Neuregelung des § 2b UStG: Tax-Compliance-Management-System

§ 2b UStG verschärft die Notwendigkeit steuerliche Sachverhalte zutreffend zu würdigen und zu erklären. Ein Tax-Compliance-Management-System kann dabei helfen, Fehler zu erkennen und im Voraus zu vermeiden. Ein solches System senkt das Risiko von straf- und bußgeldrechtlichen Konsequenzen für gesetzliche Vertreter der jPöR sowie aller mit der Pflichterfüllung betrauten Personen.

Ausgangslage

Insbesondere durch die gesetzliche Neuregelung des § 2b UStG sind juristische Personen öffentlichen Rechts ("jPöR) gezwungen sich umfassend mit dem eigenen steuerlichen Status und den internen (Steuer-)Prozessen laufend auseinanderzusetzen.

Zwar wurde die verpflichtende Anwendung des § 2b UStG durch das Jahressteuergesetz 2022 jüngst um nochmals zwei Jahre aufgeschoben. Diese weitere "Karenzzeit" sollten jPöR jedoch nicht untätig verstreichen lassen, sondern vielmehr zielgerichtet nutzen, um ihren steuerlichen Unternehmerstatus klar aufzuarbeiten und um ihre Systeme und  Prozesse zielgerichtet auf die Neuregelung vorzubereiten.

Im Rahmen der Vorbereitung auf § 2b UStG sollte auch die Einführung eines internen Kontrollsystems für Steuern, einem sog. Tax Compliance Management ("TaxCMS"), auf der Agenda der Verwaltungsspitze und der Kämmerei stehen.

Als gesetzliche Vertreter der Kommunen nach § 34 Abs. 1 Abgabenordnung sind (Ober-)Bürgermeister und (Ober-)Bürgermeisterinnen, bei Landkreisen die Landräte und Landrätinnen und vergleichbare Positionen in anderen Gebietskörperschaften (als Verwaltungsspitze) insbesondere auch für die regelkonforme Erfüllung steuerlicher Verpflichtungen verantwortlich und sind in der Regel erste Adressaten straf- und bußgeldrechtlicher Ermittlungen. Zudem sind auch der Verwaltungsspitze nachfolgende Beauftragte, denen Aufgaben mit steuerlicher Relevanz zugewiesen sind – z.B. die Kämmerei und das Steueramt – von diesbezüglichen Risiken betroffen.

Die Finanzverwaltung begegnet Compliance-Verstößen, auch im öffentlichen Bereich, zunehmend restriktiver und hat die einschlägigen  Regularien verschärft, z.B. durch die Einschränkung der Möglichkeit der Selbstanzeige oder erweiterte Meldepflichten der Betriebsprüfung an die Buß- und Strafsachenstelle.

Neben den straf- und bußgeldrechtlichen Vorschriften können zudem noch Schadenersatzansprüche auf den vorgenannten Personenkreis aus Compliance-Verstößen zukommen. Das Urteil des OLG Nürnberg v. 30.3.2022 (12 U 1520/19), das Schadenersatzansprüche gegen einen GmbH-Geschäftsführer bei Verletzung seiner Sorgfaltspflichten insbesondere bei Unterlassung zur Errichtung eines Compliance-Management Systems bejaht, lässt sich auch auf kommunale Strukturen und jPöR übertragen.

TaxCMS als Mittel zur Minimierung straf- und bußgeldrechtlicher Folgen und Haftungsrisken

Die Einführung eines TaxCMS dient insbesondere der Vermeidung oder Minimierung straf- und bußgeldrechtlicher Sanktionen der für steuerliche Angelegenheiten Verantwortlichen und mit steuerlichen Aufgaben betrauten Personen.

Bereits mit Urteil v. 9.5.2017 hat der BGH klargestellt, dass ein TaxCMS bei der Festsetzung des Strafmaßes Berücksichtigung finden muss. Dieser Auffassung hat sich auch die Finanzverwaltung i.R. des Anwendungserlasses zu § 153 der Abgabenordnung angeschlossen:

"Hat der Steuerpflichtige ein innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet […] kann dies ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann."

