Leitsatz (amtlich)

1. Die auf Grund des Gesetzes über die Finanzverwaltung vom 6. September 1950 (FVG) -- BGBl. S. 448 -- zu bildenden Steuerausschüsse sind für die ihnen zugewiesenen Aufgaben mit dem Inkrafttreten des Gesetzes (9. September 1950) zuständig.

2. Die Steuerausschüsse im Sinne von § 24 Absatz 3 FVG sind keine besonderen Rechtsmittelbehörden.

3. Hat entgegen dem § 24 Absatz 3 FVG das Finanzamt allein über einen Einspruch entschieden, so liegt keine Verletzung des Instanzenzuges, sondern ein wesentlicher Verfahrensmangel mit den sich aus §§ 284 Absatz 1, 288 Ziffer 2 AO ergebenden Folgen vor.

 

Normenkette

FVG § 23 Abs. 1, § 24 Abs. 3; AO § 284 Abs. 1, § 288 Nr. 2

 

Tatbestand

Das Finanzgericht hat die Einspruchsentscheidung, mit der das Finanzamt den Einspruch des Steuerpflichtigen (Stpfl.) wegen Rechtsmittelverzichts als unzulässig verworfen hat, aufgehoben und die Sache zur Entscheidung über den Einspruch durch den Steuerausschuß an das Finanzamt zurückverwiesen, weil nicht der jetzt nach dem Gesetz über die Finanzverwaltung vom 6. September 1950 (FVG), Bundesgesetzblatt (BGBl.) S. 448, zuständige Steuerausschuß (§§ 23, 24 Absatz 3 FVG), sondern das Finanzamt entschieden hat. Dieser Steuerausschuß -- so begründet das Finanzgericht seine Auffassung -- sei nicht mehr ein Organ des Finanzamts, mit ihm sei vielmehr eine neue Instanz geschaffen. Das Übergehen dieser Instanz sei deshalb kein nur auf eine entsprechende Rüge hin zu beachtender Verfahrensmangel, sondern bedeute die Nichtbeachtung des Instanzenzuges, der als notwendige Verfahrensvoraussetzung von Amts wegen zu beachten sei.

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts wird auf unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts gestütz. Zwar seien die Vorschriften der Reichsabgabenordnung (AO) über Beiräte außer Kraft gesetzt (§ 39 Absatz 2 FVG), und die Zuständigkeiten der zu bildenden Steuerausschusse festgelegt; da aber für die Zwischenzeit, d. h. bis zur Bildung der Steuerausschüsse, weder im Gesetz noch sonst eine Regelung getroffen sei, müsse als selbstverständlich unterstellt werden, daß der Steuerausschuß erst entscheiden könne, wenn er gebildet ist, was nach der Ersten Verwaltungsanordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Finanzverwaltung (Erste DAFVG) vom 23. November 1950 (Ministerialblatt des Bundesministeriums der Finanzen -- MinBlFin -- S. 642) spätestens bis zum 1. April 1951 geschehen soll. Solange Steuerausschüsse nicht vorhanden seien, könne auch in der "Nichtentscheidung des Ausschusses" kein Verfahrensmangel erblickt werden. Es müsse als Wille des Gesetzgebers angenommen werden, daß auch in der Zwischenzeit über die durch § 24 Absatz 3 FVG den Steuerausschüssen zur Entscheidung zugewiesenen Einsprüche entschieden werde. Es würde eine Verweigerung des Rechtsschutzes, wozu insbesondere auch eine rechtzeitige Entscheidung gehöre, darstellen, wenn man mit der Entscheidung über vorliegende Einsprüche warten wollte, bis die Steuerausschüsse tatsächlich gebildet seien. Das Finanzamt weist zur Unterstützung seiner Auffassung noch auf § 251 AO hin. Könne eine Einspruchsentscheidung bis zur Bildung der Steuerausschüsse nicht getroffen werden, so müßte der Stpfl., wenn die Vollziehung nicht ausgesetzt würde, die Bezahlung oder den Einzug einer vielleicht zu Unrecht festgesetzten Steuer ungebührlich lange in Kauf nehmen.

