Leitsatz (amtlich)

Die Überprüfung von Waagen auf die Einhaltung der in der Bundesrepublik Deutschland vorgeschriebenen Meßwerte und die Anbringung des Eichstempels an den überprüften Waagen durch die Eichbehörde ist keine Be- oder Verarbeitung i. S. von § 12 UStDB 1951 (teilweise Abweichung von dem BFH-Urteil vom 24. Februar 1966 V 255/63, BFHE 85, 63, BStBl III 1966, 234).

 

Normenkette

UStG 1951 § 7 Abs. 3; UStDB 1951 § 12

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Waagen für den gewerblichen Gebrauch befaßt, führt auch Waagen aus dem Ausland ein, die entsprechend den deutschen Eichbestimmungen, justiert sind. Für die Anbringung des deutschen Eichstempels ist an den Waagen eine Plombe angebracht. Die Klägerin läßt die Justierung der Waagen vor der Veräußerung im Inland durch die deutsche Eichbehörde überprüfen. Im Anschluß daran wird von der Eichbehörde der amtliche Eichstempel auf der hierfür vorbereiteten Plombe eingeschlagen.

Bei einer Betriebsprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, das Eichen der Waagen sei eine Bearbeitung i. S. von § 12 UStDB 1951, so daß die Inlandslieferungen mit dem allgemeinen Steuersatz nach § 7 Abs. 1 UStG 1951 – 4 v. H. – zu versteuern seien. Die Klägerin, die bis dahin den Steuersatz für Großhandelslieferungen nach § 7 Abs. 3 UStG 1951 (1 v. H.) beansprucht hatte und vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt –FA–) entsprechend veranlagt worden war, erhob gegen die Auflassung des Prüfers zunächst keine Einwendungen und versteuerte die Inlandslieferungen mit 4 v. H. In der Umsatzsteuervoranmeldung für den strittigen Zeitraum beanspruchte sie jedoch wieder – wie in der Vergangenheit – den begünstigten Steuersatz (1 v. H.) für Waagenlieferungen. Das FA brachte demgegenüber auf die genannten Waagenlieferungen den allgemeinen Steuersatz von 4 v. H. zur Anwendung und setzte Umsatzsteuervorauszahlung dementsprechend lest. Die hiergegen von der Klägerin erhobene Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Die Klage, mit der die Klägerin den Anspruch auf Anwendung des ermäßigten Steuersatzes weiterverfolgt, hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen. Es hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt: Für die Frage, ob die Klägerin mit dem Eichenlassen der Waagen eine steuerlich schädliche Bearbeitung vorgenommen habe, sei maßgebend, ob durch diese Behandlung ein Gegenstand anderer Marktgängigkeit entstanden sei (§ 12 Abs. 1 Satz 2 UStDB 1951). Dies sei zu bejahen. Denn nach § 9 des für den streitigen Vorauszahlungszeitraum geltenden Maß- und Gewichtsgesetzes vom 13. Dezember 1935 (RGBl I 1935, 1499) unterlägen Waagen der Eichpflicht, wenn sie im öffentlichen Verkehr zur Bestimmung des Umfangs von Leistungen gebraucht oder bereitgehalten würden. Ungeeichte Waagen könnten danach allenfalls für innerbetriebliche Zwecke Verwendung linden. Daraus ergebe sich, daß im allgemeinen nur geeichte Waagen an den Endabnehmer abzusetzen seien. Das Eichen verleihe den Waagen eine neue im Verkehr als wesentlich angesehene Eigenschaft, nämlich die gesetzlich vorgeschriebene behördliche Zulassung zum gewerblichen Gebrauch. In Anlehnung an die vom Bundesfinanzhof (BFH) in dem Urteil vom 24. Februar 1966 V 255/63 (BFHE 85, 63, BStBl III 1966, 234) zu der eichamtlichen Vorprüfung von Zollgeräten vertretene Auffassung sei davon auszugehen, daß überhaupt erst der eichamtliche Prüfstempel die Benutzbarkeit der Waagen im gewerblichen Verkehr ermögliche und damit die Waagen zu einem verkehrsfähigen Gegenstand mache. Würden aber die Waagen erst durch Anbringung des Prüfstempels zu einem verkehrsfähigen Wirtschaftsgut, so sei damit gegenüber dem Zustand vor Anbringung des Prüfstempels eine Änderung der Marktgängigkeit eingetreten. Daß an den Waagen selbst außer der Anbringung des Eichstempels nichts verändert werde, sei demgegenüber unbeachtlich.

