Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung Handelsrecht Gesellschaftsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Minderkaufleute (§ 4 Absatz 1 HGB) sind gemäß § 6 Ziffer 2 EStG 1934 berechtigt, ihre Waren mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten auch dann anzusetzen, wenn der Teilwert der Waren erheblich und voraussichtlich dauernd unter die Anschaffungs- oder Herstellungskosten gesunken ist.

2. Waren, die wertlos oder so gut wie wertlos sind, dürfen auch in den Bilanzen eines Minderkaufmannes nicht mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten ausgewiesen werden.

3. Die Voraussetzungen einer Berichtigungsveranlagung nach § 222 Absatz 1 Ziffer 1 AO sind auch dann erfüllt, wenn die Berichtigung eines Jahres zwar zu einer Minderung der Steuer dieses Veranlagungszeitraums, aber zu einer Erhöhung der Steuern der nachfolgenden Jahre führt und die Berichtigung sich im Ergebnis zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirkt.

 

Normenkette

EStG § 6 Ziff. 2; AO § 222 Abs. 1 Nr. 1; AktG § 133 Nr. 3; HGB § 40

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) hat eine Buchbinderei mit Papier- und Schreibwarengeschäft. Er besitzt kaufmännische Buchführung, ist jedoch im Handelsregister nicht eingetragen. In der Bilanz zum 31. Dezember 1947 hat er auf Waren 2612 RM abgeschrieben. Er habe am Bilanzstichtag noch eine große Menge von teuer eingekauften Postkarten sowie Schiffs- und Flugzeugmodellen des Dritten Reiches gehabt, die nach dem Kriege nicht mehr hätten verkauft werden können und dürfen. Nach Vornahme der Abschreibung habe er die Gegenstände vernichtet. Die Vorbehörden haben die Abschreibung nicht anerkannt. Da er als Minderkaufmann eine kaufmännische Buchführung habe, sei er verpflichtet, seine Bilanz nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung wie ein in das Handelsregister eingetragener Vollkaufmann aufzustellen. Es gelte für ihn deshalb auch das sog. Niederstwertprinzip des Handelsrechtes bei der Warenbewertung. Die im Streit befindliche Ware hätte er bereits in der Bilanz zum 31. Dezember 1945 abschreiben müssen.

Für das Jahr 1945 wurde der Bf. mit einem Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 7 670 RM veranlagt.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Der Reichsfinanzhof hat in ständiger Rechtsprechung, so in der Entsch. VI 570, 575/38 vom 14. September 1938, Reichssteuerbl. 1938 S. 1066, die Auffassung vertreten, daß Kaufleute, die im Handelsregister eingetragen sind, bei der Warenbewertung neben den Bestimmungen des § 6 Ziffer 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auch die entsprechenden Bestimmungen des Handelsrechtes zu beachten haben. Bedeutsam sind insbesondere die Bestimmungen des § 133 Ziffer 3 des Aktiengesetzes (AktG) und des § 40 des Handelsgesetzbuches (HGB). Diese Bestimmungen - die Bestimmungen des § 40 HGB in Verbindung mit § 6 Ziffer 2 EStG - bedeuten das sog. Niederstwertprinzip. Der Bilanzansatz der Waren kann erfolgen nach den Anschaffungs- (Herstellungs-) Kosten oder dem tatsächlichen Wert des Gegenstandes am Bilanzstichtag. Von beiden Ansätzen ist jedoch der jeweils niedrigere Betrag der bilanzmäßig zulässige Höchstwert. Hierbei ist zu beachten, daß Waren, die keinen Börsen- oder Marktpreis haben, mit dem voraussichtlichen späteren Veräußerungserlös abzüglich der Verkaufsspesen angesetzt werden können. Es ist somit eine überschreitung des Teilwertes insoweit zulässig (Entsch. des RFHofs VI A 335/37 vom 21. Juli 1937, Reichssteuerbl. 1937 S. 997; I 42/39 vom 10. Oktober 1939, Reichssteuerbl. 1940 S. 577, und die dort aufgeführte weitere Rechtsprechung).

