Leitsatz (amtlich)

1. Ist eine Erstattungszusage für die Ausfuhr von Weizengrieß erteilt worden, so ist für die Anforderungen an die Beschaffenheit der ausgeführten Waren Gemeinschaftsrecht und nicht nationales Recht maßgebend.

2. Enthält das Gemeinschaftsrecht keine besonderen Vorschriften über die Anforderungen an die Beschaffenheit, so kann die ausgeführte Ware grundsätzlich nur dann als Weizengrieß im Sinne der Erstattungszusage angesehen werden, wenn sie einen höheren Stärkegehalt und einen niedrigeren Aschegehalt hat als das Getreide.

 

Normenkette

GZT Tarifnr. 11.02; ErstVOGetr 1963 und 1964 § 6; ErstVOGetrReis § 6

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) führte in der Zeit vom 28. Oktober bis 13. März 1965 insgesamt 3 263 670 kg einer Ware aus, die sie in den Ausfuhrdokumenten als Grieß von Weichweizen bezeichnete. Sie erhielt für diese Ausfuhren Erstattungen in der Form der Genehmigung der abschöpfungsfreien Einfuhr von Weizen nach dem Umrechnungsverhältnis 100 : 158. Aufgrund dieser Genehmigung wurden ihr insgesamt 5 156 634 kg eingeführter Weizen abschöpfungsfrei belassen.

Mit Bescheid vom 16. Dezember 1968 widerrief die Rechtsvorgängerin der Beklagten und Revisionsbeklagten (Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung – BALM –), die Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide- und Futtermittel (EVSt), die gewährte Erstattung.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Die Klage wurde abgewiesen.

Die Klägerin legte gegen dieses Urteil Revision ein.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Die Vorentscheidung ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Die Feststellungen des FG rechtfertigen die Entscheidung, daß der Widerrufsbescheid, soweit das FG ihn nicht aufgehoben hat, rechtmäßig ist.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats war für den Widerruf von Erstattungen durch die Marktordnungsstelle nach dem z. Z. des Widerrufs geltenden Recht das allgemeine Verwaltungsrecht und nicht die Reichsabgabenordnung (AO) maßgebend (vgl. Entscheidungen vom 8. Mai 1970 VII R 52/67, BFHE 99, 281, 288; vom 8. Februar 1972 VII B 58/70, BFHE 105, 212, 217; vom 9. Mai 1972 VII R 22/69, BFHE 106, 150, 155; vom 8. November 1972 VII R 98/68, BFHE 107, 482, und vom 9. April 1975 VII R 24/70, BFHE 116, 220, 222). Danach ist stets zu prüfen, ob das schutzwürdige Interesse des durch die Erstattungsgewährung Begünstigten an der Aufrechterhaltung des Erstattungsbescheids oder das öffentliche Interesse an dessen Beseitigung überwiegt. Ausfuhrerstattungen sind unter Beachtung dieser Grundsätze nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BFHE 106, 150, 156; 107, 482, 483; Urteile vom 2. Dezember 1975 VII R 59/73, BFHE 118, 115, 117, und vom 17. Oktober 1978 VII R 122/75, BFHE 126, 485, 491) in der Regel aber schon dann zu widerrufen, wenn sie zu Unrecht gewährt worden sind; denn das öffentliche Interesse daran, daß die zu Unrecht erlangte Erstattung zurückgewährt wird, überwiegt gegenüber dem schutzwürdigen Interesse in der Regel schon deshalb, weil der Begünstigte durch die Erstattung einen ungerechtfertigten Wettbewerbs- oder Marktvorteil gegenüber anderen Marktbürgern erlangt hat.

2. Die Erstattungen sind der Klägerin deshalb zu Unrecht gewährt worden, weil ihr nach den Feststellungen des FG Erstattungszusagen für die Ausfuhr von Weizengrieß erteilt waren und die ausgeführten Waren den danach maßgebenden Beschaffenheitsanforderungen nicht entsprachen.

a) Die für den Streitfall maßgebenden, vom FG benannten ErstVO (Erstattungsverordnung Getreide vom 30. Juli 1963 – ErstVOGetr 1963 –, BGBl I, 543, BZBl 1963, 672, Erstattungsverordnung Getreide vom 5. August 1964 – ErstVOGetr 1964 –, BGBl I, 578, BZBl 1964, 709, sowie Erstattungsverordnung Getreide und Reis vom 24. November 1964 – ErstVOGetrReis –, BGBl I, 917, BZBl 1965, 2) enthielten – in § 6 – übereinstimmend die Regelung, daß eine Erstattung grundsätzlich nur derjenige beantragen konnte, der vor der Ausfuhr eine Erstattungszusage erhalten hatte. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteile vom 13. Januar 1970 VII R 74/67, BFHE 98, 105, und VII R 75/67, BFHE 98, 113, sowie BFHE 126, 485) ist die Erstattungszusage materielle Voraussetzung für die Erstattung mit der Folge, daß den Erstattungszusagen zu entnehmen war, wie die ausgeführten Waren beschaffen sein mußten, um einen Erstattungsanspruch zu erlangen.

