Entscheidungsstichwort (Thema)

Urteil ohne “Gründe”

 

Leitsatz (NV)

1. Ein Urteil ist nicht mit Gründen versehen (§ 119 Nr. 6 FGO), wenn für die Beteiligten nicht erkennbar ist, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Erwägungen es beruht. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn auch für den BFH nicht erkennbar wird, ob das Urteil von seiner Rechtsprechung abgewichen ist.

2. In einem solchen Fall ist es sachgerecht, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 6, § 119 Nr. 6

 

Verfahrensgang

FG Münster (Urteil vom 20.06.2006; Aktenzeichen 6 K 6083/02 F)

 

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist begründet. Der Senat hebt das Urteil des Finanzgerichts (FG) gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf, soweit die Feststellung eines nach den §§ 18 Abs. 3, 16, 34 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) begünstigten Veräußerungsgewinns abgelehnt wurde und verweist die Sache insoweit an das FG zurück. Zu Recht rügt die Klägerin, dass die tragende Feststellung des FG, der in Gestalt einer Gesellschaftsgründung in die Einzelpraxis am 1. April 1997 aufgenommene Gesellschafter B habe anlässlich des Eintritts des weiteren (Neu-)Gesellschafters T zum 1. Januar 1999 nachträglich einen Kaufpreis für seine Aufnahme in die Einzelpraxis zum 1. April 1997 vereinbart und bezahlt, nicht nachvollziehbar begründet worden ist und daher ein absoluter Zulassungsgrund vorliegt (§ 119 Nr. 6 FGO).

Nach § 119 Nr. 6 FGO ist ein Urteil stets auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Die Norm ist nicht nur verletzt, wenn das Urteil jegliche Begründung vermissen lässt, sondern auch dann, wenn die Gründe nur zum Teil fehlen. Allerdings bedeutet eine nur lückenhafte Begründung keinen Mangel i.S. des § 119 Nr. 6 FGO. Die Abgrenzung zwischen einer fehlenden und einer nur lückenhaften Begründung ergibt sich aus dem Sinn des Begründungszwangs, der darin besteht, den Beteiligten davon Kenntnis zu geben, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Erwägungen das Urteil beruht (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 24, m.w.N.).

An diesen Maßstäben gemessen lässt die Vorentscheidung nicht erkennen, wie das FG zu der Überzeugung gelangt ist, dass in dem --im Zusammenhang mit der Aufnahme des weiteren GbR-Gesellschafters T vereinbarten-- Kaufvertrag vom 30. Dezember 1998 ein Veräußerungspreis für die Aufnahme des B in die Einzelpraxis durch Gesellschaftsgründung zum 1. April 1997 nachträglich vereinbart wurde. Sollten dem tatsächliche Feststellungen zu Grunde liegen, können diese der Urteilsbegründung nicht entnommen werden. Denkbar wäre allerdings auch, dass die Vorinstanz --entgegen den Ausführungen des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 16. September 2004 IV R 11/03 (BFHE 207, 274, BStBl II 2004, 1068, unter 1. der Entscheidungsgründe, m.w.N.)-- die anteilige Veräußerung eines Mitunternehmeranteils eines GbR-Gesellschafters an seinen Mitgesellschafter unter enger Auslegung des Wortlauts des § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung auch schon im Streitjahr 1998 als nicht tarifbegünstigt angesehen hat (so § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG in der seit 2002 geltenden Fassung) und daher aus rechtlichen Gründen in der Ende 1998 vereinbarten Zahlung nur einen nachträglichen Kaufpreis für die Aufnahme als Gesellschafter in die bisherige Einzelpraxis zum 1. April 1997 gesehen hat. Da nicht festzustellen ist, welche Gründe letztlich für das FG entscheidend waren, kann der Senat auch nicht beurteilen, ob die Vorentscheidung, wie von der Klägerin gerügt, vom BFH-Urteil in BFHE 207, 274, BStBl II 2004, 1068 abgewichen ist und daher eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).

Aus der Vorentscheidung lässt sich auch nicht entnehmen, aus welchen Gründen nach Auffassung des FG trotz der vereinbarten Gründung einer GbR zum 1. April 1997 im Vertrag vom 30. Dezember 1998 kein Mitunternehmeranteil veräußert wurde, obwohl zu diesem Zeitpunkt der "Altgesellschafter" nur noch Mitunternehmer und nicht mehr Einzelunternehmer war. Sollte das FG möglicherweise davon ausgegangen sein, dass der "Altgesellschafter" im Streitjahr 1998 B nur Anteile an einzelnen Wirtschaftsgütern, nicht aber einen Anteil an seinem Mitunternehmeranteil veräußert hat, so hätte auch das in der Urteilsbegründung keinen Niederschlag gefunden.

Das FG hat auch nicht gewürdigt, dass B und T im Dezember 1998 auf die erworbenen Anteile bezogen gleich hohe Kaufpreise für den immateriellen Wert (goodwill) der Praxis gezahlt haben, obwohl B seit dem 1. April 1997 Mitunternehmer (vgl. dazu z.B. Schmidt/Wacker, EStG, 26. Aufl., § 15 Rz 271) gewesen sein soll und T erst zum 1. Januar 1999 Mitunternehmer werden sollte.

Der Senat hält es für sachgerecht, gemäß § 116 Abs. 6 FGO das Urteil aufzuheben, soweit die Klage abgewiesen wurde, und damit dem FG Gelegenheit zur Nachholung der Begründung zu geben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1774161

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Finance Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge