Wie funktionieren OKR im Mittelstand?

Objectives & Key Results, kurz OKR, gelten als Performance Management-Tool für junge Internetunternehmen. Aber funktionieren sie auch in traditionellen Mittelstandsunternehmen- und wenn ja, wie? In der Diskussion zwischen Prof. Matthias Mahlendorf und MEGATECH-CEO Erik Reiter trifft empirisches Standardwissen auf individuelle Praxiserfahrung. 

Was sind OKR?

„Objectives and Key Results“, kurz OKR, ist ein Werkzeug zum Performance Management, dass 1999 bei Google eingeführt wurde und auf Management by Objectives (MBOs), S.M.A.R.T. und der Balanced Scorecard aufbaut. „Objectives“, also Ziele, werden anhand der Frage „Wo will ich hin?“ formuliert und sollen klare Ergebnisse festgelegen. Die zweite Frage „Wie komme ich dahin?“ bestimmt, wie die Zielerreichung durch „Key Results“, also Schlüsselergebnisse, erreicht werden soll.

Durch OKR Mitarbeiter anziehen, motivieren und halten? 

Laut Prof. Dr. Matthias Mahlendorf von der Frankfurt School of Management and Finance haben es Mittelständler schwer, junge Mitarbeiter anzuziehen, zu motivieren und zu halten. Aus seiner Sicht kann OKR ein Faktor zur Lösung dieser Herausforderung sein. Dadurch, dass bei OKR strategische Ziele zuerst auf Abteilungsebene und dann auf Individuen runtergebrochen werden, wisse jeder Mitarbeiter, welchen Beitrag er zur Erreichung der Unternehmensziele leiste. Wenn ein entscheidender Beitrag geleistet wurde, wolle die jüngere Generation laut Mahlendorf diesen Erfolg gerne in ihrem Arbeitsumfeld „teilen“, wie sie es von Social Media-Plattformen gewohnt seien und in Form von sogenannten Badges oder Medaillen öffentlich zur Schau stellen. Durch dieses spielerische Element, auf Englisch „Gamification“, können Mitarbeiter motiviert werden. Diese Art von Anerkennung liege zudem näher an der Denk- und Arbeitsweise jüngerer Generationen als herkömmliche Performance-Measurement-Werkzeuge.

Das Teilen und Präsentieren ist ein weiterer Schlüsselfaktor von OKR: Jeder Mitarbeiter kann die Ziele und deren Erreichungsgrad jedes anderen Mitarbeiters einsehen, „auch die des CEOs“. Dabei basiert der Erreichungsgrad auf der Selbsteinschätzung. Dadurch kann eine Führungskraft sehen, welcher Teil eines Teams gut vorankommt oder Unterstützung benötigt. Die Akzeptanz und Nutzung eines OKR-Tools lassen sich je nach Anzahl der gepflegten Ziele auch schnell ablesen.

OKR sind transparent, flexibel und ambitioniert

Neben der hohen Transparenz und der regelmäßigen Überprüfung der Zielerreichung jede Woche oder jeden Monat fördert die quartalsweise Überprüfung der Ziele die Akzeptanz von OKR. Die Idee dahinter ist laut Matthias Mahlendorf der schnelle Austausch und die flexible Anpassung der Ziele auf die aktuelle Unternehmens- und Mitarbeitersituation. Weitere Leitlinien sind, dass jeder Mitarbeiter jederzeit nur drei Ziele haben sollte, die jeweils wieder auf drei Objectives heruntergebrochen sind. Dabei ist es vorerst überraschend, dass Ziele so gesetzt werden, dass sie nur zu 70% erreichbar sind. „Im Prinzip geht es darum keine Kultur zu haben, in der man seine Ziele immer erreicht. Vielmehr sollten sogenannte ‚Stretch-Ziele‘ definiert werden, die gerade noch so im Rahmen des Möglichen liegen und deren Nicht-Erreichung akzeptabel ist.“ Diese Ziele werden ambitioniert gewählt, sollen dem Mitarbeiter aber keine finanziellen Nachteile bei Nicht-Erreichung bringen. Daher werden im Idealfall keine individuellen Incentives an die Erreichung der Ziele gekoppelt. OKR sollen durch die starke Fokussierung auf Unternehmensziele mehr der Strategieimplementierung und -verankerung im Tagesgeschäft dienen als einer individuellen Bonusermittlung. Mit der Entkopplung individueller Ziele von finanziellen Incentives soll auch verhindert werden, dass Mitarbeiter Puffer einbauen und eigene Ziele zur Bonusmaximierung eingesetzt werden.

