Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterliche Hinweispflicht; Behandlung unwirksamer Verfügungen von Todes wegen
Leitsatz (NV)
1. Macht der Kläger konkrete Angaben, die allein zwar noch nicht für die Ausfüllung der Voraussetzungen eines dem Kläger günstigen Tatbestands ausreichen, aber für das Vorhandensein dieser Voraussetzungen sprechen, darf das FG, dem dieser Vortrag nicht ausreicht, die Klage nicht ohne jeglichen Hinweis auf die nach seiner Auffassung fehlende Substantiierung der Angaben als unbegründet abweisen.
2. Das Recht, einen Verfahrensmangel zu rügen, geht nicht nach § 295 ZPO i.V. mit § 155 FGO verloren, wenn der Mangel sich erst aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ergibt und eine Rüge in der "nächsten" Verhandlung daher nicht möglich war.
3. Fehlt es an einer formwirksamen Verfügung von Todes wegen, hat der Erblasser aber das ernstliche Verlangen geäußert, dass nach seinem Tode mit Teilen des Nachlasses in dem von ihm gewollten Sinne zu verfahren sei, und kommt der Erbe diesem Willen nach, ist die Erbschaftsteuer so zu erheben, wie sie bei Wirksamkeit der Verfügung zu erheben wäre. Diese Grundsätze finden jedoch keine Anwendung, wenn eine ausdrückliche Willensäußerung des Erblassers infolge eines Rechtsirrtums gänzlich unterbleibt.
4. Führt derjenige, der die Aussicht hat, Privatvermögen zu erwerben, die Voraussetzungen für die Begünstigung des Übergangs dieses Vermögens nach § 13a ErbStG formal herbei, indem er gegenläufig Betriebsvermögen auf den Übertragenden überträgt und dadurch das vormalige Privatvermögen beim Übertragenden zu Sonderbetriebsvermögen wird, ist das Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs zu prüfen.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 2; ZPO § 295; AO 1977 § 41 Abs. 1, § 42 Abs. 1; ErbStG § 3 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (Urteil vom 13.10.2004; Aktenzeichen 7 K 179/04) |
Tatbestand
I. Mit notariellem Erbvertrag vom 11. Juli 1995 wandte T dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), ihrem Neffen, für den Fall ihres Ablebens vermächtnisweise eine gegenüber einer GmbH & Co. KG (KG) bestehende Darlehensforderung zu. Der Kläger war sowohl Kommanditist als auch stiller Gesellschafter der KG; T war damals nicht an der KG beteiligt. Die stillen Beteiligungen waren gesellschaftsvertraglich den Kommanditbeteiligungen gleichgestellt.
Am 19. März 1997 übertrug der Kläger einen Teilbetrag seiner stillen Beteiligung in Höhe von nominal 3 000 DM auf T. Der in dem privatschriftlichen Vertrag vereinbarte Kaufpreis von 30 000 DM wurde dem Darlehenskonto der T bei der KG entnommen und an den Kläger ausgezahlt. T verstarb am 6. Mai 1997.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) setzte für die Ermittlung der Erbschaftsteuer als steuerpflichtigen Erwerb zunächst sowohl die Darlehensforderung der T gegen die KG mit ihrem Stand am Todestag (718 265,94 DM) als auch die stille Beteiligung mit ihrem Nennwert (3 000 DM) an. Der Einspruch, mit dem der Kläger die Gewährung der Vergünstigungen nach § 13a des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) begehrte, hatte nur insoweit Erfolg, als das FA in der Einspruchsentscheidung allein die Darlehensforderung als steuerpflichtigen Erwerb ansah, weil es die Auffassung vertrat, dass die Beteiligung den Erben zuzurechnen sei.
