Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine ernstlichen Zweifel hinsichtlich unterschiedlicher Steuersätze für Mietwagen- und Kraftdroschkenbeförderung

 

Leitsatz (NV)

An der Rechtmäßigkeit der Besteuerung von Mietwagen-Beförderungsumsätzen mit dem vollen Steuersatz bestehen jedenfalls keine ernstlichen Zweifel i. S. des § 69 Abs. 2 FGO. Kraftdroschken als sog. öffentliche Verkehrsmittel konnte der Gesetzgeber als ,,wesentlich Ungleiches" gegenüber Mietwagen ansehen und insoweit den ermäßigten Steuersatz (§ 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG 1980) vorschreiben.

 

Normenkette

FGO § 69; UStG 1980 § 12 Abs. 2 Nr. 10

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Beschwerdegegnerin) errechnete in den Umsatzsteuererklärungen 1986 und 1987 die Umsatzsteuer für Beförderung von Personen im Mietwagenverkehr (bei Beförderungsstrecken von nicht mehr als 50 Kilometern) mit dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980). Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) setzte demgegenüber die Umsatzsteuer mit dem allgemeinen Steuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG 1980 fest. Das FA verwies darauf, daß § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG 1980 nur die Umsätze im Kraftdroschkenverkehr begünstige.

Nach erfolglosem Einspruch gegen den Umsatzsteuerbescheid 1986 erhob die Beschwerdegegnerin Klage, über die noch nicht entschieden ist. Über den Einspruch gegen den Umsatzsteuerbescheid 1987 hat das FA noch nicht entschieden.

Ferner beantragte die Beschwerdegegnerin beim Finanzgericht (FG) Aussetzung der Vollziehung (AdV) der angefochtenen Bescheide, nachdem das FA einen solchen Antrag abgelehnt hatte. Sie berief sich im wesentlichen auf den Vorlagebeschluß des FG Baden-Württemberg - Außensenate Stuttgart - vom 5. Dezember 1986 IX K 74/86 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1987, 432; Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1988, 257) zum Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht - BVerfG - (Az. dort 1 BvL 29/87).

Das FG gab dem Antrag statt und setzte die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides 1986 in Höhe von . . . DM und die des Umsatzsteuerbescheides 1987 in Höhe von . . . DM bis zur Entscheidung des BVerfG über den Vorlagebeschluß des FG Baden-Württemberg aus.

Mit der - vom FG zugelassenen - Beschwerde beantragt das FA, den Beschluß des FG aufzuheben und den Antrag abzulehnen, hilfsweise, die Aussetzung des Umsatzsteuerbescheides 1986 auf . . . DM und die des Umsatzsteuerbescheides 1987 auf . . . DM zu begrenzen.

Zum Hilfsantrag führt das FA aus: Hinsichtlich der die Abschlußzahlungen übersteigenden Beträge könne nur eine vom FG nicht angesprochene Aufhebung der Vollziehung in Betracht kommen. Im übrigen dürfe die Aussetzung / Aufhebung der Vollziehung nicht zu einer Erstattung von Vorauszahlungen führen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide verneint das FA im Hinblick auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 30. Oktober 1969 V R 99/69 (BFHE 97, 267, BStBl II 1970, 78). Daß eine Entscheidung des BVerfG anstehe, begründe nicht ernstliche Zweifel. Insoweit weiche das FG von der BFH-Rechtsprechung ab (Urteil vom 23. November 1965 VII 79/65 S, BFHE 84, 219, BStBl III 1966, 79). Ergänzend macht das FA geltend: Selbst wenn das BVerfG die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG 1980 teile, müsse das nicht zur Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auch auf die Mietwagenumsätze führen. Die Gleichstellung der Taxi- und Mietwagenumsätze könne auch durch gleiche Anwendung des vollen Steuersatzes herbeigeführt werden.

Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde des FA zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde des FA ist begründet. Der Beschluß des FG war aufzuheben, der Antrag auf AdV war abzulehnen.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide (§ 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) - dazu gehören auch ernstliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Gültigkeit eines Gesetzes selbst, auf dem die Steuerfestsetzung beruht (vgl. BFH-Beschluß vom 11. Juni 1986 II B 49/83, BFHE 146, 474, BStBl II 1986, 782, unter 3.) - sind entgegen der Auffassung des FG zu verneinen.