b) Unter welchen Voraussetzungen eine Ware als Grob- oder Feingrieß von Weichweizen anzusehen ist, kann nur dem Gemeinschaftsrecht entnommen werden. Grundlage der Erstattungen war die Verordnung (EWG) Nr. 19/62 (VO Nr. 19/62) des Rates über die schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Getreide vom 4. April 1962 (ABlEG 1962, 933, BZBl 1962, 618). Nach den Art. 1 und 19 Abs. 2 dieser Verordnung konnte für die Ausfuhr von Grob- und Feingrieß von Weichweizen i. S. der Tarifst. 11.02 A 1 GZT eine Erstattung gewährt werden. Die zur Erlangung einer Erstattung erforderliche Erstattungszusage war eine Maßnahme, die lediglich der Durchführung der VO Nr. 19/62 diente. Das kommt in den genannten ErstVO, die den erteilten Erstattungszusagen zugrunde liegen, auch eindeutig zum Ausdruck. Sie sind ausdrücklich auf das Gesetz zur Durchführung der VO Nr. 19/62 (Getreide) des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 26. Juli 1962 (BGBl I 1962, 455, BZBl 1962, 663) gestützt und beziehen sich in ihrem § 1 nachdrücklich auf die Erstattungen nach der VO Nr. 19/62.

Dem Einwand, daß die Anforderungen an die Beschaffenheit nach nationalem Tarifrecht oder in Anwendung der – nationalen – Siebzehnten Durchführungsverordnung zum Getreidegesetz (17. DVO) vom 21. Juli 1961 (BGBl I, 1039) zu bestimmen sei, kann demnach nicht gefolgt werden. Da die Erstattungen lediglich Maßnahmen im Rahmen der Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation nach dem Gemeinschaftsrecht und die von dieser Marktorganisation betroffenen Waren im Gemeinschaftsrecht (Art. 1 VO Nr. 19/62) genau bestimmt waren, ist auch über die Anforderungen an die Beschaffenheit dieser Waren allein unter Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu entscheiden. Das entspricht auch, wie die Klägerin selbst dargelegt hat, der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteile vom 18. Februar 1970 Rs. 40/69, EuGHE 1970, 69, 80, und vom 18. Juni 1970 Rs. 74/69, EuGHE 1970, 451, 459).

Die Anwendung nationaler Tarifierungsvorschriften zur Bestimmung der Anforderungen an die Beschaffenheit der Waren mit einer vom Gemeinschaftsrecht abweichenden Rechtsfolge kann nicht damit gerechtfertigt werden, daß den Mitgliedstaaten bei der Erteilung der Erstattungszusagen noch die Tarifhoheit zugestanden habe und daß ihnen diese Tarifhoheit erstmals durch das Urteil des EuGH vom 18. Februar 1970 Rs. 40/69 (EuGHE 1970, 69, 80, sog. Putensterzurteil) aberkannt worden sei. Die Klägerin ist offenbar der Auffassung, daß durch dieses Urteil hinsichtlich der Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten eine neue Rechtslage geschaffen worden sei, durch die die Anwendbarkeit nationaler Tarifierungsvorschriften im Rahmen der Anwendung des Gemeinschaftsrechts untersagt worden sei. Dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden. Seit Gemeinschaftsvorschriften wie diejenigen in der VO Nr. 19/62 (vgl. EuGHE 1970, 451, 459) in den Mitgliedstaaten unmittelbare Geltung erlangt haben, ist es den Mitgliedstaaten verwehrt, nationale Vorschriften anzuwenden, deren Rechtsfolgen mit denen des Gemeinschaftsrechts nicht übereinstimmen. Auch den genannten Entscheidungen des EuGH kann nicht die Wirkung beigemessen werden, daß diese Rechtsfolge erst mit dem Erlaß der Urteile eingetreten sei. Der EuGH hat lediglich über die unmittelbare Geltung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten und über dessen Vorrang gegenüber dem nationalen Recht entschieden. Eine weitergehende Bedeutung dahin, daß durch den Erlaß dieser Entscheidungen der Zeitpunkt bestimmt werde, in dem der Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem nationalen Recht wirksam geworden sei, kann den Entscheidungen des EuGH nicht beigemessen werden.

Die Anwendbarkeit nationaler Tarifierungsvorschriften kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, daß der Vorrang des Gemeinschaftsrechts im Zeitpunkt der Erteilung der Erstattungszusage sowie der Erstellung und Ausfuhr der streitbefangenen Waren noch nicht anerkannt gewesen sei und daß die Bundesregierung noch in dem Verfahren vor dem EuGH, das zu dem sog. Putensterzurteil geführt hat, der Auffassung gewesen sei, die Tarifhoheit habe zum damaligen Zeitpunkt noch den Mitgliedstaaten zugestanden. Für die Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts ist maßgebend, daß es zum damaligen Zeitpunkt, wie der EuGH entschieden hat, bereits gegolten hat. Subjektive Vorstellungen, auch der Bundesregierung, können daran nichts ändern.

c) Für die Beurteilung der Frage, ob die Beschaffenheit der ausgeführten Waren den Erstattungszusagen entspricht, ist also das Gemeinschaftsrecht maßgebend. Das FG hat ohne Rechtsfehler festgestellt, daß die ausgeführten Waren nicht als Grob- oder Feingrieß i. S. des Gemeinschaftsrechts angesehen werden können.

