Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozeßkostenhilfe - Änderung von Steuerbescheiden

 

Leitsatz (NV)

Wer sich jahrelang um seine steuerlichen Angelegenheiten nicht kümmert, trotz wiederholter Aufforderung keine Steuererklärung abgibt und den daraufhin ergehenden Schätzungsbescheid bestandskräftig werden läßt, handelt i. d. R. grob schuldhaft i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977. Seine auf Abänderung des Schätzungsbescheides gerichtete Verpflichtungsklage bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg i. S. des Prozeßkostenhilferechts.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 173 ff.; FGO § 142; ZPO § 114

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

In dem beim FG anhängigen Klageverfahren (Hauptsacheverfahren) begehrt der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) die Veranlagung zur Einkommensteuer 1979 zu ändern.

Der Beschwerdeführer betrieb in der Zeit vom 18. April 1978 bis 15. Februar 1980 einen Groß- und Einzelhandel mit Tabak- , Süß- und Fleischwaren, Spirituosen und Textilien und vom 7. Januar 1981 an eine Handels- und Vermittlungsagentur. Seit dem 10. Dezember 1984 ist er beim Arbeitsamt A. als Arbeitsuchender gemeldet. Mit Gelegenheitsarbeiten verdient der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben derzeit monatlich 300 DM. Außerdem ist er zur Hälfte (in ungeteilter Erbengemeinschaft) Miteigentümer des Hausgrundstücks X. in A., das er auch selbst bewohnt.

Nachdem das beklagte Finanzamt des Hauptverfahrens (FA) den Beschwerdeführer wiederholt (verbunden mit Fristsetzung, zuletzt außerdem unter Androhung eines Zwangsgeldes) - ebenso wie im Vorjahr - vergeblich zur Abgabe seiner Steuererklärungen für 1979 aufgefordert hatte, schätzte es im Bescheid vom 8. April 1981 die Einkünfte des Beschwerdeführers aus Gewerbebetrieb für diesen Veranlagungszeitraum auf 10 000 DM, errechnete daraus ein zu versteuerndes Einkommen von 8 950 DM und setzte demgemäß die Einkommensteuer des Beschwerdeführers für 1979 (nach der Grundtabelle) auf 1 154 DM fest.

Dieser Bescheid ist lediglich aufgrund einer Mitteilung über die gesonderte und einheitliche Feststellung von (Vermietungs-)Einkünften des Beschwerdeführers in Höhe von 399 DM durch Bescheid vom 1. Oktober 1982 gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geändert worden (Einkommensteuerschuld danach: 1 240 DM).

Der Änderungsbescheid ist - ebenso wie zuvor der geänderte Bescheid - bestandskräftig geworden.

Erstmals mit Schreiben vom 27. Dezember 1985 (Eingang beim FA: 31. Dezember 1985) äußerte sich der Beschwerdeführer zur Einkommensteuerveranlagung für 1979, indem er unter Berufung auf § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 a. F. Änderung des Bescheids vom 1. Oktober 1982 mit der Begründung begehrte, er sei gezwungen gewesen, sein Geschäft wegen stark rückläufiger Umsätze aufzugeben. Sein Einkommen sei, wie in den Jahren zuvor, ,,gleich Null" gewesen. Im Jahre 1978 habe der Gewerbeverlust 50 000 DM betragen. Der Einkommensteuerveranlagung 1979 liege ein ,,unmögliches Schätzungsergebnis" zugrunde.

Mit Verfügungen vom 28. April 1986 und 20. Januar 1987 lehnte das FA den Änderungsantrag mit der Begründung ab, neue Tatsachen oder Beweismittel seien nicht vorgebracht worden. Der Einspruch des Beschwerdeführers blieb erfolglos. Über die Klage hat das FG noch nicht entschieden.

Den zugleich mit Klageerhebung gestellten Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe lehnte das FG mit Beschluß vom 16. Juli 1987 wegen fehlender Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren ab: Es könne dahingestellt bleiben, ob das Vorbringen des Beschwerdeführers neue Tatsachen enthalte, der begehrten Änderung stehe jedenfalls grobes Verschulden i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 a. F. entgegen.

Mit seiner Beschwerde erstrebt der Beschwerdeführer unter Hinweis auf das für ihn unbegreifliche Schätzungsergebnis und seine allgemeine wirtschaftliche Lage, besonders im Veranlagungszeitraum, weiterhin die Gewährung von Prozeßkostenhilfe und die Beiordnung seines jetzigen Prozeßbevollmächtigten als Rechtsanwalt. Der Beschwerdeführer betont, seine wirtschaftliche Lage habe ihm weder die Erstellung eines ordnungsgemäßen Jahresabschlusses noch die Beauftragung eines Steuerberaters für 1979 gestattet.

