Rz. 50

Die in § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB explizierte Generalnorm für die Rechnungslegung von KapG und KapCoGes verlangt vom Jahresabschluss unter Beachtung der GoB die Vermittlung eines den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bilds der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unt. Für den Lagebericht sind die Einschränkungen "unter Beachtung der GoB" und "Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage" nicht in den Gesetzestext des § 289 Abs. 1 Satz 1 HGB übernommen worden. Vielmehr hat dieser ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild zu vermitteln. Für den Konzernabschluss erfolgt die Übernahme in § 297 Abs. 2 Satz 2 HGB analog zu § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB.

 

Rz. 51

Die mit dem BiRiLiG ins Gesetz aufgenommene und aus Art. 2 Abs. 3 der 4. EG-RL 78/660/EWG stammende Formulierung kann als Kompromiss angesehen werden. Von deutscher Seite wurde eine Beibehaltung des Texts von § 149 AktG a. F. beabsichtigt, nach dem der Jahresabschluss einen i. R. d. Bewertungsvorschriften möglichst sicheren Einblick in die Vermögens- und Ertragslage der Ges. geben muss. Von britischer Seite wurde dagegen die Verankerung des "true-and-fair-view"-Prinzips angestrebt. Als Kompromiss entstand die jetzt im Gesetz stehende Formulierung für die EG-RL. Allerdings wurde der Text um Art. 2 Abs. 5 ergänzt. Demnach sind die übrigen Vorschriften der RL in Ausnahmefällen nicht anzuwenden, wenn damit das durch den Jahresabschluss vermittelte Bild nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen würde. Dieser Satz ist vom damaligen Gesetzgeber nicht in § 264 Abs. 2 HGB übernommen, sondern durch die Ergänzungspflicht des § 264 Abs. 2 Satz 2 HGB bzgl. notwendiger Angaben im Anhang ersetzt worden. Diese greifen, wenn besondere Umstände dazu führen, dass der Jahresabschluss ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild i. S. d. Satzes 1 nicht bietet. Dabei wurde sich auf die Protokollerklärung des Rates und der Kommission gestützt, wonach die Anwendung der Richtlinie normalerweise ausreiche, damit das den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Bild entsteht,[1] und daraus abgeleitet, dass bei Beachtung der Einzelvorschriften gleichzeitig die Generalnorm erfüllt werde.[2] Zudem wurde diese Ansicht gestützt durch die sog. Abkopplungsthese.[3] Dieser Ansicht zufolge muss der Jahresabschluss nur als Einheit von Bilanz, GuV und Anhang ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermitteln (Rz 34).[4] Die aufgrund des ausgeprägten Gläubigerschutzgedankens im deutschen Handelsrecht vorherrschende vorsichtige Bilanzierung führe zwar zu Informationsverlusten, allerdings könnten die entstandenen Einblicksbeschränkungen in Bilanz und GuV durch entsprechende Anhangangaben wieder ausgeglichen werden. Der true and fair view wird dieser Auffassung nach damit i. W. durch den Anhang erfüllt, dem überwiegend die Informationsfunktion zukomme.[5] Folglich könne mit dem Anhang dem Gesellschafterschutz entsprochen werden,[6] während der Gläubigerschutz nur durch Abkopplung der Bilanz sichergestellt werden könne.[7] Zur Abkopplungsthese existieren nach wie vor Einwände.[8] Die Annahme, dass der true and fair view i. W. in den Anhang ausgelagert und somit auf einen Teil des Jahresabschlusses begrenzt werden könnte, greift zu kurz angesichts der Bedeutung, die der Generalnorm vom europäischen Normgeber zugedacht wurde. Im Gegenteil besteht vielmehr die Notwendigkeit, die Generalnorm auf alle Teile des Jahresabschlusses anzuwenden.[9] Eine Unvereinbarkeit des true-and-fair-view-Grundsatzes mit dem Gläubigerschutz ist zudem nicht gegeben, da dem Vorsichtsprinzip zwar durch den true and fair view Grenzen gesetzt sind, der Gläubigerschutz dadurch allerdings nicht gefährdet wird.[10] Die Verlagerung des Gesellschafterschutzes in den Anhang bedeutet vielmehr, das Ausschüttungsinteresse der Gesellschafter zu missachten und damit den in der Richtlinie ausdrücklich genannten Gesellschafterschutz zu verletzen.[11]

Die EU hat inzwischen die Richtlinie über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unt bestimmter Rechtsformen – RL 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 veröffentlicht.[12] Sie wurde mit dem BilRUG umgesetzt, ohne dass eine Anpassung erfolgt wäre. So kommt es in zweifacher Weise bei der Stellung der Generalnorm zu einer Abweichung zur RL. Zum einen fehlt der Zusatz "unter Beachtung der GoB" im Richtlinientext. Zum anderen ist Art. 4 Abs. 3 und 4 der RL, der inhaltlich den Regelungen von IAS 1.15 und 17 entspricht, klar als overriding principle ausgestaltet. Dies bedeutet, dass die Generalnorm mit der Forderung der tatsachengemäßen Abbildung Vorrang vor Einzelnormen hat.[13] Das DRSC, das IDW und der Arbeitskreis Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft unterstützen den Gesetzgeber in der nicht-richtlinienkonformen Umsetzung, da im Bereich der Generalnorm kein Änderungsbedarf gesehen wird.[14] Dies kann nur mit der deutschen Rechtstradition, nach der die General...

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