 

Entscheidungsgründe

Diese Ausführungen des Finanzamts führen zu der zunächst zu prüfenden Frage, welche Bedeutung der Absatz 1 des § 23 FVG hat. Ist aus der Fassung dieser Vorschrift, nach der bei den Finanzämtern, die Steuern vom Einkommen oder Vermögen verwalten, je nach den örtlichen Bedürfnissen ein Steuerausschuß oder mehrere Steuerausschüsse zu bilden sind, zu schließen, daß die Behandlung der Rechtsmittel nach den bisherigen Bestimmungen so lange als rechtwirksam zu gelten hat, bis die Steuerausschüsse tatsächlich gebildet sind? Diese Frage muß verneint werden. Insoweit vermag der Senat den Ausführungen des Finanzamts nicht zu folgen.

Daß ein Steuerausschuß oder mehrere Steuerausschüsse erst entscheiden können, wenn sie gebildet sind, ist selbstverständlich. Es ist aber nicht angängig, aus der Tatsache, daß die Bildung dieser Steuerausschüsse naturgemäß einen gewissen Zeitraum erfordert, und daß der Gesetzgeber eine Regelung für die Behandlung der Rechtsmittel bis zur Bildung dieser Ausschüsse nicht getroffen hat, anzunehmen, es entspreche seinem Willen, daß so lange noch nach den früheren Vorschriften verfahren werden könne oder müsse. Das FVG ist nach § 41 a. a. O. am 9. September 1950 in Kraft getreten. Mit diesem Tag sind durch § 39 Absatz 2 FVG die Vorschriften über die Anhörung des Beirats aufgehoben. Hieraus folgt, daß eine weitere Anwendung der bisher bezülich der Anhörung des Beirats geltenden Vorschriften nach dem klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers nicht möglich ist. Dem steht auch die Fassung des § 23 Absatz 1 FVG nicht entgegen. Diese Vorschrift ist offensichtlich dem § 25 AO 1919 (Reichsgesetzblatt --RGBl. -- S. 1993) nachgebildet. Auch hier hieß es: "Für die Steuern vom Einkommen usw.... sind bei den Finanzämtern Ausschüsse zu bilden." Es ist niemals zweifelhaft gewesen, daß diese Vorschrift mit dem Inkrafttreten der AO (23. Dezember 1919, § 444 AO 1919) anzuwenden war. Das folgt auch daraus, daß besondere Vorschriften für die verfahrensmäßige Behandlung der zur Zeit des Inkrafttretens anhängigen und der nach dem Inkrafttreten anhängig gewordenen Steuersachen, insbesondere auch bezüglich des bis zur Bildung der Ausschüsse anzuwendenden Verfahrens, erlassen worden sind (Artikel IV §§ 12 ff. der Verordnung zur Einführung der AO vom 18. Dezember 1919, RGBl. S. 2101, Verordnung über die Durchführung der Steuerverfahren bis zur Bildung von Ausschüssen und Finanzgerichten nach der AO vom 12. August 1920, RGBl. S. 1621, Verordnung über die Durchführung der Steuerverfahren während der Übergangszeit vom 11. Oktober 1921, RGBl. S. 1305, Reichssteuerblatt -- RStBl. -- S. 375, und dazu Erlaß des Reichsministers der Finanzen -- RdF -- vom 11. Oktober 1921 -- III R 28733 --, abgedruckt in Mrozek Kommentar zur AO 2. Auflage 1922 S. 154). Wenn es der Wille des Gesetzgebers gewesen wäre, die Tätigkeit der Steuerausschüsse erst nach ihrer tatsächlichen Bildung einsetzen und bis dahin die frühere Regelung gelten zu lassen, so lag nichts näher, als insoweit im Gesetz eine Bestimmung zu treffen. Das ist nicht geschehen, auch nicht in der auf Grund des § 40 FVG erlassenen Ersten DAFVG vom 23. November 1950, MinBlFin S. 642. Außerdem stand und steht § 12 AO für die Regelung der Frage zu Gebote. Nach dem derzeitigen Rechtszustande ist die Zuständigkeit der Steuerausschüsse mit dem Inkrafttreten des FVG gegeben. Die Worte "sind ... zu bilden" sind in Verbindung mit Absatz 2 § 23 FVG so zu verstehen, als ob dastünde, die Ausschüsse sind sofort zu bilden und mit dem Inkrafttreten des Gesetzes für alle ihnen von diesem zugewiesenen Aufgaben zuständig. Der Zweck des Gesetzes ist es, daß die Steuerausschüsse bereits mit dem Intrafttreten des Gesetzes in allen nach § 24 FVG aufgeführten Fällen ihre Tätigkeit aufnehmen. Die Erste DAFVG vom 23. November 1950 bestätigt im Grunde die hier vertretene Ansicht. Aus der Anordnung, die Steuerausschüsse sollen spätestens bis zum 1. April 1951 gebildet werden, folgt, daß sie an sich bereits früher zu bilden waren, und zwar mußte das mangels eines vom Gesetz anderweit festgesetzten Zeitpunktes mit dem Inkrafttreten des Gesetzes geschehen. Angesichts der in den §§ 23 ff., § 39 Absatz 2 und 3 FVG getroffenen Regelung kann aus dem Gesetz kein Anhalt dafür gefunden werden, daß die Frage des Beginns der Tätigkeit der Steuerausschüsse versehentlich nicht geregelt worden oder übersehen worden wäre und die Zuständigkeit der Steuerausschüsse erst mit ihrer tatsächlichen Bildung und nicht bereits mit dem Inkrafttreten des Gesetzes gegeben sein soll. Diese Auslegung des § 23 Absatz 1 FVG wird auch durch die bei der Wiedererrichtung von Finanzgerichten verwendete Ausdrucksweise bestätigt. Diese Gerichte sind jeweils mit dem Inkrafttreten der entsprechenden Verordnung zuständig geworden, obwohl es z. B. in der Verordnung Nr 175 betr. die Wiedererrichtung von Finanzgerichten in der britischen Zone heißt (§ 1): "An den nachfolgenden Orten werden ..... Finanzgerichte errichtet."