Im Klageverfahren behauptete der Kläger, zwischen T, den Erben und ihm habe Einigkeit bestanden, dass die --aus Mitteln des Darlehenskontos erworbene-- Beteiligung ebenfalls Gegenstand des Vermächtnisses sein solle; dies habe T auch zum Ausdruck gebracht. Entsprechend habe keiner der Erben Ansprüche auf die Beteiligung erhoben.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es vertrat die Auffassung, auf den Kläger sei kein Mitunternehmeranteil, sondern nur die Darlehensforderung als einzelnes Wirtschaftsgut des Sonderbetriebsvermögens übergegangen. Ein solcher Erwerb sei auch dann nicht nach § 13a ErbStG begünstigt, wenn der Erwerber bereits Mitunternehmer derselben Gesellschaft sei. Das Vermächtnis habe nur die Darlehensforderung umfasst, nicht aber die stille Beteiligung der T. Eine letztwillige Verfügung der T zugunsten des Klägers, die auch die Beteiligung umfasse, könne weder durch einfache Auslegung geschaffen noch durch das stillschweigende Einverständnis der Parteien des Erbvertrags und der Erben ersetzt werden.
Auch die für die Erfüllung unwirksamer Verfügungen von Todes wegen entwickelten Grundsätze seien nicht anwendbar. Denn es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass T in Bezug auf die Beteiligung eine eindeutige, wenn auch unwirksame, mündliche oder schriftliche Anordnung für den Fall ihres Todes getroffen hätte. Auch der Kläger habe nicht behauptet, dass eine solche ausdrückliche Verfügung von Todes wegen vorliege, sondern sich auf das Vorbringen beschränkt, zwischen allen Parteien sei ein entsprechendes stillschweigendes Einverständnis vorhanden gewesen. Eine solche Fehleinschätzung der erbrechtlichen Lage könne aber eine eindeutige letztwillige Verfügung nicht ersetzen.
Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen verschiedener Verfahrensfehler und zur Fortbildung des Rechts.
Das FA hält die Beschwerde für unbegründet.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Es liegt ein vom Kläger geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Das FG hat seine aus § 76 Abs. 2 FGO folgende Hinweispflicht verletzt. Danach hat der Vorsitzende u.a. darauf hinzuwirken, dass ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt werden. Diese Vorschrift ist vorliegend nicht beachtet worden. Denn das FG hat die Klage auch unter dem Gesichtspunkt der für die Erfüllung unwirksamer Verfügungen von Todes wegen geltenden Grundsätze abgewiesen, weil ihm die hierzu vorgebrachten Tatsachenbehauptungen des Klägers als unzureichend erschienen, ohne den Kläger zuvor dazu aufzufordern, seine Angaben weiter zu substantiieren.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), die auch das FG zugrunde gelegt hat (vgl. dessen Verweis auf die einschlägigen Kommentierungen, u.a. in Troll/Gebel/Jülicher, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, § 3 Rn. 56 ff.) ist in Fällen, in denen eine formwirksame Verfügung von Todes wegen nicht vorliegt, der Erblasser aber das ernstliche Verlangen geäußert hat, dass nach seinem Tode mit Teilen des Nachlasses in dem von ihm gewollten Sinne zu verfahren sei, und der Erbe diesem Willen nachkommt, die Erbschaftsteuer so zu erheben, wie sie bei Wirksamkeit der Verfügung zu erheben wäre (BFH-Urteile vom 2. Dezember 1969 II 120/64, BFHE 97, 311, BStBl II 1970, 119; vom 7. Oktober 1981 II R 16/80, BFHE 134, 181, BStBl II 1982, 28, und vom 15. März 2000 II R 15/98, BFHE 191, 403, BStBl II 2000, 588, unter II.1.a).
Der Kläger hatte im finanzgerichtlichen Verfahren (Schriftsatz vom 14. Dezember 2000) vorgetragen, die Parteien der Anteilsübertragung --zu denen auch die Erblasserin T gehörte-- hätten bei der Unterzeichnung dieses Vertrags "klar zum Ausdruck gebracht", dass die Beteiligung ein Surrogat der Darlehensforderung darstelle und der Kläger im Erbfall sowohl die stille Beteiligung als auch das Restdarlehen erhalten solle. Nach dem Tod der T hätten die Erben dem Kläger die stille Beteiligung überlassen.
Damit hatte der Kläger konkrete Angaben gemacht, die für eine Ausfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der vorbezeichneten Rechtsprechung zur Erfüllung unwirksamer Verfügungen von Todes wegen sprachen. In einem solchen Fall darf das FG, dem der Vortrag nicht ausreichte, die Klage nicht ohne jeglichen Hinweis auf die nach seiner Auffassung fehlende Substantiierung der Angaben als unbegründet abweisen (BFH-Beschluss vom 26. Februar 2004 IX B 125/03, BFH/NV 2004, 973, unter II.1.).