Im Rahmen der Bestrebungen des Gesetzgebers zur Modernisierung des Steuerstrafrechts wird ein TaxCMS zunehmend an Bedeutung gewinnen: Soweit ein TaxCMS im Rahmen einer Außenprüfung auf dessen Wirksamkeit überprüft wurde, können in folgenden Außenprüfungen Prüfungserleichterungen verbindlich zugesagt werden (vgl. Art. 97 § 38 EGAO).

Auch das vorgenannte Urteil des OLG Nürnberg fordert, dass durch die gesetzlichen Vertreter einer Körperschaft organisatorische Vorkehrungen und Maßnahmen getroffen werden, die Rechtsverstöße durch die Gesellschaft oder deren Mitarbeiter verhindern. Der gesetzliche Vertreter ist in diesem Rahmen nicht nur zur Überwachung verpflichtet, sondern muss unverzüglich eingreifen, wenn Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten bestehen.

Rahmenbedingungen für die Ausgestaltung eines TaxCMS

Die Finanzverwaltung und Rechtsprechung haben bislang keine inhaltlichen Vorgaben zum Umfang sowie der Art und Ausgestaltung eines TaxCMS getroffen.

Das Institut für Wirtschaftsprüfer ("IDW") hat in seinem Praxishinweis 1/2016 zur Ausgestaltung eines TaxCMS gemäß IDW PS 980 Stellung bezogen. Auch der Deutsche Städtetag hat mit seinem Leitfaden vom 26.4.2017 den Kommunen Leitlinien zur Ausgestaltung eines TaxCMS an die Hand gegeben. Ebenso wurde durch die Bundessteuerberaterkammer im Rahmen des berufsrechtlichen Handbuchs (Tz. 2.2.2, Stand 27.6.2018) Hinweise zur Ausgestaltung des TaxCMS veröffentlicht. Sowohl die Äußerungen des IDW, des Städtetags als auch der Bundessteuerberaterkammer stellen im Wesentlichen den abstrakten Handlungsrahmen dar. Hiernach sind wesentliche Grundelemente und Inhalte eines TaxCMS:

Element

Kurzinhalt

1 – Kultur

  • Definition und Dokumentation von kulturellen Maßnahmen, die dazu beitragen, das Thema Tax Compliance in der Unternehmenskultur zu verankern
  • Implementierung eines Sanktionierungssystems, das
    geeignet ist, Verstöße im Zusammenhang mit Tax
    Compliance zu ahnden
  • Definition von Regelungen im Zusammenhang mit der Einbindung der Steuerfunktion bei steuerrelevanten Fragen

2 – Ziele

  • Definition von Zielen für die Steuerfunktion bzw. das TaxCMS
  • Definition einer steuerlichen Risikostrategie

3 – Organisation

  • Zuweisung der Verantwortlichkeiten gemäß Aufgabenspektrum
  • Definition und Dokumentation der:
  • Aufbau- und Ablauforganisation der Steuerfunktion
  • Schnittstellen zu anderen Bereichen (z.B. Personal und Buchhaltung), die mit steuerlichen Belangen betraut sind
  • Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen

4 – Risiken

  • Identifizierung, Erfassung und Bewertung von steuerlichen Risiken unter Berücksichtigung des Umfangs und der Art der Geschäftstätigkeit
  • Dokumentation der steuerlichen Risiken z.B. in Form einer Risikomatrix

5 – Programm

  • Ableitung von Maßnahmen zur Reduzierung der ermittelten steuerlichen Risiken, z.B.:
  • Prozessdokumentation / -modellierung
  • Erlass von Richtlinien/Arbeitsanweisungen
  • Schulung der Mitarbeiter, die mit steuerlichen Belangen betraut sind
  • Kontrollen
  • Ergänzung der Risikomatrix um die zuvor abgeleiteten Maßnahmen (z.B. in Form einer Risiko-Kontroll-Matrix)