Haben hiernach die Steuerausschüsse bereits mit dem Inkrafttreten des FVG über Einsprüche zu entscheiden, so ist doch in der zweiten zu behandelnden Frage, ob nämlich die Steuerausschüsse nach dem FVG den früheren Ausschüssen entsprechen und damit ein Organ des Finanzamts sind, oder ob sie auf Grund des § 24 Absatz 3 FVG in Rechtsmittelsachen als neue Instanz anzusehen sind, den Ausführungen der Rb. im Ergebnis beizutreten. Das Finanzgericht gibt zwar zu, daß auch die Ausschüsse nach § 25 AO 1919 (§ 31 AO 1931) über die Einsprüche "entschieden", es glaubt aber aus der sprachlichen Neufassung in dem FVG schließen zu müssen, daß darin eine bewußte Abkehr von den alten Bestimmungen zu erkennen sei. Als entscheidend dafür, daß mit den Steuerausschüssen nach dem FVG, wenigstens im Rahmen des § 24 Absatz 3 a. a. O., eine neue Instanz geschaffen worden sei, sieht das Finanzgericht das Fehlen einer dem § 25 Absatz 2 AO 1919 (§ 40 Absatz 3 AO 1931) entsprechenden Vorschrift an, nach der die Steuerausschüsse "an die Ausführungsbestimmungen gebunden" waren. Des weiteren wird auf § 31 FVG hingewiesen, auf Grund dessen sich die Steuerauschschußmitglieder verpflichten, ihr Amt "nach den gesetzlichen Bestimmungen" auszuüben, während sie früher (§ 29 AO 1919, § 39 AO 1931) gelobten, "nach bestem Wissen und Gewissen" zu verfahren. Die hierdurch den jetzigen Ausschüssen gegebene unabhängigere Stellung gegenüber denen der alten Art dränge das Finanzamt in eine Parteistellung mit der Folge, daß der Vorsteher gegen eine Einspruchsentscheidung der Steuerausschüsse Berufung einlegen kann (§ 39 Absatz 4 FVG). Die Steuerausschüsse wirkten jetzt nicht mehr mit, sondern entschieden selbständig ohne Bindung an Verwaltungsanweisungen. Es sei somit nicht mehr das Finanzamt die sachlich zuständige Stelle, die eine zunächst wirksame Einspruchsentscheidung treffen könne; das seien vielmehr die Steuerausschüsse. Die Vorschrift des § 29 FVG, nach der das Finanzamt bei Verweigerung des Steuerausschusses an der Mitarbeit allein entscheide, sei gegenüber der sonstigen im FVG getroffenen Regelung nicht von maßgeblicher Bedeutung, zumal hier das Finanzamt ausdrücklich an Stelle des Steuerausschusses entscheide.

Diese Darlegungen sind nicht geeignet, dem Steuerausschuß in den Fällen des § 24 Absatz 3 FVG die Eigenschaft einer neuen Instanz zuzugestehen.