Mit der Revision rügt die Klägerin unrichtige Anwendung des geltenden Rechts, insbesondere des § 12 UStDB 1951. Sie führt im wesentlichen aus: Die Vorinstanz habe zutreffend festgestellt, daß an den eingeführten Waagen durch die Eichbehörde keine Veränderungen vorgenommen wurden. Sie habe den von ihr verwendeten Begriff „eichen” im gesetzestechnischen Sinn, also dahin verstanden wissen wollen, daß die Justierung der Waagen von der Eichbehörde überprüft und anschließend ihre Ordnungsmäßigkeit mittels des Stempelaufdrucks beurkundet werde. Mehr sei auch nicht erforderlich, weil die Waagen bereits von der ausländischen Herstellerfirma entsprechend den deutschen Eichvorschriften endgültig justiert seien. Der Sachverhalt unterscheide sich also wesentlich von demjenigen, in dem vor dem Prüfungsvorgang selbst an den Waagen bestimmte Veränderungen vorgenommen werden müßten, um die Justierung auf die deutschen Eichvorschriften abzustimmen.

Bei zutreffender Würdigung des hier gegebenen Sachverhalts sei eine steuerschädliche Be- oder Verarbeitung i. S. von § 12 UStDB 1951 nicht gegeben. Denn eine solche setze in jedem Fall voraus, daß in irgendeiner Weise auf den betreffenden Gegenstand eingewirkt werde. An einer solchen Behandlung fehle es hier. Indem die Eichbehörde die Ordnungsmäßigkeit der Justierung der Waagen nach den deutschen Vorschriften feststelle und sie anschließend durch den Stempelaufdruck bestätige, nehme sie ausschließlich öffentlich-rechtliche Funktionen wahr, ohne auf die Waagen selbst in irgendeiner Weise einzuwirken. Es handle sich um einen Vorgang, der in etwa mit einer behördlichen Genehmigung vergleichbar sei. Eine solche könne auch dann, wenn sie zu einer Änderung der Marktgängigkeit führe, einer Be- oder Verarbeitung nach § 12 UStDB 1951 nicht gleichgestellt werden. Denn § 12 UStDB 1951 setze voraus, daß die Änderung der Marktgängigkeit durch eine von dem Unternehmer vorgenommene Behandlung des Gegenstandes eingetreten sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) und Abänderung des Vorauszahlungsbescheides die Umsatzsteuervorauszahlung niedriger festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Es macht geltend, die tatsächlichen Feststellungen in der Vorentscheidung seien insoweit unvollständig, als das FG davon ausgegangen sei, daß eine Nachjustierung der Waagen in keinem Fall notwendig sei. Tatsächlich müßten die Waagen, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem FG selbst eingeräumt habe, in etwa 20 v. H. der Fälle wegen der auf dem Transport eingetretenen Verschiebungen der Meßwerte nochmals justiert werden. Das Urteil der Vorinstanz gebe insoweit den Inhalt der mündlichen Verhandlung unvollständig wieder.

Unabhängig hiervon sei aber die Vorentscheidung im Ergebnis zutreffend, weil die Waagen – auch bei Nichtvornahme einer Justierung – durch den Eichvorgang, insbesondere die Anbringung des Eichstempels gegenüber ungeeichten Waagen zu einem anderen Verkehrsgut geworden seien. Die Anbringung des Eichstempels könne auch nicht als bloßes „Kennzeichnen” i. S. von § 12 Abs. 1 Satz 3 UStDB 1951 angesehen werden, sondern gehe darüber hinaus.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur anderweiten Festsetzung der Steuer.

Das FG hat festgestellt, daß die Klägerin die Waagen nach dem Erwerb und vor der Weiterveräußerung eichen läßt und daß bei dem Eichvorgang an den Waagen technisch nichts verändert, sondern nur der Eichstempel an der dafür vorbereiteten Stelle angebracht werde. An diese Feststellungen ist der erkennende Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Das FA kann im Revisionsverfahren nicht mehr damit gehört werden, die Klägerin habe in der mündlichen Verhandlung vor dem FG eingeräumt, daß in etwa 20 v. H. der Fälle die Waagen nachjustiert werden müßten. Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt nur dasjenige Vorbringen eines Beteiligten, das aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist (§ 155 FGO i. V. m. § 561 Abs. 1 Satz 1 ZPO; BFH-Urteil vom 5. Mai 1976 I R 121/74, BFHE 119, 59, BStBl II 1976, 541 [543], mit Hinweisen). Weder das Sitzungsprotokoll noch das finanzgerichtliche Urteil enthalten einen Hinweis auf eine Äußerung der Klägerin, es seien vor der Eichung in etwa 20 v. H. der Fälle noch Nachjustierungen an den Waagen vorgenommen worden. Das FA hätte daher den Weg der Tatbestandsberichtigung (§ 108 FGO) beschreiten müssen, wenn es sich auf eine derartige Äußerung der Klägerin berufen wollte. Das ist nicht geschehen. Der erkennende Senat hat daher davon auszugehen, daß die Waagen den deutschen Eichvorschriften (ohne vorherige Nachjustierung) entsprochen haben.