6 – Kommunikation

  • Definition und Dokumentation von z.B. Prozessen bezüglich:
  • Interner und externer Berichtspflichten und Berichtswege im Zusammenhang mit steuerlichen Belangen (inkl. Berichterstattung über steuerliche Risiken)
  • Information über das Tax Compliance-Programm bzw. festgelegte Rollen und Verantwortlichkeiten
  • Instruktion betroffener Mitarbeiter über steuerliche Pflichten

7 – Überwachung & Verbesserung

  • Implementierung eines systematischen Konzeptes zur laufenden Überwachung des TaxCMS bzw. der Überwachung der Steuerfunktion sowie der steuerlichen Prozesse
  • Berichterstattung über Mängel und Regelverstöße
  • Ableitung von Maßnahmen zur Verbesserung des TaxCMS

Herausforderungen der Kommunen und jPöR aus dem abstrakten Handlungsrahmen des IDW und Deutschen Städtetags

Diesen abstrakten Handlungsrahmen des IDW und des Städtetags gilt es in der Praxis umzusetzen und mit "Leben zu füllen".

Hierbei sind die Herausforderungen der Kommunen und jPöR im konkreten Einzelfall völlig unterschiedlich, insbesondere die Größe der jPöR, der Grad der Dezentralisierung und Reifegrad der Digitalisierung beeinflussen die Ausgestaltung des TaxCMS enorm.

Auch das Bewusstsein der Mitarbeitenden in steuerlich relevante Sachverhalte eingebunden zu sein, ist in der Gesamtorganisation "Kommune" individuell ausgeprägt. Haushaltsmittel zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Steuerfunktion sind in unterschiedlicher Höhe verfügbar bzw. oftmals sogar nicht vorhanden.

Diese Aspekte erfordern ein entsprechend angepasstes und differenziertes Projektvorgehen unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls.

Eine "One-Fits-All"-Lösung, d.h. die kurzfristige Implementierung eines vorgefertigten TaxCMS, ist vor diesem Hintergrund kaum denkbar, da gewisse Aspekte zwar augenscheinlich auch bei anderen Kommunen auftreten, jedoch andere gelebte Prozesse zu Grunde liegen und folglich individuelle Lösungsansätze notwendig sind.

TaxCMS-Umsetzungsprojekte werden daher immer einen entsprechenden Ressourcenbedarf über einen mittel- bis langfristigen Projektzeitraum erfordern.

Beispielhaftes Projektvorgehen

Die nachfolgend exemplarisch geschilderten Projektbestandteile können in Anbetracht der geschilderten Herausforderungen einen ersten groben Rahmen zum Projektvorgehen liefern.

Projektphase

Inhalte

Vorbereitung

  • Projektplanung: Konzeption / Verantwortlichkeiten / Budgets / Ressourcen
  • Überprüfung der Einbindung eines externen Beraters
  • Ausfertigung von Gremienvorlagen und Einholung von Beschlüssen zum Projekt
  • Ehrliche Bestimmung des Status Quo der Compliance-Organisation

Kick-Off

  • Information in der Gesamtorganisation über das Projekt und Festlegung individuelle Mitwirkungspflichten

Risikoanalyse

  • Steuerartspezifische Aufnahme bestehender und möglicher Risiken
  • Qualifizierung und Quantifizierung der Risiken
  • Aufnahme bestehender Gegenmaßnahmen

Risikomitigierung

  • Definition von angemessenen und wirksamen Gegenmaßnahmen zur Risikominimierung bzw. Risikovermeidung
  • Bestimmung von Verantwortlichkeiten betreffend Durchführung von Kontrollen

Dokumentation und Implementierung

  • Neuordnung / schriftliche Festlegung der Organisationstruktur
  • Erstellung Richtlinien / Handbücher / Beschreibungen / Prozessabläufe
  • Kommunikation und Veröffentlichung in der Verwaltungsorganisation