Die Frage nach der rechtlichen Natur der Steuerausschüsse, wie sie im FVG geregelt sind, kann nur unter Berücksichtigung der Systematik des Gesetzes, seiner Entstehungsgeschichte sowie des Sinns und Zwecks der Institution beantwortet werden.

Die systematische Anordnung spricht gegen die Auffassung des Finanzgerichts. Die Steuerausschüsse sind im FVG im Abschnitt IV mit der Überschrift "Finanzämter" behandelt. Im unmittelbaren Anschluß an die Vorschriften, die lediglich die Finanzämter betreffen, reihen sich die auf die Steuerausschüsse bezüglichen Bestimmungen an. Nach keiner Richtung hin ist zu erkennen, daß die Steuerausschüsse als selbständige Behörde von der Finanzverwaltung abgegrenzt und neben die Finanzämter gestellt werden sollen; wenn die Steuerausschüsse eine selbständige Instanz oder Behörde sein sollten, dann hätte das Gesetz auch Vorschriften darüber treffen müssen, in welcher Weise die Ausschüsse durch eine eigene Organisation in der Lage sein sollten, ihre Obliegenheiten durchzuführen, sei es, durch Zuweisung eigener Kräfte und Hilfsmittel, sei es durch die Inanspruchnahme anderer Behörden; zumindest wäre ein Hinweis in dieser Beziehung erforderlich gewesen. Das um so mehr, als es bereits früher Ausschüsse gegeben hat, die Behördeneigenschaft besaßen. Es waren dies die Grundwert- und Gewerbeausschüsse nach dem Reichsbewertungsgesetz (RbewG) vom 10. August 1925 (RGBl. I S. 214). Hier war im § 50 Absatz 2 bestimmt: Die Grundwert-(Gewerbe-) Ausschüsse sind Reichsfinanzbehörden. Vorsitzender ist der Vorsteher des Finanzamts. Dieser führt die Geschäfte des Ausschusses und trifft die erforderlichen Verfügungen; er bedient sich dabei der Beamten und Einrichtungen des Finanzamts. Die Dienstaufsicht über die Grundwert-(Gewerbe-)Ausschüsse steht dem Präsidenten des Landesfinanzamts zu. Der systematische Aufbau der Vorschriften läßt erkennen, daß die Steuerausschüsse, wie es im Gesetz heißt, ebenso wie früher "bei" den Finanzämtern gebildet werden und im Rahmen der finanzamtlichen Tätigkeit für eine Reihe von Aufgaben, teils in fakultativer, teils obligatorischer Form teilnehmen. Für die Annahme einer neben dem Finanzamt stehenden Behörde oder, soweit § 24 Absatz 3 FVG in Betracht kommt, einer zwischen Finanzamt und Finanzgericht stehenden neu geschaffenen Rechtsmittelinstanz bietet der Aufbau der Vorschriften keinen Anhaltspunkt. Auch die Tatsache, daß die Regelung der Steuerausschüsse in einem Finanzverwaltungsgesetz getroffen ist, widerspricht, wie das Finanzamt mit Recht hervorhebt, der Auffassung des Finanzgerichts. Zumindestens hätte, soweit der Steuerausschuß als besondere Rechtsmittelinstanz hätte tätig werden sollen, diese Regelung besonders hervorgehoben werden müssen.

Aus der Entstehungsgeschichte lassen sich ebensowenig Anzeichen für die vom Finanzgericht vertretene Auffassung entnehmen. Die jetzige Fassung des § 24 Absatz 3 FVG war bereits in den ersten Entwürfen enthalten und hat keine Änderung erfahren. Aus den Verhandlungen der Steuersachverständigen der Länder am 1. Dezember 1949 ergibt sich, daß Zweifel in bezung auf die rechtliche Struktur der Steuerausschüsse gegenüber früher nicht bestanden. Es wird nach der Niederschrift über die Sitzung stets nur von "Mitwirkung" gesprochen. An keiner Stelle wird auch nur angedeutet, daß die Steuerausschüsse als besondere Behörde oder Instanz geschaffen werden sollen. Das ergibt sich zweifelsfrei aus dem schriftlich niedergelegten Ergebnis, das von dem Vertreter des Bundesministeriums der Finanzen wie folgt zusammengefaßt wurde: Obligatorische entscheidende Mitwirkung der Steuerausschüsse bei Rechtsmittelentscheidungen, fakultative beratende Mitwirkung bei der Veranlagung.