Der Kläger hat sein Recht, diesen Verfahrensmangel zu rügen, schon deshalb nicht nach § 295 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO verloren, weil der Mangel sich erst aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils selbst ergibt und eine Rüge in der "nächsten" mündlichen Verhandlung daher nicht möglich war (vgl. auch insoweit BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 973, unter II.2.).
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:
a) Nicht zu beanstanden ist der rechtliche Ausgangspunkt des FG, wonach die irrtümliche Annahme einer unzutreffenden erbrechtlichen Lage durch die Parteien nicht zur Anwendung der Grundsätze über die Erfüllung unwirksamer Verfügungen von Todes wegen führt, sofern infolge dieses Rechtsirrtums die Abgabe einer --wenn auch formunwirksamen-- Verfügung von Todes wegen gänzlich unterbleibt (vgl. Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 14. Aufl. 2004, § 3 Rn. 29). Für das Vorliegen eines Rechtsirrtums spricht im Streitfall u.a., dass der Kläger und sein damaliger Prozessbevollmächtigter noch im Klageverfahren (Schriftsatz vom 13. Juli 2000) die Auffassung vertreten haben, der Kläger sei "seit dem Tod der Vermächtnisgeberin unangefochten Inhaber sowohl ihrer stillen Beteiligung als auch ihres Gesellschafterdarlehens, die er beide rechtmäßig und unangefochten geerbt" habe. Dies deutet darauf hin, dass jedenfalls dem Kläger und seinem damaligen Prozessbevollmächtigten die grundlegenden Unterschiede zwischen einem Erben und einem bloßen Vermächtnisnehmer --der nicht Erbe wird, sondern lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Beschwerten erwirbt (§ 2174 des Bürgerlichen Gesetzbuchs)-- bis zum damaligen Zeitpunkt nicht bekannt gewesen sind.
Sollte das FG --wie vom Kläger beantragt-- dessen früheren Prozessbevollmächtigten als Zeugen zu der Frage vernehmen, ob T ausdrückliche Erklärungen über die Zuordnung ihrer stillen Beteiligung im Erbfall getroffen hat, wird es zweckmäßigerweise auch aufklären, ob die zu beurteilende Gestaltung auf Anregung des als Zeugen Benannten gewählt worden ist, um Anhaltspunkte dafür zu gewinnen, ob dieser ein mögliches Eigeninteresse an seiner Aussage hat.
b) Das FG ist auch nicht daran gehindert, Ermittlungen zum Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs anzustellen.
Der Anteilsübertragungsvertrag vom 19. März 1997 hat --bei einer zusammenfassenden Betrachtung mit dem kurz darauf eingetretenen Erbfall und dessen Abwicklung-- nicht zu einer Änderung in der realen Güterzuordnung geführt: Der Kläger hat den auf T übertragenen Teil seiner stillen Beteiligung von den Erben rückübertragen erhalten; die ihm vermachte Darlehensforderung gegen die KG hat sich zwar um 30 000 DM gemindert, diesen Betrag hatte der Kläger aber bereits im Zuge der Anteilsübertragung in bar erhalten.
Führt derjenige, der die Aussicht hat, Privatvermögen zu erwerben, die Voraussetzungen für die Begünstigung des Übergangs dieses Vermögens nach § 13a ErbStG formal herbei, indem er gegenläufig Betriebsvermögen auf den Übertragenden überträgt und das vormalige Privatvermögen beim Übertragenden dadurch den Charakter als Sonderbetriebsvermögen erhält, ist die Anwendung des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) zu prüfen. Diese Fallkonstellation ist von der "gängigen Gestaltungspraxis" (so BFH-Beschluss vom 22. Mai 2002 II R 61/99, BFHE 198, 342, BStBl II 2002, 598, unter B.II.4.) zu unterscheiden, bei der der Übertragende selbst vor der Übertragung sicherstellt, dass das vormalige Privatvermögen zu gewillkürtem Betriebsvermögen wird und in diesem Zustand übertragen wird.
3. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1468132 |
BFH/NV 2006, 554 |