Das FA hat die Anwendung des Regelsteuersatzes auf die Mietwagenumsätze der Beschwerdegegnerin zutreffend auf das Urteil in BFHE 97, 267, BStBl II 1970, 78 gestützt. Nach diesem Urteil verstößt es nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), daß § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG 1967 die Personenbeförderungsumsätze im Kraftdroschkenverkehr mit dem ermäßigten Steuersatz erfaßt, umsatzsteuerrechtlich also anders als die Personenbeförderungsumsätze im Mietwagenverkehr behandelt. Der BFH berief sich darauf, daß das Personenbeförderungsgesetz (PersBefG) - in der damals geltenden Fassung vom 21. März 1961 (BGBl I 1961, 241) - eine Abgrenzung von Mietwagen und Kraftdroschken zum Schutz der Leistungen der Kraftdroschken im öffentlichen Verkehrsinteresse enthalte; im Hinblick auf die unterschiedliche beförderungsrechtliche Behandlung und die sich hieraus ergebende unterschiedliche Struktur der beiden Verkehrsarten liege auch in der unterschiedlichen umsatzsteuerrechtlichen Behandlung keine willkürliche Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem.

Das BVerfG beurteilte im Beschluß vom 8. Juni 1960 1 BvL 53/55, 16, 31, 53/56, 7, 18, 24/57 (BVerfGE 11, 168 - 186 ff. -, Neue Juristische Wochenschrift 1960, 1 515) - zu Vorschriften des PersBefG 1937 in der damals geltenden Fassung - die Abgrenzung von Mietwagen- und Kraftdroschkenverkehr als im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG erforderlich mit der Begründung, Kraftdroschken seien öffentliche Verkehrsmittel, Mietwagen hingegen nicht; an der Existenz und dem Funktionieren dieser Form des Gelegenheitsverkehrs bestehe kein überragendes Interesse der Allgemeinheit.

Im Beschluß vom 8. November 1983 1 BvL 8/81 (BVerfGE 65, 237, - 247 -, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1984, 365 - zu § 49 Abs. 4 PersBefG i. d. F. durch das Fünfte Änderungsgesetz vom 25. Februar 1983, BGBl I 1983, 196 -) führte das BVerfG aus: Im Hinblick auf BVerfGE 11, 168 und auf die zwischenzeitliche Annäherung der Betätigungsfelder von Mietwagen und Taxen habe der Gesetzgeber es im Fünften Änderungsgesetz zum PersBefG für erforderlich gehalten, für eine bessere Abgrenzung zwischen Taxi- und Mietwagenverkehr zu sorgen. Angesichts der unterschiedlichen Interessen der Allgemeinheit an den beiden Verkehrsarten erscheine es gerechtfertigt, den mit besonderen Pflichten beschwerten Betrieb des Taxenverkehrs vor der Konkurrenz des weniger belasteten Mietwagenverkehrs in einem gewissen Umfang zu schützen (im Vorlagefall: Verbot einer verwechselungsfähigen Werbung; eine solche verstoße nicht gegen Art. 12 GG).

Wenngleich die vorbezeichneten Entscheidungen keine Ausführungen zu Art. 3 Abs. 1 GG enthalten, zeigen sie doch deutlich, daß nach Auffassung des BVerfG der Mietwagenverkehr und der Kraftdroschkenverkehr verfassungsrechtlich unbedenklich unterschiedlich behandelt werden können. Eine Einordnung der Kraftdroschken als öffentliche Verkehrsmittel legt es nahe, sie als ,,wesentlich Ungleiches" gegenüber den Mietwagen anzusehen. Wenn das UStG demgemäß unterschiedliche Steuersätze vorsieht, die zur Begünstigung der Kraftdroschkenunternehmen führen, so bestehen nach Auffassung des Senats, in Übereinstimmung mit den Grundsätzen in BFHE 97, 267, BStBl II 1970, 78, an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung bzw. an der Rechtmäßigkeit der entsprechenden Umsatzsteuerfestsetzungen für Mietwagen-Beförderungsumsätze jedenfalls keine ernstlichen Zweifel i. S. des § 69 Abs. 2 FGO.

 

Fundstellen

BFH/NV 1990, 199

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