Aufgrund des Art. 1 Buchst. e der VO Nr. 19/62 kommt es darauf an, daß die ausgeführten Waren die Beschaffenheitsmerkmale aufgewiesen haben, die erforderlich waren, um sie als Grob- oder Feingrieß von Weizen der Tarifst. 11.02 A I GZT zuweisen zu können. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH sind für die Tarifierung von Waren die entscheidenden Kriterien im allgemeinen in den charakterbestimmenden Merkmalen und objektiven Eigenschaften der Waren zu suchen (vgl. Urteile vom 10. Dezember 1975 Rs. 53/75 EuGHE 1975, 1647, 1654, und EuGHE 1974, 607, 620). Bei der Ermittlung dieser Merkmale und Eigenschaften ist zu berücksichtigen, daß die Bezeichnung als Grob- und Feingrieß von Weizen im Tarif zu erkennen gibt, aus welchem Erzeugnis die Ware hergestellt sein muß, nämlich aus Weizen. Weizen i. S. des Tarifs ist aber die Getreideart Weizen i. S. der Tarifnr. 10.01 GZT. Als Verarbeitungserzeugnis von Weizen muß demnach Grieß i. S. des Tarifs wesentliche Bestandteile des Ausgangserzeugnisses Weizen enthalten, deren Anteile nicht wesentlich anders sein dürfen als vor der Verarbeitung (EuGH-Urteil vom 23. März 1972 Rs. 36/71, EuGHE 1972, 187, 199). Das bedeutet, daß die Ware die wesentlichen Weizenbestandteile in einer Zusammensetzung enthalten muß, die normalen Schwankungen des natürlichen Gehalts des Weizens als Ausgangserzeugnis entspricht (vgl. EuGH-Urteil vom 14. Juli 1971 RS. 12/71, EuGHE 1971, 743, 752, und RS. 14/71, EuGHE 1971, 779, 788). Wie bei Mehl (vgl. EuGH-Urteil vom 20. Juni 1973 Rs. 80/72, EuGHE 1973, 635, 654) trifft das auch bei Grieß nur dann zu, wenn die Ware einen höheren Stärkegehalt und einen niedrigeren Aschegehalt aufweist als das ursprüngliche Getreide.

Die Richtigkeit dieses Auslegungsergebnisses wird auch durch die damals schon vorhandenen Brüsseler Erl. bestätigt, die entgegen der Auffassung der Klägerin als maßgebliches Erkenntnismittel herangezogen werden können (vgl. Urteile des EuGH vom 29. Mai 1974 Rs. 185/73, EuGHE 1974, 607, 620; vom 9. Oktober 1973 Rs. 12/73, EuGHE 1973, 963, 975; vom 16. Juli 1981 Rs. 159/80, EuGHE 1981, 2161, 2178, und vom 17. Juni 1982 Rs. 3/81, amtlich noch nicht veröffentlicht, teilweise abgedruckt in HFR 1982, 433, ZfZ 1982, 300). Bereits in deren Fassung aus dem Jahre 1955 wird ausgeführt, daß zu Kap. 11 eine Reihe von Waren gehört, die aus Getreide des Kap. 10 hergestellt worden sind, und zwar durch Mahlen oder durch eine andere Bearbeitung, die in den einzelnen Tarifnummern vorgesehen ist. In den Erl. zu Tarifnr. 11.02 heißt es außerdem, daß unter diese Tarifnummer alle nichtzubereiteten (unprepared, non preparés) Waren aus der Vermahlung und Bearbeitung von Getreide mit Ausnahme von Mehl (Tarifnr. 11.01) und Rückständen (Tarifnr. 23.02) gehören, daß Grobgrieß kleine Bruchstücke des Mehlkörpers sind, die durch grobes Mahlen von Getreide gewonnen werden, und daß Feingrieß ein Produkt körniger als Mehl ist und durch Sichten nach dem ersten Mahlgang oder durch erneutes Mahlen und Sichten des aus dem ersten Mahlgang stammenden Grobgrießes gewonnen wird.

Unter Beachtung der Kriterien, die danach für die Tarifierung einer Ware nach der Tarifnr. 11.02 als Grob- oder Feingrieß von Weichweizen maßgebend sind, ist der Inhalt der Erstattungszusagen zu werten. Das hat das FG im Ergebnis getan. Nach seinen Feststellungen ist es nicht gerechtfertigt, die ausgeführten Waren als Grob- oder Feingrieß i. S. der Erstattungszusagen anzusehen. Nach diesen Feststellungen sind die ausgeführten Waren nicht vorwiegend aus dem Mehlkörper des Getreides gewonnen und übersteigt deren Aschegehalt mit mehr als 3 % erheblich denjenigen des natürlichen Korns, der nach den von der Klägerin nicht beanstandeten Feststellungen des FG mit etwa 1,9 % anzusetzen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 510513

BFHE 1983, 121

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