Entscheidungsstichwort (Thema)

Wert des Streitgegenstandes bei Betriebsprüfungsanordnung

 

Leitsatz (NV)

1. In Streitfällen über die Rechtmäßigkeit einer Betriebsprüfungsanordnung ist der Streitwert regelmäßig mit 50 v. H. der mutmaßlich zu erwartenden Mehrsteuern anzusetzen, die im Einzelfall geschätzt werden müssen.

2. Fehlen geeignete Schätzungsgrundlagen und bietet der bisherige Sach- und Streitgegenstand keine genügenden Anhaltspunkte dafür, welche Bedeutung die Sache nach dem gestellten Antrag hat, so ist der Streitwert in Anlehnung an § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG auf 4 000 DM zu bestimmen.

3. Der Streitwert ist auf Grund einer in die Zukunft gerichteten Prognose festzusetzen. Die Streitwertbemessung bleibt auch dann maßgebend, wenn sich später herausstellen sollte, daß ein anderer Streitwertansatz den tatsächlichen Verhältnissen besser gerecht geworden wäre.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 1, § 155; ZPO § 3; GKG § 13 Abs. 1 S. 2; BFHEntlG Art. 1 Nr. 5

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammen veranlagt werden. Der Kläger ist Arbeitnehmer. Daneben erteilt er Musikunterricht. Die Klägerin ist ebenfalls Arbeitnehmerin. Außerdem hat sie einen Gewerbebetrieb angemeldet, aus dem sie nur Verluste erklärte.

Das FA ordnete am 29. November 1982 bei den Klägern eine Außenprüfung an, die sich auf die Einkommensteuer, Gewerbesteuer, Umsatzsteuer, den Einheitswert des Betriebsvermögens und die Vermögensteuer für die Jahre 1979-1981 erstrecken sollte. Die Prüfungsanordnung war an die Kläger gerichtet; sie enthielt außer dem Hinweis auf § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) keine Begründung.

Die Außenprüfung wurde am 14. Dezember 1982 durchgeführt.

Die Beschwerde der Kläger gegen die Prüfungsanordnung hatte keinen Erfolg. Auch die Klage blieb ohne Erfolg. Das FG hielt bei den Klägern eine Außenprüfung gemäß § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 für zulässig. Das FA habe beim Erlaß der Prüfungsanordnung weder die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten noch von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe die Vorschriften der §§ 193, 121 und 126 AO 1977 unrichtig ausgelegt. Die Revision sei zulässig, da der Wert des Streitgegenstandes 10 000 DM übersteige. Auf Grund der Außenprüfung seien Umsatzsteuer in Höhe von 3 131,22 DM (241,51 DM für 1979, 2 338,66 DM für 1980, 551,05 DM für 1981), Einkommensteuer in Höhe von 11 534 DM (1 294 DM für 1979, 4 794 DM für 1980, 5 446 DM für 1981) und Kirchensteuer in Höhe von 922,72 DM nacherhoben worden. Der Streitwert des Revisionsbegehrens sei mit den nachgeholten Steuern anzusetzen. Die Grundsätze des Beschlusses des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. September 1974 VII B 122/73 (BFHE 113, 411, BStBl II 1975, 197) könnten im Streitfall keine Anwendung finden, da es sich hier um die Verwertung der Ergebnisse einer durchgeführten Außenprüfung handele, nicht um die Vollziehung einer Außenprüfungsanordnung. Es sei kein logischer Grund ersichtlich, warum nicht diese Mehrsteuern den Streitwert darstellen sollten, sondern nur die Hälfte davon.

Die Kläger beantragen sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung dem FA zu verbieten, die Erkenntnisse zu verwerten, die es bei der Außenprüfung aufgrund der Prüfungsanordnung vom 29. November 1982 erlangt hat.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Nach § 115 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs gehört zur Zulässigkeit einer Revision, die nicht zugelassen oder zulassungsfrei ist, daß der Wert des Streitgegenstandes 10 000 DM übersteigt. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, weil der Wert des Streitgegenstandes 4 000 DM beträgt.

Nach § 155 FGO i. V. m. § 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ist der Wert des Streitgegenstandes nach freiem Ermessen zu bestimmen. In Streitfällen über die Rechtmäßigkeit einer Betriebsprüfungsanordnung ist der Streitwert regelmäßig mit 50 v. H. der mutmaßlich zu erwartenden Mehrsteuern anzusetzen, die im Einzelfall geschätzt werden müssen (Beschluß BFHE 113, 411, BStBl II 1975, 197). Fehlen geeignete Schätzungsgrundlagen und bietet der bisherige Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte dafür, welche Bedeutung die Sache nach dem gestellten Antrag hat, so ist der Streitwert in Anlehnung an § 13 Abs. 1 Satz 2 des Gerichtskostengesetzes auf 4 000 DM zu bestimmen (BFH-Beschluß vom 4. Oktober 1984 VIII R 111/84, BFHE 142, 542, BStBl II 1985, 257).

Diese Grundsätze sind im Streitfall anzuwenden, denn Streitgegenstand ist die Rechtmäßigkeit der Anordnung des FA vom 29. November 1982 über die Durchführung einer Außenprüfung bei den Klägern.

Im Streitfall waren brauchbare Anhaltspunkte für eine Schätzung der voraussichtlichen Mehrsteuern aufgrund der Außenprüfung nicht vorhanden. Ungewiß war, ob die Außenprüfung Feststellungen erbringen würde, daß der Kläger Einnahmen aus seiner Nebentätigkeit erzielt hatte, die in den Einkommensteuererklärungen nicht angegeben waren, und ob sich daraus Mehrsteuern ergeben würden. Insbesondere bestanden keine Anhaltspunkte über die Höhe derartiger Einnahmen. Unklarheit bestand bei Anordnung der Außenprüfung auch, ob sich Mehrsteuern dadurch ergeben würden, daß der Handel nicht als Gewerbebetrieb, sondern als steuerlich unbeachtliche Liebhaberei zu beurteilen ist.

In Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit einer Außenprüfungsanordnung ist der Streitwert aufgrund einer in die Zukunft gerichteten Prognose festzusetzen. Diese Streitwertbemessung bleibt auch dann maßgebend, wenn sich später - aufgrund der durchgeführten Außenprüfung - herausstellen sollte, daß ein anderer Streitwertansatz den tatsächlichen Verhältnissen besser gerecht geworden wäre.

 

Fundstellen

BFH/NV 1986, 294

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