Gesetzlich ist die Versagung des Wahlrechts des § 6 Ziffer 2 EStG bei Waren in den Vorschriften des § 5 EStG begründet. Bei Gewerbetreibenden, deren Firma im Handelsregister eingetragen ist, ist für den Schluß des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist. Hiernach müssen bei Vollkaufleuten neben den Bewertungsbestimmungen des § 6 EStG auch die handelsrechtlichen Bewertungsbestimmungen eingehalten werden. Bei der Verwertung der älteren Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs, so der Entsch. des RFHofs VI A 108/27 vom 30. März 1927, Slg. Bd. 21 S. 62; VI A 594/27 vom 17. April 1929, Reichssteuerbl. 1929 S. 449, Mrozeks Kartei, EStG 1925 § 13, Rechtsspruch 159; I A 180/30 vom 5. November 1931, Reichssteuerbl. 1932 S. 63, muß beachtet werden, daß in § 13 EStG 1925 die entsprechende Vorschrift auf alle Steuerpflichtigen ausgedehnt war, die Handelsbücher nach den Vorschriften des HGB zu führen verpflichtet sind oder tatsächlich führen.

Die Einschränkung des Wahlrechtes des § 6 Ziffer 2 EStG 1934 ist somit ausdrücklich nur für die im Handelsregister eingetragenen Kaufleute ausgesprochen, insbesondere also nicht für Gewerbetreibende im Sinn des § 4 Absatz 1 HGB, d. h. für Handwerker, sowie für Personen, deren Gewerbebetrieb nicht über den Umfang des Kleingewerbes hinausgeht (sog. Minderkaufleute). Es ist die Frage zu entscheiden, ob für diese nicht auf Grund weiterer Erwägungen die handelsrechtlichen Bestimmungen entsprechend anzuwenden sind.

Der Reichsfinanzhof hat zu einer ähnlich gelagerten Frage in dem Urteil VI A 844/30 vom 13. November 1930, Reichssteuerbl. 1931 S. 110, Stellung genommen. Hier war zu entscheiden, ob die Bewertungsbestimmungen des § 261 HGB für Aktiengesellschaften (jetzt § 133 AktG), die teilweise beachtlich von den Vorschriften des § 40 HGB abweichen, auch auf Einzelkaufleute und offene Handelsgesellschaften anzuwenden seien, da es sich um gesetzlich festgelegte Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung handle. Zur Erörterung stand in dem Streitfall die Vorschrift des § 261 Ziffer 1 HGB. Der Reichsfinanzhof ist der Auffassung der Spitzenverbände gefolgt, die sich auf Anfrage dahin geäußert haben, daß der Einzelkaufmann und die offenen Handelsgesellschaften ein Wahlrecht haben, die von § 40 HGB abweichenden Bestimmungen des Aktienrechtes anzuwenden oder nicht. Hieraus ergibt sich, daß jedenfalls die Bestimmung des § 133 AktG kein alle buchführenden Gewerbetreibenden bindendes Recht darstellt. Es ist die weitere Frage zu prüfen, ob dies auch hinsichtlich der Bestimmungen des § 40 HGB gilt.

Das Einkommensteuergesetz läßt ausdrücklich eine Bewertung des umlaufenden Vermögens zu den Anschaffungskosten uneingeschränkt zu. Es gibt lediglich die Möglichkeit, auf den niedrigeren Teilwert (oder einen Zwischenwert, Entsch. des RFHofs VI 179/39 vom 21. Juni 1939, Slg. Bd. 47 S. 176, Reichssteuerbl. 1939 S. 970) herunterzugehen. Wäre der Gesetzgeber der Auffassung gewesen, daß das Niederstwertprinzip für umlaufendes Betriebsvermögen allgemein gilt, so hätte es nahegelegen, das Gesetz anders zu fassen. Das Handelsrecht kennt in § 261 HGB und in § 133 AktG in erheblichem Umfang eine Bewertung zu den Anschaffungskosten trotz niedrigeren tatsächlichen Wertes. In der Bewertung zu den höheren Anschaffungskosten liegt somit nichts Außergewöhnliches. Es erscheint nicht vertretbar, die verschärfenden Vorschriften des Niederstwertprinzipes ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung und damit gegen die Bestimmungen des § 6 Ziffer 2 EStG hinsichtlich der Warenbewertung auf die Minderkaufleute zu übertragen. Die Bewertung zu den Anschaffungskosten trägt den Verhältnissen der Minderkaufleute Rechnung, da sie verhältnismäßig einfach ist und der in der Teilwertschätzung liegenden Fehlerquellen entbehrt. Bei dem im allgemeinen verhältnismäßig geringen Umfang des Warenlagers des Minderkaufmannes, das leicht übersehbar ist, wird auch die Berücksichtigung des Gläubigerschutzes zu keinem anderen Ergebnis führen können, zumal das Handelsgesetzbuch selbst die Buchführung für Minderkaufleute nicht vorschreibt (§ 4 Absatz 1 HGB). Es sind wohl Anordnungen ergangen, die einer Förderung des Rechnungswesens des Kleingewerbes dienen, so die Vorschrift des § 161 der Reichsabgabenordnung (AO), die Verordnung zur Führung eines Wareneingangsbuches vom 20. Juni 1935 (Reichsgesetzbl. I S. 752, Reichssteuerbl. S. 881), die Anordnungen des Reichsstandes des Deutschen Handwerkes vom 20. Oktober 1937 (Deutsches Handwerk 1937 Nr. 42), durch die die Buchführungspflicht für das gesamte Handwerk mit Wirkung vom 1. April 1938 angeordnet wurde, aber es liegen keine das Steuerrecht bindenden gesetzlichen Bewertungsbestimmungen vor, wie dies bei Vollkaufleuten auf Grund des § 5 EStG der Fall ist. Es ist somit davon auszugehen, daß den Minderkaufleuten das in § 6 Ziffer 2 EStG gewährte Wahlrecht für die Bilanzierung der Waren nicht durch weitere gesetzliche Bestimmungen eingeschränkt oder beseitigt ist.

Der Gewerbetreibende ist bei Ausübung seines Wahlrechtes nach § 6 Ziffer 2 EStG hinsichtlich des Wertansatzes nicht vollkommen ungebunden. Es müssen gleichartige Grundsätze gelten, wie sie der Reichsfinanzhof für das Wahlrecht bei Gütern des Anlagevermögens in den Entscheidungen I 259/37 vom 13. Juli 1938, Reichssteuerbl. 1938 S. 1123, und I 24/39 vom 7. Februar 1939, Reichssteuerbl. 1939 S. 511, ausgesprochen hat. Der Minderkaufmann darf zwar die Waren auch dann noch mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten ansetzen, wenn ihr Teilwert erheblich und voraussichtlich dauernd hinter den Anschaffungskosten zurückbleibt (I 259/37). Er darf jedoch Waren, die wertlos oder so gut wie wertlos sind, in der Bilanz nicht mit den Anschaffungskosten ausweisen (I 24/39).