Die Steuererklärungen für das Streitjahr liegen noch nicht vor.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Es hält sie für unbegründet.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Das FA hat den Prozeßkostenhilfeantrag des Beschwerdeführers zu Recht abgelehnt.

Nach § 142 FGO i. V. m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozeßkostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer als bedürftig i. S. dieser Regelung anzusehen und ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Hinblick auf sein bisheriges Verhalten im Rahmen des streitigen Steuerrechtsverhältnisses nicht deshalb als mutwillig anzusehen ist, weil nach Aktenlage alles dafür spricht, daß der Prozeß und die hiermit verbundenen Kosten durch Erfüllung der Mitwirkungspflichten seitens des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren hätten vermieden werden können. Das Begehren des Beschwerdeführers ist schon wegen fehlender Erfolgsaussichten seiner Verpflichtungsklage vom FG mit Recht als unbegründet angesehen worden.

Auf sich beruhen kann, ob der Beschwerdeführer neue Tatsachen - von Beweismitteln kann in diesem Zusammenhang ohnedies nicht die Rede sein - zur Kenntnis gebracht hat, die insgesamt zu einer niedrigeren Veranlagung zur Einkommensteuer 1979 führen (vgl. zu den besonderen Anforderungen an den Änderungstatbestand in Schätzungsfällen: Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. März 1985 IV R 159/82, BFHE 144, 521, BStBl II 1986, 120, 121, und vom 30. Oktober 1986 III R 163/82, BFHE 148, 208, BStBl II 1987, 161).

Das mit der Klage verfolgte Änderungsverlangen muß - zumindest nach dem derzeitigen Stand - jedenfalls daran scheitern, daß den Beschwerdeführer hinsichtlich aller Tatsachen, die als Änderungsgrund i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 a. F. in Betracht kommen, ein grobes Verschulden wegen des nachträglichen Bekanntwerdens trifft. Grobes Verschulden umfaßt Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Es spricht einiges dafür, daß es der Beschwerdeführer, als er die wiederholten Aufforderungen des FA zur Abgabe seiner Steuererklärungen unbeachtet und den ersten Bescheid bestandskräftig werden ließ, billigend in Kauf nahm, daß der Steuerfestsetzung keine exakt ermittelten Tatsachen zugrunde gelegt wurden, und insofern mit (bedingtem) Vorsatz handelte. Doch bedarf dies hier keiner näheren Erörterung, denn der Beschwerdeführer hat jedenfalls grob fahrlässig gehandelt, als er seine Steuererklärungen trotz der eindringlichen Mahnungen des FA nicht abgab und nicht spätestens den Erlaß des Schätzungsbescheides zum Anlaß nahm, dieses Pflichtversäumnis zu heilen (vgl. speziell zum groben Verschulden durch Abgabe unvollständiger Steuererklärungen oder durch Unterlassen ihrer Abgabe: BFH-Urteile in BFHE 144, 521, BStBl II 1986, 120, 121, und vom 7. März 1986 III R 66/82, BFH/NV 1987, 9, 10).

Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm obliegende Sorgfalt in ungewöhnlichem Maß und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (BFH, a. a. O.). Eine solche Sorgfaltspflichtverletzung lag hier nicht nur in der Nichtabgabe der Steuererklärungen, sondern darin, daß sich der Beschwerdeführer um seine steuerlichen Angelegenheiten im hier interessierenden Zeitraum - nach Aktenlage jedenfalls - überhaupt nicht gekümmert hat. Dafür ist auch ein Entschuldigungsgrund nicht erkennbar geworden: Weder die wirtschaftlichen Verhältnisse noch der Umstand, daß angeblich kein Steuerberater bereit war, für den Beschwerdeführer tätig zu werden, sind als beachtenswerter Hinderungsgrund für die jahrelange Säumnis anzuerkennen. Dem Beschwerdeführer war - wie zahllosen anderen Steuerpflichtigen auch - zuzumuten, seine steuerlichen Angelegenheiten selbst zu besorgen, notfalls unter Inanspruchnahme von Verlängerungsfristen. Die völlige Untätigkeit, die hier gerade hinsichtlich des streitigen Veranlagungszeitraums festzustellen ist, ist nicht entschuldbar.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415710

BFH/NV 1989, 567

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