM ----- 17.868 DM Gewinne ----------------------- 7.954 DM ----- 10.891 DM.In den Einnahmen sind Entgelte für Gutachten enthalten, die der Bg. im Auftrag der Landesversicherungsanstalt (Versorgungsamt) und in geringem Umfange im Auftrag von Berufsgenossenschaften erstattet hat, und zwar für 1950 3.087 DM und für 1951 6.001 DM.

Der Bg. begehrte, bei der Veranlagung für 1950 und 1951 die für die Gutachten erhaltenen Beträge nach § 34 Abs. 5 EStG mit dem dort vorgesehenen ermäßigten Steuersatz zu versteuern.

Das Finanzamt lehnte dies, auch in der Einspruchsentscheidung, ab. Es veranlagte den Bg. nach seinen Gewinnen aus der Arztpraxis ohne Sonderbehandlung der für die Gutachten erhaltenen Beträge mit der Begründung, daß die Gutachtertätigkeit des Bg. sich im Rahmen seiner Haupttätigkeit als Arzt abgespielt habe und von dieser Haupttätigkeit nicht abgrenzbar sei.

Das Finanzgericht gab der Berufung statt. Nach seiner Auffassung seien die Voraussetzungen des § 34 Abs. 5 EStG deshalb gegeben, weil die nicht zur Heilbehandlung zu rechnende wissenschaftliche Gutachtertätigkeit vom Bg. nicht im Rahmen seiner Haupttätigkeit ausgeübt werde. Auch seien die Einkünfte aus der Nebentätigkeit von denen aus der Haupttätigkeit abgrenzbar.

Hiergegen wendet sich der Vorsteher des Finanzamts mit der Rechtsbeschwerde (Rb.). Er macht geltend, die Gutachtertätigkeit des Bg., die unbestreitbar eine wissenschaftliche sei, stelle keine Nebentätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 5 EStG dar. Die Erstattung von Gutachten gehöre vielmehr zum hauptberuflichen Aufgabenkreis eines Arztes. Denn abgesehen von der Verordnung von Heilmitteln seien bei der Gutachtertätigkeit alle Merkmale der üblichen ärztlichen Tätigkeit gegeben. Nicht anders als bei einem Rechtsanwalt falle auch bei einem Arzt die Erstattung wissenschaftlicher Gutachten in den Rahmen seiner freiberuflichen Tätigkeit. Im übrigen sei die Erstattung von Gutachten, insbesondere bei Fachärzten, so häufig, daß sie als berufsüblich anzusehen sei. Schließlich sei eine Trennung der auf die gutachtliche Tätigkeit entfallenden Betriebsausgaben von denen der übrigen Praxis nicht möglich.

Demgegenüber macht der Bg. geltend, daß zur typischen Berufsaufgabe eines Arztes nur das gehöre, wofür die Approbation unabdingbare Voraussetzung sei. Dies sei aber nur bei den in § 4 Ziff. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) genannten ärztlichen und ähnlichen Hilfeleistungen der Fall. Die gutachtliche Tätigkeit als wissenschaftliche Tätigkeit im Sinne von § 34 Abs. 5 EStG setze demgegenüber eine Approbation nicht voraus. Hieraus ergebe sich auch die Abgrenzbarkeit der Einkünfte aus der gutachtlichen Tätigkeit eines Arztes von seiner übrigen ärztlichen Tätigkeit. Im übrigen sei bei derartigen Gutachten der Kranke Objekt, nicht Subjekt, wie dies bei den ärztlichen Hilfeleistungen der Fall sei. Der Arzt habe in den Fällen der gutachtlichen Inanspruchnahme durch die Sozialversicherungsträger nicht im Interesse des Kranken, sondern völlig unabhängig zu urteilen. Aufgabe derartiger Gutachten sei es, einem Gericht für die Abgrenzung der rechtlichen Interessenssphären verschiedener Parteien die für die Entscheidung sachlich notwendige Grundlage anhand zu geben.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist begründet.

§ 34 Abs. 5 EStG gestattet die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes u. a. auf solche Einkünfte, die Angehörigen eines freien Berufs im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG für wissenschaftliche, künstlerische oder schriftstellerische Tätigkeiten zufließen, sofern sie von den Einkünften aus der Berufstätigkeit abgrenzbar sind, also nicht innerhalb dieser angefallen sind. Im vorliegenden Fall ist zwischen den Beteiligten unstreitig, daß die vom Bg. ausgeführte Gutachtertätigkeit als eine wissenschaftliche anzusehen ist. Dies hat auch das Finanzgericht mit rechtlich zutreffender Begründung bejaht.