Die Vorentscheidung hat des weiteren die Grundsätze der Bilanzidentität (allgemeine Bilanzkontinuität, Bilanzenzusammenhang) verkannt. Nach § 4 Absatz 1 EStG 1934 ist der Gewinnermittlung das Betriebsvermögen am Schlusse des vorangegangenen Wirtschaftsjahres als Anfangsvermögen zugrunde zu legen; siehe Entsch. des RFHofs VI A 1275/30 vom 13. November 1930, Mrozeks Kartei, EStG 1925 § 13, Rechtsspruch 324; VI A 441/30 vom 19. August 1931, Slg. Bd. 29 S. 249, Reichssteuerbl. 1931 S. 908; VI A 360/37 vom 6. Oktober 1937, Slg. Bd. 42 S. 196, Reichssteuerbl. 1937 S. 1117. Eine Berichtigung der Anfangsbilanz ist nur insoweit möglich, als es sich um einen individuellen Gegenstand handelt und der falsche Ansatz sich bei den früheren Veranlagungen steuerlich nicht ausgewirkt hat oder die Veranlagung des Vorjahres berichtigt werden durfte und berichtigt worden ist (Entsch. des RFHofs VI 841, 842/38 vom 15. Februar 1939, Reichssteuerbl. 1939 S. 393). Der Reichsfinanzhof ist von dieser Rechtsauffassung nur in besonders gelagerten Fällen unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben abgewichen (Entsch. des RFHofs VI A 1963/29 vom 16. Dezember 1931, Slg. Bd. 30 S. 114, Reichssteuerbl. 1932 S. 528; VI A 479/37 vom 15. September 1937, Reichssteuerbl. 1937 S. 1143). Hierbei ist die Rechtsprechung, wie dies VI 841, 842/38 ausdrücklich bemerkt, hinsichtlich der Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Durchbrechung der allgemeinen Bilanzkontinuität zu einer Verschärfung gekommen. Die Entsch. des RFHofs VI A 73/35 vom 6. November 1936, Slg. Bd. 40 S. 226, Reichssteuerbl. 1937 S. 17, hat folgenden Rechtssatz geprägt: "Der Umstand, daß der Steuerpflichtige in der Schlußbilanz des vorangegangenen Jahres seine Waren bewußt zu hoch bilanziert hat, rechtfertigt nicht den Bilanzenzusammenhang zu unterbrechen, wenn die Möglichkeit besteht, die Veranlagung des vorausgegangenen Jahres zu berichtigen.

Im vorliegenden Falle hat das Finanzgericht den Bilanzenzusammenhang durchbrochen, ohne dies ausreichend zu begründen. Die Aktivierung der umstrittenen Warenbestände zu den Anschaffungskosten hat die Veranlagung 1945 entscheidend beeinflußt. Wurde den Vorbehörden erst auf Grund der Vorgänge des Jahres 1947 bekannt, daß der Bf. 1945 wertlose Waren entgegen den oben dargestellten Grundsätzen aktiviert hatte, so hatten sie die Möglichkeit zu prüfen, ob nicht die Voraussetzungen einer Berichtigungsveranlagung 1945 gegeben waren. Wie in der Entscheidung VI A 73/35 ausgeführt ist, steht einer Berichtigung nach § 222 Ziffer 1 AO nicht entgegen, daß dies für 1945 zu einer Minderung des Einkommens und damit auch zu einer Minderung der Steuer geführt hätte. Der Reichsfinanzhof hat in der Entscheidung folgenden Rechtssatz geprägt: "Wirkt sich die Berichtigung des vorausgegangenen Jahres im Gesamtergebnis zum Nachteil des Pflichtigen aus, so ist nicht erforderlich, daß die die Berichtigung rechtfertigende neue Tatsache durch eine Betriebsprüfung bekanntgeworden ist". In der Begründung der Entscheidung wird ausgeführt, daß die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 222 Absatz 1 Ziffer 1 AO dann gegeben seien, wenn die Steuer, aufs ganze gesehen, d. h. für den zu berichtigenden und den oder die folgenden Steuerabschnitte infolge der Berichtigung höher sei, als sie es ohne die Berichtigung wäre. Hierbei muß allerdings auch den Grundsätzen von Treu und Glauben Rechnung getragen werden. Eine Berichtigungsveranlagung wegen zu hoher Bewertung des Warenlagers wird man dann als zulässig ansehen können, wenn der Steuerpflichtige bewußt wesentlich überbewertet hat und diese überbewertung mit den gesetzlichen Vorschriften nicht vereinbar war.

Die Vorentscheidung muß aufgehoben werden. Es erscheint zweckmäßig, die Steuer für das Streitjahr erst nach Prüfung der Fragen, ob die Voraussetzungen einer Berichtigungsveranlagung gegeben sind und ob eine Berichtigung durchgeführt werden soll, festzusetzen. Die Sache wird deshalb zur erneuten Würdigung an das Finanzgericht zurückverwiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407155

BStBl III 1951, 10

BFHE 1952, 22

BFHE 55, 22

BB 1951, 74

DB 1951, 128

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