Wie das Controlling in der Krise schneller reagieren  kann

Wer aus der Finanzkrise 2009 gelernt hat, ist heute besser vorbereitet als andere. In einem Interview verweist Controllingexperte Prof. Ronald Gleich vor allem auf den Vorteil vorbereiteter Szenarien und Maßnahmenpläne. In der aktuellen Situation sind jedoch noch weitere Faktoren für eine verhältnismäßig milde Entwicklung notwendig.

Der Interviewpartner:

Prof. Dr. Ronald Gleich ist Inhaber des Lehrstuhls für Industrielles Management der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden/Oestrich-Winkel. Im Internationalen Controller Verein (ICV) leitet er die Ideenwerkstatt. Seit 2009 ist er Co-Herausgeber der Schriftenreihe „Der Controlling-Berater“ bei Haufe.

Die Fragen stellte Robert Torunsky, Redakteur für Wirtschaft, Magazine und Corporate Media bei der m-medienfabrik GmbH, Regensburg.

Krisen: Indikatoren und Entwicklungsstufen

Herr Professor Gleich, die Krisenerkennung spielt eine wichtige Rolle in der Bewältigung einer Krise. Welche Indikatoren gibt es?

Ronald Gleich: Zunächst einmal allgemeine Indikatoren wie den ifo-Geschäftsklimaindex. Dieser ist beispielsweise zum März 2020 auf 86,1 Punkte eingebrochen. Damit ist der niedrigste Wert seit Juli 2009 erreicht. Der Index zeigt also derzeit schon, dass wir mitten in der Krise sind.

Wenn man die Wirtschaft segmentspezifisch mit dem Schwerpunkt auf das produzierende Gewerbe betrachtet, wird auch der PMI, der Purchase Manager Index, als Frühwarnindikator verwendet. Denkt man an den Maschinen- und Anlagenbau oder auch an die Automobilbranche, wo ein großer Teil der Wertschöpfung zugekauft wird, kann man sich auch vorstellen, dass der PMI ein qualitativ hochwertiger Indikator ist. Wir hatten mit der Ideenwerkstatt des Internationalen Controller-Vereins hierzu unlängst Gespräche mit Vertretern der Unternehmen Trumpf, Kärcher und Wittenstein, deren Controllingexperten den PMI als wichtigen Indikator ansehen.

Welche Möglichkeiten zur Krisenbewältigung gibt es?

Ronald Gleich: Es gibt Maßnahmen zur Kriseneindämmung und – ganz radikal gedacht, falls eine Krise nicht zu bewältigen ist – die Option, ein Unternehmen abzuwickeln und wieder neu zu starten. Für einige Unternehmen dürfte dies in der aktuellen Corona-Krise nicht nur ein rein theoretisches Konstrukt sein.

Bei der Kriseneindämmung gibt es drei Szenarien oder Stufen. Es ist relativ einfach, Maßnahmen abzuleiten, wenn das Unternehmen eine Gewinnkrise hat. Angenommen, der Umsatz bricht um 15 Prozent ein. Hier können Kostenreduzierungen, Investitionsverzögerungen oder der Abbau von Zeitarbeitskräften entgegenwirken. Ich denke hier aktuell an Teile der Maschinenbaubranche, die zum Beispiel für die Medizintechnik oder die Papierindustrie arbeiten. Dort sind aktuell Umsatzrückgänge bis ca. 15 % aktuell im Vergleich zu den Vormonaten oder dem Vorjahreszeitraum zu verkraften. Fast schon eine Luxussituation im Vergleich mit anderen produzierenden Industrien oder Dienstleistungsbranchen, deren Geschäft durch die Corona-Krise völlig zum Erliegen gekommen ist. Die zweite Stufe, die Liquiditätskrise, ist deutlich schwieriger zu beheben.

Wann spricht man von einer Liquiditätskrise?