Laufende Überwachung und Verbesserung

  • Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen
  • Überprüfung der Durchführbarkeit der Maßnahmen
  • Anpassung an neue rechtliche und faktische Rahmenbedingungen

Risiken identifizieren, in Risikoklassen einteilen und risikomitigierende Maßnahmen festlegen

Die Risikoanalyse und die Risikodokumentation sind wesentliche Bestandteile eines TaxCMS, da sich hieraus Folgemaßnahmen und Kontrollen ableiten lassen, die eine Risikomitigation, d.h. steuerliche Risiken vermeiden oder auf ein vertretbares Maß minimieren, als Ziel haben. Im Zuge der Risikoerhebung sollte auch eine Analyse und Dokumentation der zugrunde liegenden Prozesses erfolgen, um ein vollständiges Gesamtbild aller involvierten Einheiten und Personen zu erhalten.

Die Risikoanalyse erfordert eine entsprechende initiale Bewertung des Gesamtrisikos ("Brutto-Risiko") in der Bandbreite (sehr) niedrig bis (sehr) hoch anhand vorab definierter Bewertungsparameter. Diese Bewertungsparameter erfassen regelmäßig die "Schadenshöhe" und die "Eintrittswahrscheinlichkeit". Für beide Bewertungskriterien können weitere Unterkriterien definiert werden, um die Risikoeinschätzung präziseren und vereinheitlichen zu können.

Beispiele für Unterkriterien

Bewertungskriterium

Unterkriterium

Schadenshöhe

  • Transaktionshäufigkeit
  • Transaktionshöhe

Eintrittswahrscheinlichkeit

  • Rechtliche Komplexität
  • Tatsächliche Komplexität
  • Qualifikation des Personals

In Abhängigkeit von der Höhe des Brutto-Risikos sind dem spezifischen Einzelrisiko Maßnahmen entgegenzusetzen.

Folgende Tabelle stellt verkürzt unterschiedliche Ausprägungen von möglichen Gegenmaßnahmen dar:

Niedriges Brutto-Risiko

Mittleres Brutto-Risiko

Hohes Brutto-Risiko

risikomitigierende Maßnahmen

  • Arbeitsanweisung
  • Richtlinien / Handbücher
  • Schulungskonzept
  • Schulungen
  • Checklisten
  • Laufende Kommunikation
  • Fristenkontrolle
  • Prozessrichtlinien
  • 4-Augenprinzip
  • Kontrollen (automatisiert, workflowbasiert, vorlagenbasiert)

Aus der Kombination von Brutto-Risiko und mitigierenden Maßnahmen ergibt sich das Netto-Risiko, das im Ergebnis ein angemessen niedriges und akzeptierbares Restrisiko darstellen sollte.

Zeitrahmen für die Einführung eines TaxCMS

Die geschilderten Rahmenbedingungen und Projektinhalte machen deutlich, dass die Einführung eines TaxCMS einen angemessenen zeitlichen Rahmen erfordert. Bei der zeitlichen Komponente ist auch zu beachten, dass das Projekt nicht allein durch die Verwaltungsspitze und/oder die Kämmerei durchgeführt werden kann, sondern die Involvierung einer Vielzahl an Personen, die in die steuerlichen Prozesse eingebunden sind, erforderlich macht und deren Mitwirkung erfordert. Die Erfahrung der Praxis zeigt, dass erfolgreiche TaxCMS-Projekte (d.h. Systeme, die eine angemessene Schutzwirkung entfalten) regelmäßig einen Zeitraum von mindestens einem Jahr erfordern.

Die Vorteile eines TaxCMS liegen in einer deutlichen Fehlerreduzierung, der Vermeidung von straf- und bußgeldrechtlichen Sanktionen sowie der Reduzierung des Risikos der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen die handelnden Personen und rechtfertigen deshalb diesen (zeitlichen) Aufwand.

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