Der Bundesrat hat an dem in der Sitzung vom 16. Februar 1950 beratenen Entwurf vom 1. Februar 1950 (Drucksache Nr 61 und 64/50) bezüglich der hier in Betracht kommenden Bestimmungen nichts geändert. Vor allem aber bietet die Begründung des Entwurfs, der mit dieser als Drucksache Nr 697 unter dem 11. März 1950 dem Bundestag zugeleitet wurde, keinen Anhalt für die Auffassung des Finanzgerichts. Aus dieser Begründung ergibt sich vielmehr (S. 18 bis 20), daß die Wiedererrichtung der Steuerausschüsse im Sinne der §§ 25 bis 31 AO 1919 beabsichtigt war. An keiner Stelle ist zum Ausdruck gebracht, daß mit ihnen eine selbständige Behörde oder wegen ihrer entscheidenden Mitwirkung bei Rechtsmitteln eine neue Instanz geschaffen werden sollte. Weder aus dem zur Drucksache Nr 697 erstatteten Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (11. Ausschuß) vom 27. April 1950 -- Drucksache Nr 888 -- noch aus dem Sitzungsprotokoll des Ausschusses vom 21. April 1950 (27. Sitzung) ist in dieser Beziehung etwas zu entnehmen. Diese Frage ist überhaupt nicht behandelt worden. Erwähnenswert ist lediglich der Änderungsantrag der SPD vom 12. Mai 1950 -- Drucksache Nr 941 --, der im § 24 Absatz 1 die Worte "das Finanzamt kann sich durch den Steuerausschuß beraten lassen" durch die Worte "der Steuerausschuß hat das Recht, jederzeit beratend mitzuwirken" ersetzt wissen wollte. Dieser Antrag ist Gesetz geworden.

Die dem Entwurf gegebene Begründung und die weitere parlamentarische Behandlung bezüglich der rechtlichen Struktur der Steuerausschüsse bieten keine Anhaltspunkte dafür, daß der Charakter der Steuerausschüsse gegenüber früher geändert werden sollte. Aus der Entstehungsgeschichte der jetzigen Steuerausschüsse kann vielmehr nur entnommen werden, daß sie, wie früher die Ausschüsse nach der AO 1919, ein Organ des Finanzamts geblieben sind, wenn auch ihre Bildung in anderer Form vor sich geht, und die Befugnisse erweitert sind. Die auf Anträge im Bundestag zurückzuführende Fassung des § 24 Absatz 1 und 2 FVG hat zwar gegenüber dem Regierungsentwurf die Initiative vom Finanzamt auf die Steuerausschüsse verlagert, indem er diesen das Recht gibt, jederzeit in dem einzelnen Veranlagungsfall beratend mitzuwirken, und dem Finanzamt zur Pflicht macht, sie in Angelegenheit von allgemeiner Bedeutung zu hören. Diese Regelung hat aber aus den Steuerausschüssen ebensowenig eine selbständige Behörde gemacht, wie der Absatz 3 des § 24 FVG, nach dem der Steuerausschuß über die dort näher bezeichneten Einsprüche entscheidet, eine neue Rechtsmittelbehörde geschaffen hat. Die Vorentscheidung hat bereits ausgeführt, daß auch die Ausschüsse der AO 1919 über die Rechtsmittel "entschieden". Aus der sprachlichen Neufassung im FVG kann jedoch die weittragende Folgerung, wie es in der Vorentscheidung geschehen ist, nicht gezogen werden. Der Zweck war offensichtlich der, dem Laienelement einen größeren Einfluß einzuräumen, einmal zur Verwirklichung des demokratischen Gedankens, sodann aber auch wohl wegen der außerordentlichen Höhe der steuerlichen Belastung. Wenn den Steuerausschüssen eine derartig neue Stellung durch die sprachliche Neufassung hätte zugewiesen werden sollen, dann wäre es an irgendeiner Stelle des Entwurfs oder seiner Begründung oder während der parlamentarischen Verhandlungen zum Ausdruck gebracht worden und hätte auch besonders hervorgehoben werden müssen.

Dem Fehlen einer dem § 25 Absatz 2 AO 1919 entsprechenden Vorschrift (Bindung der Ausschüsse an Ausführungsbestimmungen) kann nicht die Bedeutung beigemessen werden, wie es in der Vorentscheidung geschehen ist. Wie sich aus der Verpflichtungsformel der Steuerausschußmitglieder (§ 31 FVG) ergibt, sind die Steuerausschußmitglieder an die gesetzlichen Bestimmungen gebunden. Ausführungs- und Durchführungsbestimmungen, die in der für gesetzliche Bestimmungen vorgesehenen Form erlassen sind, binden deshalb auch die Steuerausschußmitglieder. "Gesetzliche Bestimmungen" ist ein umfassenderer Begriff als der Begriff "Gesetz" im § 48 Absatz 5 AO.

