Leitsatz

1. Ein "häusliches Arbeitszimmer" i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG ist ein betrieblich oder beruflich genutzter Arbeitsraum, der seiner Lage, Funktion und Ausstattung nach in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden ist und vorwiegend der Erledigung gedanklicher, schriftlicher oder verwaltungstechnischer Arbeiten dient. Dies ist bei einer im Souterrain gelegenen Arztpraxis jedenfalls dann der Fall, wenn die Räumlichkeit nicht erkennbar besonders für die Behandlung von Patienten eingerichtet ist und in ihr auch kein Publikumsverkehr stattfindet.

2. Geht ein Steuerpflichtiger einer einzigen betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit nach, liegt der Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3, 2. Halbsatz EStG dann im häuslichen Arbeitszimmer, wenn der qualitative Schwerpunkt der Tätigkeit dort ausgeübt wird. Dies ist bei einer Ärztin, die Gutachten über die Einstufung der Pflegebedürftigkeit erstellt und dazu ihre Patienten ausschließlich außerhalb des häuslichen Arbeitszimmers untersucht und dort (vor Ort) auch alle erforderlichen Befunde erhebt, zu verneinen.

3. Wird im Lauf des Revisionsverfahrens der angefochtene Verwaltungsakt geändert und wird der neue Verwaltungsakt gem. § 68 Satz 1 FGO von Gesetzes wegen Gegenstand des Verfahrens, so bedarf es jedenfalls dann keiner Anpassung des Revisionsantrags an die veränderte Prozesslage, wenn die tatsächlichen Grundlagen des Streitstoffs durch die Änderung unberührt geblieben sind.

 

Normenkette

§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG , § 68 Satz 1 FGO

 

Sachverhalt

Eine Ärztin war als Gutachterin selbstständig für den medizinischen Dienst der Krankenkassen tätig und erstattete Gutachten über die Einstufung in die Pflegeversicherung. Dazu besuchte sie den jeweiligen Antragsteller, untersuchte diesen und verschaffte sich einen persönlichen Eindruck von dessen wohnlichen Verhältnissen. Ein solcher Besuch nahm ca. 50-60 Min. in Anspruch. Anschließend erstellte die Ärztin in ihrem häuslichen Arbeitszimmer die Gutachten und füllte die erforderlichen Formulare aus. Von dort aus nahm sie auch telefonischen Kontakt mit den behandelnden Ärzten auf.

Der Arbeitsraum lag im Souterrain des der Ärztin und ihrem Ehemann gehörenden Einfamilienhauses und war mit Büroeinrichtung und Fachliteratur ausgestattet.

Das FA erkannte von den gesamten Kosten für den Arbeitsraum nur 2 400 DM als Betriebsausgaben an.

 

Entscheidung

FG und BFH stimmten der Auffassung des FA zu, die Aufwendungen könnten nicht voll abgezogen werden, weil das Arbeitszimmer nicht den Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit bilde. Formal hob der BFH gleichwohl das FG-Urteil auf, weil während des Revisionsverfahrens aus nicht den Streit betreffenden Gründen ein geänderter Steuerbescheid ergangen war. Über diesen Bescheid musste deshalb entschieden werden.

 

Hinweis

1. Der BFH hat in kurzem zeitlichen Abstand nun schon die zweite Entscheidung zum häuslichen Arbeitszimmer eines Arztes veröffentlicht. Im Urteil vom 5.12.2002, IV R 7/01 (BFH-PR 2003, 218) ging es um die Frage, ob ein für Patientenbesuche eingerichteter Behandlungsraum ein häusliches Arbeitszimmer i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG ist. Im hiesigen Fall hatte die Klägerin keine Patienten in ihrem Arbeitszimmer empfangen. Das Zimmer wurde vielmehr nur für die Erstattung der Gutachten, für Telefonate und andere Bürotätigkeiten genutzt. Es war auch als Büro eingerichtet. Damit handelte es sich zweifelsfrei um ein "häusliches Arbeitszimmer" i.S.d. Gesetzes.

2. Immerhin konnte sich die Klägerin sicher sein, wenigstens den Höchstbetrag von 2400 DM (heute 1250 Euro) erhalten zu können. Denn andere Arbeitsräume standen dieser Ärztin, die keine eigene Behandlungspraxis unterhielt, nicht zur Verfügung. Der Streit ging hier um die Frage, ob die Klägerin ihre gesamten Kosten unbegrenzt geltend machen konnte. Das wäre dann der Fall gewesen, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bilden würde.

Hinter dem Schlagwort "Mittelpunkt" verbergen sich zwei Problembereiche: Wo hat jemand den Mittelpunkt seiner gesamten und beruflichen Tätigkeit, wenn er mehrere Tätigkeiten ausübt, und wo liegt der Mittelpunkt bei einer einheitlichen, aber an mehreren Orten ausgeübten Tätigkeit. Nur um das letztgenannte Problem ging es hier.

3. Der BFH hat sich dazu entschlossen, die Bestimmung des Mittelpunkts in erster Linie qualitativ vorzunehmen. Es kommt also darauf an, ob in dem Arbeitszimmer die für den Beruf des Steuerpflichtigen wesentlichen und prägenden Tätigkeiten ausgeübt werden. Wie hoch der zeitliche Anteil der Arbeit ist und welcher Teil der Vergütung im Arbeitszimmer erwirtschaftet wird, ist nicht entscheidend; beide Aspekte können nur als Indiz bei der Gesamtwürdigung mit berücksichtigt werden. Mit dieser Auffassung schließt sich der hier entscheidende IV. Senat dem Urteil des VI. Senats vom 13.11.2002 VI R 28/02 (BFH-PR 2003, 215) an. Beide Senate stellen sich damit g...

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