Leitsatz

1. Allein die Änderung eines ESt-Bescheids wegen eines den Vorwegabzug betreffenden rückwirkenden Ereignisses, das die Verhältnisse nur eines Ehegatten berührt, berechtigt nicht zur Korrektur eines Fehlers, der die steuerlichen Verhältnisse des anderen Ehegatten berührt.

2. Eine Änderung wegen einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache kommt nicht in Betracht, wenn sich die nachträglich bekannt gewordene Tatsache zunächst wegen Zusammenveranlagung nicht ausgewirkt hatte.

 

Normenkette

§ 173 Abs. 1 Nr. 2, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO, § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG 1990/1997

 

Sachverhalt

Die zusammen veranlagten Kläger erzielten 1996 bis 1998 als GmbH-Geschäftsführer Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit. In den jeweiligen ESt-Erklärungen gaben sie an, dass der Kläger sozialversicherungspflichtigen, die Klägerin sozialversicherungsfreien Arbeitslohn bezogen habe. Nach Angaben der Klägerin bestand für sie eine Anwartschaft auf Altersversorgung ganz oder teilweise ohne eigene Beitragsleistung aus dem aktiven Dienstverhältnis. Das FA kürzte deswegen den Vorwegabzug gem. § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG a.F. Im Jahr 2000 wurde festgestellt, dass der Kläger in den Streitjahren nicht sozialversicherungspflichtig war, sodass die Beiträge zurückgezahlt wurden. Das FA änderte die ESt-Bescheide gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO und kürzte den Vorwegabzug nun nur noch wegen der Einkünfte der Klägerin.

Die Gewährung des vollen Vorwegabzugs lehnte das FA ab, obwohl die Kläger nunmehr ebenfalls geltend machten, dass die Klägerin entgegen ihrer früheren Angaben ihre Versorgungsanwartschaften mitfinanziert habe, sodass auch bei ihr die Kürzung des Vorwegabzugs entfalle.

Einspruch und Klage blieben erfolglos (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 14.02.2008, 5 K 282/04, Haufe-Index 1950279, EFG 2008, 915). In ihrer Revision machten die Kläger vor allem geltend, eine Änderung gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sei möglich, da die nachträglich bekannt gewordene Tatsache, dass der Klägerin der volle Vorwegabzug zustehe, für die Fehlerhaftigkeit der ursprünglichen Bescheide nicht rechtserheblich gewesen sei, weil sie sich wegen der Kürzung des Vorwegabzugs bei dem Kläger nicht ausgewirkt hätte. Fehler, die sich zunächst in keiner Weise auf die Festsetzung der Steuer auswirken könnten, seien bei der Frage des groben Verschuldens nicht zu berücksichtigen.

 

Entscheidung

Der BFH sah das nicht so und bestätigte das FG-Urteil aus den vorgenannten Gründen.

 

Hinweis

In diesem Urteil geht es um die Anwendung zweier Änderungsvorschriften: die Änderung aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses gem. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO und die Änderung wegen des nachträglichen Bekanntwerdens einer Tatsache gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO.

1. Der erste Problemkreis beschäftigt sich mit dem Vorliegen eines rückwirkenden Ereignisses im Rahmen der Zusammenveranlagung bei der Ermittlung des Vorwegabzugs des § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG a.F. Wenn auch im Rahmen des Alterseinkünftegesetzes die Abzugsfähigkeit der Altersvorsorgeaufwendungen neu geregelt wurde und es in der neuen Systematik keinen Vorwegabzug mehr gibt, ist er aber dennoch im Rahmen der sog. Günstigerprüfung des § 10 Abs. 4a EStG bis 2019 weiter zu berücksichtigen.

Zunächst muss man sich die Wirkungsweise des Vorwegabzugs vergegenwärtigen. Der Vorwegabzug soll Steuerpflichtigen, die die Kosten ihrer Zukunftssicherung allein aufbringen müssen, einen gewissen Ausgleich dafür schaffen, dass bei Arbeitnehmern der Arbeitgeber die Hälfte der Beiträge zur Zukunftssicherung übernimmt und dass dieser Anteil zur gesetzlichen Sozialversicherung steuerfrei bleibt. Dabei wird in einem ersten Schritt der Vorwegabzug allen Steuerpflichtigen gewährt, um im zweiten Schritt den Vorwegabzug bei dem Personenkreis zu kürzen, der nicht allein für seine Altersvorsorge aufkommen muss.

Auch bei zusammen veranlagten Ehegatten ist für jeden Ehegatten isoliert zu ermitteln, in welcher Höhe ihm der Vorwegabzug zusteht. Dennoch kann es dazu kommen, dass bei Kürzung des Vorwegabzugs bei nur einem der beiden Ehegatten der Vorwegabzug in der beiden Ehegatten zustehenden Höhe entfällt, wenn nämlich Einnahmen aus nicht selbstständiger Arbeit in entsprechender Höhe gegeben sind (BFH, Urteil vom 04.03.1998, X R 109/95, BFH/NV 1998, 1466).

Da auf die steuerlichen Verhältnisse des einzelnen Ehegatten abzustellen ist, ist die Ermittlung der Höhe des Vorwegabzugs bei zusammen veranlagten Eheleuten kein einheitlich zu betrachtender Sachverhalt. Damit führen Änderungen nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO aufgrund der rückwirkenden Änderung der steuerlichen Verhältnisse des einen Ehegatten nicht dazu, dass eine fehlerhafte Beurteilung der steuerlichen Verhältnisse des anderen Ehegatten beseitigt werden kann, sofern nicht eine eigenständige Änderungsnorm eingreift.

2. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit Tatsachen nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung führen, wenn den Steuerpflichtigen am nachträglichen Bekanntwerden kein gro...

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