Leitsatz

Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass wegen der in § 32a Abs. 1 Satz 2 EStG angeordneten vorrangigen Anwendung des Progressionsvorbehalts des § 32b EStG auch ein zu versteuerndes Einkommen unterhalb des Grundfreibetrags der Einkommensteuer unterliegt.

 

Normenkette

§ 32a Abs. 1 Satz 2 EStG , § 32b Abs. 1 Nr. 1 EStG , Art. 2 Abs. 1 GG , Art. 3 Abs. 1 GG , Art. 12 Abs. 1 GG , Art. 14 Abs. 1 GG

 

Sachverhalt

Die verheiratete Klägerin beantragte in ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 1998 getrennte Veranlagung. Sie erklärte Einkünfte aus selbstständiger Arbeit in Höhe von 75 465 DM, Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit in Höhe von 8 252 DM, Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 657 DM und Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von – 66 229 DM. Da sie vom 1.2.1998 bis 31.8.1998 arbeitslos war, erhielt sie Arbeitslosen- und Übergangsgeld in Höhe von 29 203 DM.

Das FA ermittelte im Einkommensteuerbescheid 1998 ein zu versteuerndes Einkommen der Klägerin in Höhe von 9 739 DM. Es setzte die Einkommensteuer auf 1 882 DM fest. Dabei bezog er die Lohnersatzleistungen nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 EStG in die Berechnung des Steuersatzes ein.

Mit ihrer nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, die Anwendung des § 32b EStG auf ein unter dem Grundfreibetrag liegendes zu versteuerndes Einkommen widerspreche dem Beschluss des BVerfG vom 25.9.1992, wonach das Existenzminimum von der Steuer zu verschonen sei. § 32a Abs. 1 EStG sei im Sinn der Verfassung dahin auszulegen, dass § 32b EStG dem § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG nicht im Rang vorgehe, so dass die Freistellung des zu versteuernden Einkommens bis zur Höhe des Grundfreibetrags auch im Rahmen des § 32b EStG zu beachten sei. Klage und Revision waren erfolglos.

 

Entscheidung

Der BFH war der Auffassung, dass der Wortlaut des § 32a Abs. 1 Satz 2 EStG eine Auslegung im Sinn der Klägerin ausschließe und im Übrigen bei Einkünften jenseits des Grundfreibetrags zu einen mit der vertikalen Steuergerechtigkeit nicht im Einklang stehenden Progressionssprung führte. Dass durch die Anwendung des Progressionsvorbehalts auch ein zu versteuerndes Einkommen unter dem Grundfreibetrag besteuert werde, sei verfassungsgemäß.

Ob der Gesetzgeber Einkommenssurrogate in die Besteuerung oder auch nur in den Tarif einbeziehe oder nicht, unterliege grundsätzlich seiner Gestaltungsfreiheit. Lohnersatzleistungen seien ein geeigneter Maßstab für die Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, denn sie deckten keinen besonderen Aufwand des Steuerpflichtigen ab, sondern stünden ihm zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur Verfügung. Der Klägerin verbleibe auch nach Abzug der Einkommensteuer ein Betrag von mehr als 24 000 DM zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts und demnach erheblich mehr als der Grundfreibetrag in § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG.

 

Hinweis

Nach § 32b Abs. 1 EStG ist auf das nach § 32a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige während des Veranlagungszeitraums u.a. Arbeitslosen- und/oder Übergangsgeld bezogen hat (§ 32b Abs. 1 Nr. 1a und b EStG). Da die Tarifvorschriften des § 32a Abs. 1 Satz 2 EStG nur "vorbehaltlich der §§ 32b, 34 und 34b" anzuwenden sind, gilt der Progressionsvorbehalt des § 32b EStG auch für ein zu versteuerndes Einkommen, das unter dem Grundfreibetrag liegt. Der Grundfreibetrag ist nicht als sachliche Steuerbefreiung ausgestaltet, sondern Teil der Tarifvorschriften. Die Klage warf die Frage auf, ob dies verfassungsrechtlicher Prüfung standhält.

Die Einführung des Progressionsvorbehalts für Lohnersatzleistungen hatte der Gesetzgeber damit begründet, dass Steuerpflichtige, die lediglich während eines Teils des Jahres arbeitslos seien oder noch andere Einkünfte bezögen, wegen der auf das Kalenderjahr bezogenen Freibeträge und der progressiven Ausgestaltung des Einkommensteuertarifs zusammen mit ihren Lohnersatzleistungen nahezu die gleichen Nettobezüge erreichten wie im Fall der Vollbeschäftigung. Die Einführung des Progressionsvorbehalts sei erforderlich, damit ein ausreichender Abstand zwischen Arbeitnehmern und Arbeitslosen und ein Anreiz zur Arbeitsaufnahme erhalten bleibe.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in Kammerbeschlüssen im Jahr 1995 entschieden, dass diese Erwägungen die Einbeziehung von Lohnersatzleistungen in die Einkommensbesteuerung rechtfertigten. Einkommenssurrogate seien grundsätzlich ein geeigneter Maßstab für die Bemessung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen.

Die Klägerin war allerdings der Auffassung, die Anwendung des Progressionsvorbehalts auf ein unter dem Grundfreibetrag liegendes zu versteuerndes Einkommen widerspreche dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25.9.1992, 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91 (BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413), wonach das Existenzminimum von der Steuer zu verschonen ist. Dieser Auffassung schlossen sich FG und BFH nicht an. Zwar bildet der exist...

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