Der Vorentscheidung kann jedoch darin nicht gefolgt werden, daß es sich bei der Gutachtertätigkeit des Bg. um eine außerhalb des Rahmens der ärztlichen Haupttätigkeit ausgeübte Nebentätigkeit handelt, und daß die aus dieser Nebentätigkeit erzielten Einkünfte von den Einkünften aus der ärztlichen Haupttätigkeit abgrenzbar sind. Das Finanzgericht hat hierzu ausgeführt, das Wesen des ärztlichen Berufs sei im Dienst an der Gesundheit des einzelnen Menschen und darüber hinaus des ganzen Volkes zu erblicken. Demgemäß bilde die Heilbehandlung den Rahmen der ärztlichen Tätigkeit und gleichzeitig deren Abgrenzung zur wissenschaftlichen Nebentätigkeit des Arztes. Dieser Beschränkung des Rahmens der freiberuflichen Tätigkeit eines Arztes auf die Heilbehandlung vermag der Senat nicht zu folgen. Wohl ist die Heilung erkrankter Menschen eine der bedeutsamsten Aufgaben des ärztlichen Berufs. Dieser erschöpft sich jedoch in dieser Tätigkeit nicht. Der Arzt hat u. a. auch die Aufgabe, Krankheiten zu verhüten. Er untersucht z. B. gesunde Menschen, um festzustellen, für welche Krankheiten sie anfällig sind. Dies kann im behördlichen Auftrag geschehen, so z. B. bei Schuluntersuchungen, Röntgenreihenuntersuchungen oder im privaten Auftrag bei der Untersuchung der Arbeitnehmer eines Unternehmens. Auch für polizeiliche und gerichtliche Zwecke werden ärztliche Untersuchungen durchgeführt. Selbst im Rahmen einer Heilbehandlung wird sich insbesondere der Facharzt häufig darauf beschränken, nach Untersuchung eine Diagnose zu stellen und die weitere Behandlung auf der Grundlage dieser Diagnose dem behandelnden Arzt zu überlassen. Hieraus ergibt sich, daß der ärztliche Beruf dem Dienst an der Gesundheit des einzelnen Menschen im weitesten Sinne gewidmet ist. Nach der Verkehrsauffassung ist hierbei eine Beschränkung auf die in § 4 Ziff. 11 UStG näher bezeichneten ärztlichen oder ähnlichen Hilfeleistungen nicht anzunehmen. Vielmehr gehört auch die gutachtliche Tätigkeit eines Arztes dann in sein ureigenstes Aufgabengebiet, wenn er das Krankheitsbild von Einzelpersonen zu beurteilen hat. Soweit und solange dies der Fall ist, stellen die Einkünfte aus der gutachtlichen Tätigkeit eines Arztes nicht Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 5 EStG dar. Denn in den genannten Fällen fließen sie, berufsständisch und auch wirtschaftlich betrachtet, aus der gleichen Quelle wie seine Haupteinkünfte, nämlich aus seiner Arztpraxis. Dabei ist nicht ausgeschlossen, daß auch der freiberuflich tätige Arzt eine nach § 34 Abs. 5 EStG begünstigte Tätigkeit ausüben kann. So ist ihm diese Tarifvergünstigung z. B. für Einkünfte aus schriftstellerischer Tätigkeit sowie aus einer sich auf dem Gebiet der Forschung bewegenden wissenschaftlichen Tätigkeit oder aus einer Vortragstätigkeit wissenschaftlicher Art zu gewähren. Desgleichen wird ihm die Tarifvergünstigung auch für Gutachten dann zu gewähren sein, wenn sich der im Gutachten zu beurteilende Sachverhalt nicht auf das Krankheitsbild von Einzelpersonen beschränkt. Wird z. B. ein Arzt von einer Stadtgemeinde um die Erstattung eines Gutachtens über den Stand der Hygiene bei der städtischen Wasserversorgung angegangen, so werden die Einkünfte hieraus in der Regel die Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 5 EStG genießen, wenn die übrigen Voraussetzungen hierfür gegeben sind. In der Regel wird man aber weder in den Einkünften aus einer Tätigkeit, die sich lediglich auf Untersuchungen beschränkt, noch umgekehrt in den Einkünften aus der heilbehandelnden Tätigkeit Nebeneinkünfte im Sinne des § 34 Abs. 5 EStG erblicken können. Es handelt sich vielmehr um eine einheitliche Tätigkeit des hauptberuflich tätigen Arztes.

Im vorliegenden Fall hat der Steuerpflichtige Obergutachten for Sozialversicherungsträger erstattet, die sich mit dem Krankheitsbild von Einzelpersonen befassen. Damit ist eine von seiner freiberuflichen Tätigkeit als Facharzt sich abhebende wissenschaftliche Tätigkeit im vorgenannten Sinne nicht gegeben. Die Gutachtertätigkeit bildet vielmehr mit der sonstigen freiberuflichen Tätigkeit eine Einheit. Infolgedessen sind auch die Einkünfte aus der Gutachtenerstattung ungeachtet der wissenschaftlichen Charakterisierung dieses Teils der freiberuflichen Tätigkeit mit den übrigen Einkünften aus der sonstigen freiberuflichen Tätigkeit als Facharzt zum normalen Satz zu versteuern.

Demgegenüber kann sich der Beschwerdeführer auch nicht auf die in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 104/52 U vom 13. November 1952, Slg. Bd. 57 S. 83, Bundessteuerblatt (BStBl) 1953 III S. 33, entwickelten Grundsätze berufen, da sich in diesem Fall die Abgrenzbarkeit der Nebeneinkünfte schon aus der Verschiedenartigkeit der Einkunftsarten (nichtselbständiger und selbständiger Arbeit) ergibt. Ebensowenig kann der Steuerpflichtige mit seinem Hinweis auf die in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 193/50 U vom 6. April 1951, Slg. Bd. 55 S. 274, BStBl 1951 III S. 106, aufgezeigten Merkmale durchdringen. Unter dem Gesichtspunkt einer weiteren Haupttätigkeit kann die Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 5 EStG im vorliegenden Fall schon deshalb nicht gewährt werden, weil hier, wie oben näher ausgeführt, eine einheitliche freiberufliche Tätigkeit ohne steuerbegünstigte Nebeneinkünfte vorliegt.

Damit aber entfällt die Möglichkeit der Behandlung nach § 34 Abs. 5 EStG, der die Steuervergünstigung nur für Einkünfte vorsieht, die von Einkünften aus der Berufstätigkeit abgrenzbar sind.

Da das Finanzgericht dies verkannt hat, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Aus den oben angeführten Gründen ist die Berufung des Bg. gegen die Einspruchsentscheidungen des Finanzamts als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

BStBl III 1956, 300

BFHE 1957, 266

BFHE 63, 266

StRK, EStG:34/5 R 15

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