Erfahrungen mit OKR beim Start-up Bettzeit 

In einer Studie hat Prof. Mahlendorf in einem Forschungsteam die Umsetzung von OKR beim Frankfurter Start-up Bettzeit begleitet und wissenschaftlich aufgearbeitet. Während der Studie zeigten sich Herausforderungen in der Umsetzung von OKRs zum Beispiel in der Nutzung der zur Verfügung gestellten Werkzeuge und in der Definition von Stretch-Zielen. Die Eindrücke der Mitarbeiter von Bettzeit zeigen diese Herausforderungen (s. Tab. 1). Daneben werden hier auch die positiven Effekte wie ein besseres Zeitmanagement und der transparente Beitrag der eigenen Leistung zum Unternehmenserfolg hervorgehoben.

Positive Eindrücke

Negative Eindrücke

OKR zwingen dich, Themen auf der Agenda zu haben, die wichtig und dringend sind.

Ich glaube, das geht nur, wenn wirklich jedes Team beziehungsweise jeder Team-Leiter Wert darauf legt, dass ich diese Ziele erreiche.

Das Gute an den OKR ist, dass du klare Ziele hast.

Wenn man sich die unterste Ebene anschaut, interessiert es die Leute einfach nicht.

Transparenz ist ein wichtiger Punkt: Jedes Team-Mitglied – egal von welchem Team – kann gucken, welche Ziele der Team-Leiter oder der CEO hat.

Da sehe ich bei uns auch den größten Optimierungsbedarf, dass zum Beispiel jeder Team-Leiter seinen Team-Mitgliedern persönliche OKR gibt und diese auch aktuell hält.

Mitarbeitern ihren eigenen Wertbeitrag für das Unternehmen sichtbar zu machen, dafür finde ich OKR sehr sinnvoll.

I think OKR are super useful, but they need to be challenging.

OKR allow you to adapt quicker and to be more agile.

Teilweise sind Ziele auch einfach nicht aktualisiert, obwohl unser Software-System leicht zu verstehen ist.

Ich finde die Methode gut, um konkrete Ziele festzulegen.

Es verbraucht auch einfach viel Zeit.

Das OKR-Framework hilft uns dabei, die richtigen Prioritäten zu setzen.

The goals were not properly defined, for example, the key results were not measurable.

Tabelle 1: Eindrücke der Bettzeit-Mitarbeiter zu OKR, Quelle

OKR bringen MEGATECH auf ein „neues Level”

An dieser Darstellung der OKR-Grundlagen stellte Erik Reiter, CEO und Chef-Digitalisierer der MEGATECH Industries seine Erfahrungen bei der OKR-Einführung bei MEGATECH an. MEGATECH Industries ist ein 1889 gegründeter Automobilzulieferer, der mit 4.000 Mitarbeitern ca. vier Mrd. Euro Umsatz erzielt. Vor zwei Jahren stellte sich die Geschäftsführung der MEGATECH die Frage, wie sie Firma und Mitarbeiter „auf ein neues Level bringen“ könne. Dabei wurde beschlossen OKR einzuführen. „Wir bei MEGATECH sind als Automobilzulieferer Old-Economy und haben uns hier mit einem Thema eingelassen, dass normalerweise von New Economy-Firmen getragen wird. Im Ergebnis sind wir als Management schwer begeistert.“, so Reiter. Seit der Einführung 2018 kann MEGATECH über 2.000 abgeschlossene Objectives vorweisen, die sowohl für das Tagesgeschäft, Projektarbeit oder auch Restrukturierungsthemen eingesetzt werden können.