Ronald Gleich: In der produzierenden Industrie gilt die Faustregel, dass man bei einem Umsatzrückgang von 20 bis 30 Prozent schnell in eine Cash-Krise kommt. Das wird derzeit die aktuelle Situation bei sehr vielen Unternehmen der produzierenden Industrie sein. Dementsprechend tief muss auch die Problembehandlung gehen und man muss – neben den Maßnahmen der ersten Stufe – viele Dinge grundsätzlich in Frage stellen, also beispielsweise Geschäftsteile aufgeben, Kurzarbeit anzeigen, staatliche Überbrückungsgelder nutzen, Schulungsmaßnahmen und Investitionen verschieben oder prinzipiell operative Risiken radikal minimieren.

Bei Stufe drei kommt es noch schlimmer?

Ronald Gleich: Viele Unternehmen der Automobilindustrie produzieren derzeit nicht, auch manche Investitionsgüterproduzenten z.B. für die Automobilindustrie oder Werkzeugmaschinenbauer haben ihre Produktion extrem stark zurückfahren müssen. Diese Unternehmen stecken mitten in einer potenziell existentiellen Krise, die sich in den nächsten Wochen und Monaten noch verschärfen wird. Die Auftragseingangsrückgänge kommen ja erst noch geballt in den nächsten Monaten. Aktuell werden die Auftragsbestände noch abgearbeitet, sofern Abnehmer die Produkte tatsächlich abnehmen wollen und auch bezahlen können.

Noch viel schlimmer hat es ja die Luftfahrt- oder die Tourismusindustrie oder viele Dienstleister erwischt, die derzeit quasi keine Umsätze, aber noch immense und nicht sofort abbaubare fixe Kosten haben. Hier helfen die stattlichen Unterstützungsleistungen sicherlich, jedoch werden sehr viele Insolvenzen zum Jahresende oder im nächsten Jahr zu beobachten sein.  

Bei etwa 40 Prozent Umsatzrückgang spricht man also von einer solchen existenziellen Krise. In diesem Fall ist das Krisenmanagement sehr schwierig und die erste Aufgabe des Managements und auch der Controller ist, überhaupt erst einmal die Liquidität sicherzustellen. Entscheidend ist aktuell das Liquiditätspolster der Unternehmen. Wohl dem, der eine Liquiditätsreichweite von mehr als zwei Umsatzmonaten bezogen auf die Vorkrisenzeit hat.

Faktoren, Entscheidungen und Maßnahmen

Welche Rolle spielt Ihrer Einschätzung nach bei dem jeweiligen Maßnahmenkatalog die Dauer der Krise?

Ronald Gleich: Eine ganz zentrale, nicht nur hinsichtlich der Liquidität. Es stellt sich immer die Frage, ob es sich um eine langanhaltende Krise handelt oder nach einigen Monaten das Schlimmste überstanden ist. Bei der Wirtschaftskrise 2008/2009 hatten wir den Fall, dass in vielen Industrien nach etwa einem Jahr beinahe alles überstanden war. Der berühmte und vielzitierte „V-förmige“-Kurvenverlauf. Aktuell wird für die Corona-Krise eher ein „U-förmiger“-Verlauf erwartet. Dies bedeutet, wir werden potenziell eine längere Rezession oder ein länger anhaltendes eher schwaches Wachstum haben als in der Finanzkrise. Dann wird es dauern bis zum steilen Anstieg der Wachstumsraten.

Entscheidend ist für Controller bezüglich der Krisenbewältigung, sich potenzielle Krisenverläufe vorab zu überlegen und gedanklich durchzuspielen. Wer dies getan hat ist jetzt im Vorteil.

Dazu gehören die Beobachtung der angesprochenen Indikatoren zur Krisenerkennung und darauf basierende Umsetzungspläne für das Krisenmanagement durch Erarbeitung bestimmter Reaktionsszenarien wie etwa für eine Liquiditätskrise. Da muss ich als Controller oder Manager wissen, was ich an Krisenbewältigungsmaßnahmen anstoße. Denn wenn ich bereits in einer Krise stecke und dann erst Arbeitskreise bilden und Initiativen starten muss, ist es meist zu spät.

