Trotz des gewachsenen Bewusstseins für Corporate Compliance im Mittelstand sehen sich viele kleinere Unternehmen irrtümlicherweise weniger gefährdet als Großkonzerne. Sie vernachlässigen aufgrund des Vertrauensverhältnisses zu ihren Mitarbeitern oft interne Kontrollsysteme. Dabei sind gerade in letzter Zeit vor allem kleinere Unternehmen vermehrt ins Visier der Staatsanwaltschaften geraten.

Als Grund hierfür ist etwa die Tatsache zu nennen, dass an einigen Orten in den letzten Jahren verstärkt Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Wirtschaftsstrafsachen gegründet wurden. Zudem hat es in der jüngeren Vergangenheit auch Gesetzesverschärfungen im Bereich der Wirtschaftskriminalität gegeben.

Eine weitere Problematik liegt darin, dass viele mittelständische Unternehmen zwar die Mängel bei der Umsetzung von Corporate Compliance erkannt haben, jedoch lediglich 54 % auch entsprechende Corporate Compliance-Regelungen geschaffen haben. Insoweit besteht eine starke Diskrepanz im Denken und Handeln. Nur die Hälfte der befragten Unternehmen hat in den letzten drei Jahren verstärkt Maßnahmen zur Verhinderung des Verlusts von sensiblen Informationen ergriffen, obgleich mehrheitlich mit einer Zunahme der Kriminalität im Unternehmen gerechnet wird.

Keine strukturierte Vorgehensweise

Aber selbst wenn Corporate Compliance thematisiert wird, wird die Implementierung von Corporate Compliance häufig nicht strukturell angegangen. Es bestehen unklare Zuordnungen von Pflichten und Verantwortlichkeiten. Die Handhabung von Verantwortlichkeiten erfolgt oftmals durch eine informelle Umsetzung. Schließlich kommuniziert ein Drittel der Unternehmen die Corporate Compliance-Regelungen nur mündlich. Dies ist angesichts der Komplexität des Themas aber kaum in seriöser und effizienter Form möglich.

Ein weiteres Problem ist darin zu sehen, dass die fehlende Verbindlichkeit von Regeln wiederum die Akzeptanz der Regelungen sinken lässt. Insgesamt ist der Mittelstand in einer Zwickmühle: Flexibilität ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Daher werden starre Kontrollen gescheut. Es wird auf gegenseitiges Vertrauen gesetzt mit einer oftmals informellen Regelung von Problemen und Verantwortungsbereichen. Diese insgesamt eher „einfache" Handhabung bei der Corporate Compliance hat in vielen Fällen sicherlich auch mit der Scheu vor den mit Kontrollmechanismen verbundenen Kosten zu tun.

Unternehmen, die beim Thema Corporate Compliance keine ausreichenden Maßnahmen unternehmen, könnten „am falschen Ende" sparen, denn für mittelständische Unternehmen gilt mehr noch als für große Konzerne, dass gerade auch angesichts der hohen Strafen, beispielsweise hohe Kartellbußen, Geld- und Freiheitsstrafen, eine mangelhafte Corporate Compliance zum Existenzrisiko werden kann.

Situation im Ausland

Schließlich können sich insbesondere im Ausland tätige Unternehmen zunehmend nicht mehr der Einführung von Corporate Compliance-Maßnahmen verwehren. Zunehmend liegen in diversen Ländern gesetzliche Bestrebungen vor, Corporate Compliance-Maßnahmen als für das Unternehmen verbindlich anzusehen. Sofern Schäden entstehen und festgestellt wird, dass keine Corporate Compliance-Maßnahmen oder interne Kontrollsysteme eingeführt wurden, löst dies eine zivil- und strafrechtliche Haftung für die betroffenen Unternehmen bzw. für deren Unternehmensorgane aus.

In Großbritannien wurde kürzlich durch den UK-Bribery-Act eine solche faktische Verpflichtung zur Einführung von Corporate Compliance-Maßnahmen mit den entsprechenden strafbewährten Konsequenzen eingeführt. Dies betrifft auch deutsche Unternehmen unmittelbar, wenn diese Unternehmen in Großbritanien geschäftlich über eine Tochtergesellschaft oder Niederlassung tätig werden. Im Schadensfall drohen hohe straf- und zivilrechtliche Sanktionen.

Obgleich in Deutschland für die im mittelständischen Bereich sehr verbreitete GmbH solche Erfordernisse direkt nicht bestehen, lassen sich Verpflichtungen zur Implementierung von Kontrollmechanismen auch aus der bestehenden Gesetzeslage, insbesondere aus § 130 OWiG ableiten. Das dortige Gebot für den Kaufmann zum ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb gilt rechtsformunabhängig und kann als Generalnorm zum pflichtgerechten und ordnungsgemäßen Handeln beim Aufbau einer entsprechenden Unternehmensstruktur verstanden werden. Es besteht daher die dringende Notwendigkeit zum Handeln.

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