Ungewöhnlich: OKR als bonusrelevantes Zielsystem 

Lasst uns dazu doch ein Key Result aufmachen.

Entgegen der Empfehlungen aus Wirtschaft und Forschung sollten OKR bei MEGATECH als individuelles Ziel- und Bonussystem das alte Zielsystem mit Jahreszielen und -endgespräch ablösen. Trotz der Abweichung von der Norm hat dieses Vorgehen sich bestätigt. Eine Herausforderung, die Reiter zu den von Prof. Mahlendorf genannten hinzufügte, war die Verhandlung mit dem Betriebsrat. Dieser sei aber durch zusätzliche Boni für Mitarbeiter sowie die Leistungsgerechtigkeit und Transparenz von der Idee überzeugt gewesen. Wichtig war, dass Ziele nicht „im stillen Kämmerlein“ ausgehandelt werden, sondern alle die Ziele der anderen kennen. Damit sei auch objektivierbar, wer seine Ziele tatsächlich erreicht habe. Diese Transparenz führte bei MEGATECH laut Reiter dazu, dass alle Generationen motiviert an den strategischen Zielen gearbeitet haben und die Arbeit der Abteilungen an diesen ausgerichtet haben. „Lass uns dazu doch ein Key Result aufmachen“ etablierte sich schnell als Standard-Vorgehen beim Abgleich der eigenen Ziele und Herausforderungen mit der Unternehmensstrategie. 

Agiles Steuerungsinstrument bewährt sich in der Krise

Die eng getakteten Reviews zu OKR ermöglichte es MEGATECH zudem alte Ziele in der Corona-Krise schnell „über Bord zu werfen“ und das Unternehmen auf Liquidität auszurichten. „Da war das genau das Richtige. In der Zeit vor OKR hätten wir unsere individuellen Zielvereinbarungen direkt in die Tonne treten können.“ Um OKR so erfolgreich einzuführen wurde dem Management der MEGATECH in einer Jahresveranstaltung OKR vorgestellt und erklärt, wie die Unternehmensziele dort dargestellt werden und wie die vom Top-Management vorbereiteten Objectives diese Unternehmensziele darstellen. Diese Einbettung von OKR in die Unternehmensziele ist in Abbildung 1 dargestellt.

OKR bei MEGATECH INDUSTRIES (Beispiel)

Abbildung 1: Unternehmensziele und OKR bei MEGATECH

In der folgenden Diskussion waren Prof. Mahlendorf und Reiter sich einig, dass Change Management ein entscheidender Erfolgsfaktor in der Einführung von OKR sei. „Bei MEGATECH wurden dem Top-Management, dem Management und dem Betriebsrat die gleiche Präsentation als Grundlage für OKR gezeigt worden und so gab es ein einheitliches Verständnis von der Materie“. Im Optimalfall bleibe das Management nach dem initialen Motivationsschub dran und verankere OKR nachhaltig in der Organisation. Deshalb seien OKR auch sehr gut für Firmen geeignet, die sich verändern wollen.

Zur Veranstaltung

Das Stuttgarter Controlling und Management Forum von Horváth & Partners ist eine der traditionsreichsten Fachkonferenzen für Fach- und Führungskräfte aus dem Bereich Controlling. Die 34. Ausgabe am 22. und 23. September 2020 fand aufgrund der Covid-19-Krise erstmals als Online-Konferenz statt. Im Fokus der 18 Referenten standen Trends und Praxiserfahrungen unter anderem in der digitalen Transformation, der technologiegetriebenen Neuausrichtung von Unternehmen sowie dem Umgang mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie.

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