Unter dem Druck der Krise könnte also die Qualität der zu treffenden Entscheidungen leiden?

Ronald Gleich: Absolut. Man steckt dann so tief im Krisenmodus, dass der klare Blick fehlt, welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen und welche auch tatsächlich sinnvoll sind. Ich bin davon überzeugt: Wenn man sich die jeweiligen Handlungsstrategien in einer Schönwetterphase des Unternehmens zurechtlegt und sich prophylaktisch in ein Krisenszenario hineindenkt, ist die Chance viel größer, dass vernünftige Ideen für Gegenmaßnahmen herauskommen. Sicherlich wird man im Fall der Fälle ad hoc noch einige Ideen haben und auch brauchen, aber ich bin ein großer Freund von Schubladenplänen und ich hoffe, viele Controller konnten in den letzten Tagen auf eine solche Schublade zurückgreifen.

Können Sie hierzu ein Beispiel aus der Praxis nennen?

Ronald Gleich: Mich hat in der Finanzkrise beeindruckt, wie der Armaturenhersteller Hansgrohe das Krisenmanagement angegangen ist. Die haben anlässlich der großen Krise 2008/2009 ihr gesamtes Steuerungssystem auf diese Denkweise umgestellt: „Wir denken mehr in Szenarien und arbeiten Schubladenpläne aus.“ Dadurch konnten die Controller das Management auf alle Eventualitäten einer Krise und Möglichkeiten der Krisenbewältigung vorbereiten. In diesem Fall ist der Controller Partner des Managements in einer schwierigen Phase, der schnell Ideen und Impulse zur Hand hat, um die Krise zu bewältigen.

Rolle der Controller als Krisenmanager

Welche Erfahrungen haben Sie noch gemacht?

Ronald Gleich: Unsere Expertenrunden der letzten Wochen haben gezeigt, dass Unternehmen schnell ihr Produktportfolio bewerten müssen, um über entsprechende Maßnahmen entscheiden zu können: Welche Produkte bringen Geld und welche verursachen möglicherweise großen Aufwand ohne entsprechendem Nutzen? Wichtig ist, dabei nicht immer nur die Kosten im Blick zu haben, sondern auch gute von schlechten Umsätzen zu unterscheiden. Ebenso spielen auch Projekte eine Rolle: Muss ich die Software gerade jetzt einführen oder brauche ich die geplante Landesgesellschaft in Brasilien im Moment wirklich? Diesbezüglich, so ist mein Eindruck, sind die Unternehmen heutzutage etwas flexibler als noch vor zehn oder 15 Jahren.

Sind in dem Fall auch die Controller gefordert?

Ronald Gleich: Es ist die ureigenste Controlleraufgabe, immer wieder Deckungsbeiträge, Profitabilitäten und ganz grundsätzlich die strategische Sinnhaftigkeit von Produkten und Projekten zu hinterfragen. In der aktuellen Situation erst recht und besonders kritisch.

Haben Sie uns zum Abschluss des Gesprächs noch einen besonderen Tipp für die Praxis?

Prof. Dr. Ronald Gleich: Schauen Sie ganz genau den aktuellen Auftragseingang sowie die derzeitigen Auftragsbestände an. Ich habe von Unternehmen gehört, die in den letzten Tagen weiterhin viele Aufträge aus der Automobilindustrie bekommen haben. Man wunderte sich, da doch derzeit sehr wenig produziert wird. Die Schnellanalysen haben dann gezeigt, dass die Systeme der Kunden einfach weiterbestellen…Also bitte genau hinschauen bzgl. der Plausibilität der aktuellen und früheren Aufträge und natürlich hinsichtlich der Zahlungsfähigkeit bzw. Bonität der Kunden in der aktuellen Krise.

Herr Prof. Gleich, vielen Dank für das interessante Gespräch.

Eine frühere Version dieses Interviews ist erschienen in: www.die-wirtschaftszeitung.de, Ausgabe zum Congress der Controller 2020, S. 3.

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