In der Sache selbst geht es darum, ob die Waagen durch die Überprüfung ihrer Meßwerte und die anschließende Anbringung des Eichstempels in steuerschädlicher Weise be- oder verarbeitet worden sind. Denn in diesem Fall kann der ermäßigte Steuersatz (1 v. H.) weder nach § 7 Abs. 3 Nr. 1 noch nach § 7 Abs. 3 Nr. 2 UStG 1951 in Anspruch genommen werden. Gemäß § 12 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStDB 1951 liegt eine Be- oder Verarbeitung vor, wenn die Wesensart des Gegenstandes geändert wird. Sie wird geändert, wenn durch die Behandlung des Gegenstandes nach der Verkehrsauffassung ein neues Verkehrsgut (ein Gegenstand anderer Marktgängigkeit) entsteht. Nach dem Wortlaut und dem Sinn dieser Vorschriften schließt eine Änderung der Marktgängigkeit die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes dann aus, wenn sie auf eine Behandlung des weitergelieferten Gegenstandes zurückzuführen ist. Es muß mit anderen Worten die Änderung der Marktgängigkeit durch eine auf den Gegenstand als solchen einwirkende Maßnahme des Unternehmers oder eines in seinem Auftrag tätig gewordenen Dritten (§ 12 Abs. 2 UStDB 1951) verursacht worden sein. So liegt der Fall hier nicht. Denn auch wenn man die Eichung der Waagen als einen zur Änderung der Marktgängigkeit führenden Vorgang bewertet, fehlt es an einer Behandlung der Waagen in dem vorgenannten Sinne. Die Einholung der eichamtlichen Prüfung und Beurkundung seitens der Klägerin und die Durchführung dieser Maßnahmen seitens der Eichbehörde sind Vorgänge, die zum Vertrieb der Waagen im gewerblichen Bereich erforderlich und insoweit mit der Einholung und Erteilung einer behördlichen Genehmigung vergleichbar sind. Eine solche behördliche Genehmigung ist auch im Fall ihrer Unabweisbarkeit für den Warenvertrieb keine Be- oder Verarbeitung eines Gegenstandes nach § 12 UStDB 1951.

Zu dem Hinweis der Vorinstanz auf das BFH-Urteil V 255/63 bemerkt der Senat folgendes: Der diesem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt war insofern anders gelagert, als dort von dem Steuerpflichtigen an den einer eichamtlichen Vorprüfung unterliegenden Zählgeräten besondere Schilder und Stempelstellen und von der Eichbehörde (nach Vornahme der Vorprüfung) besondere Plombenverschlüsse angebracht worden waren. Der BFH hatte daher bei der rechtlichen Beurteilung davon auszugehen, daß die Geräte in mehrfacher Weise behandelt worden waren. Soweit dem genannten Urteil entnommen werden könnte, daß die Änderung der Marktgängigkeit für sich allein bereits als Be- oder Verarbeitung nach § 12 UStDB 1951 anzusehen ist, hält der Senat hieran nicht mehr fest. Denn die Eichbehörde ist weder Erfüllungsgehilfe des Großhändlers noch ein Drittunternehmer, durch den der Großhändler eine Be- oder Verarbeitung „ausführen läßt” (vgl. § 12 Abs. 2 UStDB 1951).

Fehlt es aber im Streitfall an einer Be- oder Verarbeitung der Waagen nach § 12 UStDB 1951, so kann die Klägerin für die von ihr mit der Weiterlieferung der Waagen bewirkten Umsätze den ermäßigten Steuersatz des § 7 Abs. 3 UStG 1951 (1 v. H.) in Anspruch nehmen. Da die Vorinstanz zu einem anderen Ergebnis gelangt ist, war ihre Entscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Umsatzsteuervorauszahlung war daher unter Aufhebung der Beschwerdeentscheidung der OFD und Abänderung des Vorauszahlungsbescheides um den sich aus den unterschiedlichen Steuersätzen ergebenden Differenzbetrag zu vermindern und auf … DM festzusetzen.

 

Fundstellen

BFHE 1978, 190

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