Rz. 13

Eine Rückstellung ist im Jahresabschluss zu berücksichtigen, wenn eines der in § 249 HGB genannten Ansatzgebote vorliegt. Die Höhe der Rückstellung ist unbeachtlich, d. h., es gibt (derzeit) keinen Wesentlichkeitsgrundsatz. Ein Weglassen einer der Höhe nach für die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage unbedeutenden Rückstellung ist somit ein Verstoß gegen § 246 HGB, unabhängig davon, ob dies zu einer Einschränkung des Bestätigungsvermerks des Abschlussprüfers führt.[1] Durch die EU-Bilanzrichtlinie[2] wurde auch im Bereich der Rechnungslegung ein Wesentlichkeitsgrundsatz kodifiziert (Art. 6 Abs. 1 lit. j) EU-Bilanzrichtlinie).

 

Rz. 14

Der Abgrenzung zwischen werterhellenden und wertbegründenden Tatsachen (§ 252 Rz 63) kommt beim Ansatz von Rückstellungen besondere Bedeutung zu.

 

Rz. 15

Der Kfm. hat in seiner Bilanz Rückstellungen nur für solche Gründe aufzunehmen, von denen er bis zum Tag der Aufstellung der Bilanz Kenntnis hat. Dabei umfasst der Begriff Kfm. i. d. S. auch den Kenntnisstand der Mitarbeiter des Kfm., nicht allein des für die Aufstellung des Jahresabschlusses Verantwortlichen (Geschäftsführung, Vorstand).

 
Praxis-Beispiel

Im November 01 hat ein Kunde ggü. dem Vertriebsmitarbeiter eines Generatorenherstellers (P) eine Schadensersatzforderung wegen eines mangelhaft gelieferten Produkts geltend gemacht. Der Vertriebsmitarbeiter informiert seinen Vorgesetzten. Aufgrund vorgelegter Unterlagen und diverser geführter Telefonate erkennt P im März 02 eine Schadensersatzzahlung i. H. v. 100 EUR an. Der für die Aufstellung des Jahresabschlusses 01 verantwortliche Geschäftsführer des P hat bis zum Tag der Aufstellung des Jahresabschlusses zum 31.12.01 (15.2.02) keine Kenntnis von dem Vorgang und im Jahresabschluss 01 keine Rückstellung berücksichtigt.

Lösung:

Der den Jahresabschluss aufstellende Kfm. ist der Generatorenhersteller P. Die Nichtkenntnis des Geschäftsführers von dem Vorgang ist unbeachtlich. Es liegt bis zum Tag der Aufstellung des Jahresabschlusses (15.2.02) ein rückstellungsrelevanter Sachverhalt vor, der im Jahresabschluss zu berücksichtigen ist.

 

Rz. 16

Der bei Aufstellung des Jahresabschlusses maßgebende Kenntnisstand des Kfm. kann sich im Nachhinein als objektiv falsch herausstellen, ohne dass dadurch die Ordnungsmäßigkeit des Jahresabschlusses beeinträchtigt ist.

 
Praxis-Beispiel

Im März 02 meldet sich ein Kunde bei dem Vertriebsmitarbeiter eines Generatorenherstellers (P) und teilt ihm mit, dass aufgrund eines im Dezember 01 gelieferten schadhaften Generators ein Schadensersatz geltend gemacht wird. Es handele sich um einen versteckten Mangel, der erst nach mehreren Testläufen entdeckt wurde, weshalb der Mangel erst im März angezeigt werden konnte. Der Jahresabschluss zum 31.12.01 des P wurde am 15.2.02 aufgestellt, ohne dass eine Berücksichtigung einer Rückstellung für den Sachverhalt erfolgte. Bei Auslieferung des Generators im Dezember 01 hatten die Mitarbeiter des P keinen Mangel an dem Generator festgestellt. Nach Prüfung des Vorgangs wird im April 02 der Mangel zugestanden und dem Kunden ein Schadensersatzanspruch i. H. v. 100 EUR zugesprochen.

Lösung:

Der Kfm. konnte bei Aufstellung der Bilanz nicht wissen, dass der ausgelieferte Generator mangelhaft war. Der Jahresabschluss zum 31.12.01 ist nicht zu beanstanden.

 

Rz. 17

Die vom BFH erfolgte Aufgabe des subjektiven Fehlerbegriffs[3] bezieht sich nur auf die Anwendung von Rechtsfragen, nicht aber auf die Ausübung von Ermessensentscheidungen.[4] Sachverhaltsfragen betreffen im Bereich der Rückstellungen häufig die Vornahme von Schätzungen und Prognosen, die naturgemäß mit Unsicherheit behaftet sind. Wenn der Bilanzierende im Zeitpunkt der Feststellung des Jahresabschlusses eine vertretbare Auffassung seiner Bilanzierung zugrunde legt, so kann dies nicht im Nachhinein z. B. wegen einer ergangenen Gerichtsentscheidung zu einem fehlerhaften Jahresabschluss führen. Dieses Verständnis trägt auch dem Vertrauen der Öffentlichkeit in die Bestandskraft des festgestellten Jahresabschlusses Rechnung.[5]

Ändern sich dagegen durch Gerichtsurteile objektiv die Anwendung von Rechtsfragen, muss dies prospektiv vom Bilanzierenden berücksichtigt werden, d. h. am nächsten Abschlussstichtag muss diese neue Rechtsauffassung der Bilanzierung der Rückstellungen zugrunde gelegt werden.

 
Praxis-Beispiel

Eine GmbH bildet im Jahresabschluss zum 31.12.01 eine Rückstellung für drohende Verluste aus einem Dauerschuldverhältnis (noch fünf Jahre laufender Mietvertrag, die Räumlichkeiten werden vom Kfm. nicht mehr benötigt). In die Bewertung der Rückstellung bezieht die GmbH entsprechend der h M Vollkosten, d. h. auch zurechenbare Gemeinkostenanteile, ein.

Der Jahresabschluss zum 31.12.01 wird am 25.3.02 aufgestellt und am 30.3.02 von der Gesellschafterversammlung festgestellt. Im Mai 02 fällt der BGH die Entscheidung, dass i. R. d. Bewertung von Drohverlustrückstellungen nur direkt zurechenbare Einzelkosten zu berücksichtigen seien (Anm: Es handelt sich um ein fiktives Beis...

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