Auch die Bestimmung des § 29 FVG spricht dafür, daß der Steuerausschuß keine vom Finanzamt getrennte Behörde darstellt.

Die Tatsache, daß der Vorsteher nach § 39 Absatz 4 FVG gegen Einspruchsentscheidung der Steuerausschüsse Berufung einlegen kann, kann das Finanzgericht nicht für seine Ansicht verwerten. Eine gleiche Bestimmung war bereits im § 245 AO 1919 (§ 263 Absatz 2 AO 1931) enthalten. Der Zweck der Vorschrift bestand und besteht darin, der Verwaltung die Möglichkeit zu geben, ihren Standpunkt im Rechtsmittelverfahren in den Fällen weiterverfolgen zu können, in denen der Vorsteher überstimmt wird. An der Stellung des Finanzamts innerhalb des Rechtsmittelverfahrens hat das nichts geändert. Das Finanzamt ist nach wie vor entsprechend den Vorschriften der AO ein Beteiligter, aber keine "Partei" im Sinne des Zivilrechts. Die Steuerausschüsse haben somit im wesentlichen dieselbe Stellung wie im Rahmen der AO 1919. Das folgt auch aus der Weitergeltung des § 229 AO. Sie erfüllen nur eine ihnen durch § 24 Absatz 3 FVG zugewiesene Funktion. "Entschieden" haben die Steuerausschüsse über Einsprüche so wie jetzt auch früher. Der Unterschied besteht nur darin, daß in der AO 1919 die Gesamttätigkeit der Ausschüsse unter der neutralen Bezeichnung "mitwirken" zusammengefaßt worden, während im FVG nunmehr die Art der Mitwirkung genau abgegrenzt und besonders zum Ausdruck gebracht ist. Durch diese genauere Bezeichnung wird aber das Finanzamt nicht ausgeschaltet; vielmehr ist ihm bei der Ausübung seiner Tätigkeit die Pflicht auferlegt, die den Steuerausschuß in § 24 FVG vorbehaltenen Zusändigkeiten zu beachten. Es sind deshalb auch die im Rahmen des § 24 FVG ergehenden Verfügungen und Entscheidungen solche des Finanzamts.

Daher liegt, wenn nicht die Steuerausschüsse, sondern das Finanzamt über einen Einspruch entschieden hat, kein Verstoß gegen die Einhaltung des Instanzenzuges vor, sondern nur ein wesentlicher Verfahrensmangel, der auf eine im Rb.-Verfahren erhobene Rüge zur Aufhebung der Vorentscheidung führt (§§ 296, 288 AO, siehe Entscheidung des RFHofs VI A 600/26 vom 22. Dezember 1926, Slg. Bd. 20 S. 215, RStBl. 1927 S. 132).

Hiernach war die Vorentscheidung aufzuheben. Grundsätzlich hat, wenn das Verfahren des Finanzamts an wesentlichen Mängeln leidet, nach § 284 Absatz 1 Satz 1 AO das Finanzgericht gleichwohl in der Sache zu entscheiden. Eine Zurückverweisung der Sache unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung ist nur aus besonderen Gründen zulässig (§ 284 Absatz 1 Satz 2 AO). Es wird deshalb eine Zurückverweisung an das Finanzamt z. B. dann zu geschehen haben, wenn der Stpfl. auf die Entscheidung durch den Steuerausschuß besonderen Wert legt, oder wenn es sich um Streitfälle handelt, bei denen die Entscheidung durch die Steuerausschüsse auf Grund der besonderen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse seitens der Steuerausschußmitglieder angezeigt ist. Von einer Zurückverweisung wird dagegen in der Regel abgesehen werden können, wenn es sich ausschließlich um Rechtsfragen handelt. Im vorliegenden Falle liegen die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung an das Finanzamt nicht vor; der Beschwerdeführer hat sich auf die mangelnde Mitwirkung des Steuerausschusses nicht berufen. Das Finanzgericht, an das die Sache zurückverwiesen wird, hat nunmehr in eine sachliche Prüfung des Streitfalles einzutreten.

 

Fundstellen

BStBl III 1951, 81

BFHE 1952, 215

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